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Lehramtsstudium in Berlin: „Erster Abschluss in der Tasche und von nix ’ne Ahnung“

Das Lehramtsstudium ist realitätsfern, dazu kommt die zusätzliche Belastung von Praktika und Jobs. Unsere Autorin ist Lehramtsstudentin und fordert Lösungen.

Im Lehramtsstudium fehlt es an praktischer Erfahrung.
Im Lehramtsstudium fehlt es an praktischer Erfahrung.imago/Zeljko Dangubic

Vormittags recht haben und am Nachmittag frei. Ständig Ferien, viel Geld und ein paar Mandalas ausmalen. Bis es so weit ist, Studentenpartys und Unmengen an Freunden. Dies sind nur einige Kommentare, die ich mir anhören musste, nachdem ich verkündete, dass ich an der FU Berlin auf Lehramt studiere. Was für eine schöne Vorstellung. Leider hat dies nur gar nichts mit der Realität zu tun.

Ich habe an der Uni genau eine Freundin, und die hat mindestens genauso oft darüber nachgedacht, sich zu exmatrikulieren wie ich selbst. Ich habe in den vier Jahren meines Lehramtsstudiums noch nie von einer Party gehört, geschweige denn eine besucht. Meine Zeit außerhalb der Universität verbringe ich damit zu arbeiten, damit ich mir mein Studium finanzieren kann. „Aber es gibt doch Bafög!“ Das mag schon stimmen, aber auch nur, wenn deine Eltern nicht 32 Cent zu viel im Monat verdienen.

Bereits in den ersten Wochen des Bachelorstudiengangs der Grundschulpädagogik habe ich mich gefragt, ob es inhaltlich jemals besser werden würde. Die Frage ist leicht zu beantworten: Nein! Anstatt zu lernen, wie ich mit Unterrichtsstörungen umgehe, eine Unterrichtseinheit konzipiere oder eine Arbeit bewerte, lernte ich im Frontalunterricht, wie schlecht Frontalunterricht ist, und lernte für die Klausur auswendig, dass Auswendiglernen zu nichts führt.

Auch weitere Dinge, die für den Lehrberuf irrelevanter kaum sein könnten, sammelten sich in der Modulliste. Beispielsweise lernte ich, Texte aus dem Mittelalter zu entziffern, anhand verschiedener in Medien verwendeter Metaphern die Phase einer Pandemie zu bestimmen, welche Bücher Goethe vermutlich in seiner Kindheit las oder dass der Hamburger eigentlich aus Hamburg kommt und gar nicht aus Amerika.

Das sechswöchige Praktikum? „Hätte man sich sparen können“

Dieses Wissen soll nun den Grundstein für meine Tätigkeit als Lehrkraft gelegt haben. Erster Abschluss in der Tasche und trotzdem von nix ’ne Ahnung. Der einzige Bezug zur Praxis ist das sechswöchige Praktikum, in dem ich hospitierte und mir Notizen darüber machen sollte, welche Kinder wann wie den Unterricht gestört haben. Um es mit den Worten meiner Kommilitoninnen zu sagen: „Hätte man sich sparen können.“

Fragt man seine Dozierenden nach praktischen Tipps, bekommt man teilweise zufriedenstellende Antworten. Öfter jedoch bleibt man sprachlos zurück und hat nach der Vorlesung mehr Fragen als zuvor. So erklärte ein Dozent in einer seiner Linguistikvorlesungen, dass man mit den Kindern keinesfalls klatschen soll, um die Silben eines Wortes zu trennen. Auf die Nachfrage, weshalb man das denn nicht tun sollte und welche Alternative es gäbe, antwortete er nur, dass er das selbst nicht wisse und das jetzt unser Problem sei.

Solche Antworten sind leider kein Einzelfall und auch in den meist sehr teuren und wirklich schlechten Büchern, welche eigens von den Dozierenden verfasst und für ihre Seminare vorausgesetzt wurden, findet man auf seine Fragen keine Antworten. Wer sich immer noch fragt, weshalb sich über den Lehrermangel und die Quereinsteiger beklagt wird und weshalb es zu wenige Lehrer gibt, die nachrücken, der findet in den nächsten Zeilen hoffentlich seine Antworten, denn dafür gibt es mehr als einen guten Grund.

Der Bachelorstudiengang stellt einen vor ungeahnte Herausforderungen. Anstatt genau das zu lernen, was für den Beruf wirklich relevant ist, besuchte ich Seminare zusammen mit angehenden Journalisten oder Philosophiestudierenden. Zusätzlich zu den wahllos zusammengestellt wirkenden Studieninhalten gab es auch einen Dozenten, welcher das Deutschseminar teilweise auf Türkisch abhielt und mir, trotz eines ärztlichen Attests und meinem Anspruch auf eine Kompensation, die Ausgleichsleistung verwehrte.

Praktikum, Seminare, Job: Wie soll man das schaffen?

Der Masterstudiengang wird inhaltlich deutlich interessanter und scheint wirklich sinnvolles Wissen für den Beruf zu vermitteln. Im dritten Semester, dem Praxissemester, werden einem aber schon wieder Steine in den Weg gelegt, angefangen bei der Vergabe der Plätze. Die Schule kann ich mir also nicht selbst aussuchen, ich werde zugeteilt. Ich darf zwar meine Wunschbezirke äußern, aber wenn ich Pech habe, lande ich am anderen Ende von Berlin und darf zwei Stunden, oder auch gerne länger, mit den Öffis fahren. Neben den wöchentlich geforderten zwölf Stunden in der Schule, welche sich auf zwei bis vier Tage verteilen sollen, müssen auch Seminare besucht werden.

Da dieses Praktikum beziehungsweise Praxissemester nicht bezahlt wird, obwohl mindestens 32 selbst durchgeführte Unterrichtsstunden, das Durchführen von Lernforschungsprojekten, die aktive Teilnahme an Elternabenden, Exkursionen und so weiter vorausgesetzt werden, muss ich mir zusätzlich auch noch Gedanken darüber machen, wie ich mich selbst weiterhin finanzieren soll. Ich frage mich, wann ich neben der ganzen Fahrerei, den Seminaren, der Vor-und Nachbereitung sowie zahlreichen anderen schulischen Verpflichtungen Zeit zum Arbeiten finden soll.

Liebe Universitäten und liebe Politiker, bitte raubt uns motivierten Lehramtsstudentinnen nicht noch das letzte bisschen Freude an unserem Studium. Anstatt unnützes Wissen zu lernen und mit Bauchschmerzen in die Zukunft zu blicken, weil wir nicht wissen, wie wir unser Studium finanzieren sollen, helft uns und hört uns endlich zu! Wir haben Träume, Ziele und Ideen, welche wir unbedingt umsetzen möchten. Wir wollen die Schule zu einem inklusiven und besseren Ort für alle machen.

Ohne eure Unterstützung und unter diesen Voraussetzungen ist dies aber kaum möglich. Bitte erschwert uns den Weg in unsere Zukunft nicht. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre beispielsweise ein duales Lehramtsstudium. Raus aus der Uni und rein in die Schule – erlerntes Wissen praktisch anwenden und den Schulalltag von Anfang an kennenlernen und mitgestalten. Gebt uns eine Chance, denn wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Jona Schubert ist ein Pseudonym. Der Name der Autorin ist der Redaktion bekannt.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.


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