Der Drucker in der Küche spuckt schon wieder einen Auftrag aus: zwei Mal Currywurst. Kimberly, 18 Jahre alt, Auszubildende aus Berlin, hat schon vorher den Salat auf ein paar Tellern drapiert. Einen Teller reicht sie nun schnell Zoltan, 35 Jahre alt, aus Ungarn. Er legt eine Wurst darauf, gibt eine große Kelle selbstgemachte Soße darüber und bestreut alles mit Currypulver, dazu ein Berg Pommes. Zum Abschluss steckt er eine kleine schwarz-rot-goldene Fahne in die Wurst, haut auf die Glocke, und schon holen die Kellner die Teller ab. Zoltan hat 34 Sekunden gebraucht. „Er war nur deshalb so langsam, weil noch gar kein richtiger Stress ist“, sagt Benny, ein 34 Jahre alter Koch aus Sachsen. „Wenn es hier so richtig brummt, sind wir in 22 Sekunden fertig.“
Es ist 19 Uhr in dieser Restaurantküche, und der Abend wird noch hart und lang. Doch der Tag für die Köche hat viele Stunden davor begonnen. Morgens um 9 Uhr ist es neben dem Bahnhof Friedrichstraße noch ganz still. Gleißendes Sonnenlicht spiegelt sich in den Wellen der Spree. Auf der Hintertreppe des Bahnhofs sitzt an diesem Morgen eine Frau auf den Stufen und spielt Akkordeon.
Romantische Musik für Touristen. Denn die zieht es zu dieser Berliner Institution: Die lange Bahnhofstreppe endet quasi direkt vor der „Ständigen Vertretung“. Dieses legendäre rheinländische Gasthaus ist eines der beliebtesten Restaurants im touristischen Herzen der deutschen Hauptstadt, mitten im Carré zwischen Friedrichstadtpalast, Reichstag, Brandenburger Tor und Museumsinsel.
Vor der StäV – wie Stammgäste das Lokal nennen – richten am Morgen zwei Frauen und ein Mann die Tische her. Mit schnellen, konzentrierten Handgriffen rücken sie Stühle, spannen Sonnenschirme auf, legen Speisekarten bereit. Die StäV rüstet sich für den Ansturm: 180 Plätze gibt es im Gastraum, 300 draußen am Schiffbauerdamm und am Ufer.
„Den meisten Umsatz machen wir zwar ganz klar am Abend“, sagt Manuel Blank. „Aber damit der Laden abends richtig auf Hochtouren laufen kann, müssen die ersten Kollegen hier um 7 Uhr anfangen.“ Der schlanke Mann ist 42 Jahre alt und hier seit vier Jahren Küchenchef.
Das Personal in der Küche – ein unsichtbares Ensemble
Er weiß, warum immer weniger Menschen in diesem harten Beruf arbeiten wollen, und er kann sagen, warum das Essengehen immer teuer wird. Überall ziehen die Preise an, überall wird Personal gesucht.
Manuel Blank ist der Chefdirigent eines unsichtbaren Ensembles aus 28 Leuten, davon zehn Köchen. Sie bereiten das Essen quasi hinter den Kulissen. Sie schneiden, braten, kochen und rühren, sie schmecken ab, richten an, waschen ab.
Der Chef jedenfalls ist mit seinem Job zufrieden. Früher war Koch ein schlecht bezahlter Knochenjob. „Hart ist die Arbeit noch immer“, sagt Blank. „Aber inzwischen wird gut bezahlt.“ Denn Köche sind rar. „Wir können uns die Arbeitsstelle aussuchen.“

In Zeiten, in denen sich nicht mal genügend Studenten finden, die nebenbei kellnern wollen, sind leistungsbereite Köche so etwas wie der Goldstaub der Gastrobranche. Und dass das Personal beim ultimativen Arbeitskräftemangel endlich gut bezahlt wird, trägt dazu bei, dass die Restaurantpreise deutlich gestiegen sind. Der menschliche Faktor ist ein Grund, warum die Portion Beelitzer Spargel mit Wiener Schnitzel vom Wiesenkalb hier 34,90 Euro kostet.
Die Küche, sagt Blank, sei so etwas wie die Herzkammer in jedem Restaurant. „Um erfolgreich sein zu können, musst du ein guter Gastgeber sein, brauchst eine gute Atmosphäre, gute Getränke und vor allem gutes Essen.“ Eine Kneipe kann auch mit Bier und Bockwurst überleben, aber gute Restaurants bräuchten gute Köche und Küchenhilfen.
„Hier ist von 11 bis 23 Uhr Vollgas angesagt“
In einem engen Raum neben der Hauptküche steht zum Beispiel der 59-jährige Maharam, nimmt eine flache viereckige Backform und legt gekonnt den fertigen Teig für den Flammkuchen hinein, dann stellt er die Form auf den hohen Stapel mit den anderen Backformen. „Ich mache etwa 300 Stück davon am Tag“, sagt er. Er komme aus Burkina Faso und zeigt stolz seinen Pass. „Guter Job hier“, sagt er und greift sich die nächste Form und das nächste Teigblatt.
Die Gänge sind eng, verwinkelt und wirken endlos. In einem Raum schneiden zwei Männer unablässig Zwiebeln und Petersilie. „Alles, was für den Tag vorbereitet werden kann, wird vorbereitet“, sagt der Chefkoch. Jede Bulette wird hier selbst gebraten, jeder Königsberger Klops selbst gemacht. Da tragen Männer viereckige Edelstahlbehälter mit jeweils neun Haxen zu den Öfen, andere räumen die fertig gekochten und vakuumverpackten Suppen in den Kühlraum.
Draußen fotografieren sich die ersten Touristen am Brecht-Denkmal. Derweil wird im Maschinenraum der StäV weiter geschwitzt. Wenn der Tag hält, was die Morgensonne verspricht, werden bis Mitternacht vielleicht 1000 Essen serviert. „An richtig guten Tagen gehen auch 1500 Essen raus“, sagt Blank. Das klingt nicht nur für Laien nach harter Arbeit. Blank erzählt, dass er zwölf Jahre in Österreich gearbeitet hat. Da gab es über den Tag verteilt drei oder vier Stoßzeiten. „Hier aber ist von 11 bis 23 Uhr Vollgas angesagt.“
Ein Restaurant ist wie eine Theaterbühne
Was oft vergessen wird: Ein Essen aus der heimischen Mikrowelle und ein Abend im Restaurant unterscheiden sich wie ein Kinobesuch vom Theater. Beim Mikrowellen-Essen wird Kochen nur vorgegaukelt, denn genau wie im Kino ist das Endprodukt bereits fertig. Doch im Restaurant entsteht alles live, genau wie im Theater. Hier agieren zwar keine Schauspieler, aber ein Restaurant ist immer auch eine Bühne, und für eine gelungene Aufführung müssen alle auf den Punkt genau funktionieren: die Kellnerinnen, die Bierzapfer, die Köche, die Tellerwäscher, die Zwiebelschneider. Die Gäste bekommen im Idealfall nichts von der Hektik hinter der Küchentür mit, beobachten die ganze Aufführung eher nebenbei.

Bierzapfen kann jeder schnell lernen. Aber ein Tablett mit sechs großen Biergläsern unfallfrei durch einen vollen Gastraum zu bugsieren, ist schon etwas für Könner; und 1000 Essen durch eine Küche zu schleusen, die mit 35 Quadratmetern nicht größer ist als eine Einraumwohnung, ist was für echte Organisationskünstler. „In der Gastronomie ist der Stress immer groß“, sagt Küchenchef Blank, „aber der Spaß muss größer sein als der Stress.“
Blank erreicht über die verwinkelten Gänge und Treppen den Hintereingang. Der schöne Hinterhof steht voller Ware. Da stapeln sich Kisten voller Zwiebeln, Tomaten, Kartoffeln, Paprika, Salat, Kräuter. Felix, einer der Köche, geht die Listen durch, überprüft vier dicht bedruckte A4-Seiten. „Und das ist nur die Ware von einem Lieferanten“, sagt er. „Davon haben wir aber vier.“ Jede Lieferung wird gleich von einem Koch kontrolliert. Ob die Menge stimmt und die Qualität, ob auf dem Lkw des Lieferanten auch nichts verwechselt wurde. „Kontrolle ist wichtig“, sagt Blank. „Wir können doch abends, wenn wir im Vollstress merken, dass etwas fehlt, nicht der Ware hinterher telefonieren.“
Gastroküchen gehören eigentlich zu den letzten geduldeten diktatorischen Orten. Doch hier ist so viel Trubel und so viel Zeitdruck, dass gar keine Zeit ist für Machtdemonstrationen. Der Ton des Chefs ist zwar bestimmt, aber freundlich, fast kumpelhaft. Er spricht eher zu leise als zu laut. Ein kurzes Wort hier, ein kleiner Scherz dort.
Der größte Abnehmer von Kölsch außerhalb von Köln
Der Laden hinter der Küchentür läuft. Auch im Gastraum herrscht kein Stillstand. Blank erklärt einem Mechaniker, welchen Kühlschrank er reparieren soll. Und dort vorn am Eingang werden gerade 40 Fässer Kölsch geliefert. „Wir sind außerhalb von Köln der größte Abnehmer von Gaffel-Kölsch“, sagt Blank.
Der Chefkoch ist hier nicht dafür da, sich verrückte Rezepte auszudenken, sondern seinen Bereich mit 28 Leuten am Laufen zu halten und klassische Rheinische Kost modern zu interpretieren. „Ich habe alle Gerichte natürlich am Anfang vorgekocht, damit alle wissen, wie es sein soll“, sagt er. „Aber die tägliche Umsetzung machen dann die Kollegen.“ Der gebürtige Marzahner macht oft die Tagschicht, nicht nur wegen seiner zwei kleinen Kinder, sondern weil er so den Überblick hat, ob alles für den Abend vorbereitet ist. Blank wohnt im Umland, das heißt: Jeden Tag drei Stunden Fahrzeit. „Das ist notgedrungen meine Bürozeit“, sagt er und verschwindet wieder hinter der Tür hinten links. Die Arbeit wartet nicht.

Abends ist es wolkig, fast frisch, aber die Plätze am Ufer der Spree sind gut gefüllt. Hinter der Tür hinten links steht gleich der sogenannte Pass, eine lange Anrichte aus blankpoliertem Edelstahl. Dahinter stehen vier Köche und eine Köchin und richten die Teller an, stellen sie auf den Pass, läuten die Glocke und schon kommt die Bedienung. Aus dem Nachbarraum bringt ein Mann zwei Bretter mit Flammkuchen, stellt sie ab, läutet die Glocke. Ein Kellner kommt, greift die Bretter, dreht sich um und stößt fast mit einem Kollegen zusammen. Aber nur fast, denn sie wissen, wie eng es ist. Sie lachen und eilen in den Gastraum.
In der Küche herrschen gefühlt 70 Grad
Der Laden brummt: Gespräche, Lachen, laute Begrüßungsrufe, Telefonieren, Gläserklirren, Besteckgeklapper. Typische Kneipengeräusche; da der Gastraum zwar groß, aber sehr voll ist, ergibt das ein Dauerbrummen. Die Köche machen einen Teller nach dem anderen fertig. Die Kellner greifen sie und gehen durch den kleinen Durchgang zum Gastraum, der laut Schild „Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ heißt. Es sind fünf Schritte von der Küche zum Gastraum. Tätärätä – der große Auftritt: Das Essen kommt, die Kellner fliegen förmlich in den Saal, die Teller werden mit erwartungsvollen Blicken und einem Mmhh begrüßt.

In der Küche werden drei neue Currywürste und zwei Burger geordert. Es ist heiß. „Gefühlte 70 Grad“, sagt Benny, der Koch aus Sachsen, und schiebt die Brötchen in den Grill, legt Salatblätter bereit, schneidet Gurken und Tomaten. Ein Kollege bestreicht die Brötchen mit Soße und baut alles zusammen, was Benny vorbereitet hat. Kimberly reicht den Salat. Sechs Hände greifen unfallfrei ineinander. Der Burger ist fast so schnell fertig wie die Wurst. „Es ist ein harter Job. Man muss es lieben, sonst geht es nicht“, sagt Benny und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Und ich liebe es.“



