Auf diesem Acker sieht es aus wie Kraut und Rüben. Was für andere Landwirte eine Beleidigung wäre, ist für Benedikt Bösel ein Lob, das ihm ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Der 38-Jährige läuft über eines seiner Felder bei Alt-Madlitz in Ostbrandenburg. Auf dem Acker liegen sehr viele Strohhalme herum. Reste des Roggens, den Bösel und seine Leute hier im vergangenen Jahr geerntet haben. Dazwischen wächst eine bunte Mischung neuer Pflanzen, die viele nur Unkraut nennen würden. All das bildet auf dem Boden einen recht dichten Teppich, eine wilde Mischung aus vertrocknetem gelben Stroh und frühlingsfrischem neuen Grün. Kraut und Rüben eben.
Die meisten Felder sehen anders aus. Nach der Ernte ist der sogenannte Stoppelsturz üblich. Es wird gepflügt oder gegrubbert und geeggt. Das Ziel: Die Überreste der Ernte sollen von der Oberfläche verschwinden: die trockenen Halme, die Stoppeln, die Körner, vor allem das Unkraut, das die ganze Zeit unter dem Getreide gewachsen ist. Deshalb rollen die Traktoren über die Felder und wenden die oberste Bodenschicht einmal um. Der Acker wird auf „braun gestellt“, wie es Fachleute nennen. Dann liegt die blanke braune Erde oben, und viele Felder sehen so aufgeräumt aus wie die frisch gejäteten Beete eines peniblen Berliner Kleingärtners.
Nicht so bei Benedikt Bösel. Bei ihm sieht es auf dem Boden aus wie Kraut und Rüben. Der groß gewachsene, schlanke Mann mit dem gut frisierten Vollbart sagt lächelnd: „Je unordentlicher, desto besser.“ Dahinter steckt ein neues Konzept, das mit alten Gewohnheiten bricht. Auf seinen Feldern geht es um eine neue Art der Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels. Denn nicht nur die großstädtischen Aktivisten vergessen gern die zentrale Rolle der Bauern in den globalen Zusammenhängen.
Hilfe gegen Folgen des Klimawandels
Benedikt Bösel läuft weiter über sein Feld, scharrt mit der Fußspitze ein wenig im Stroh und sagt: „Unsere Methoden der Bodenbewirtschaftung sind wirklich besser für die Umwelt, gerade in Zeiten der Dürren.“ Er sagt: „Sie sind auch besser für die Artenvielfalt, zum Beispiel für die Insekten, von denen es seit Jahrzehnten immer weniger gibt. Aber vor allem sind die Methoden auch sehr gut für den Boden selbst.“

Er hockt sich hin, greift in die feuchte Erde und erklärt erst einmal einen von vielen Vorteilen. Die alten Strohhalme und das neue Grün bilden eine Art dünne Mulchschicht, die den wertvollen Boden abkühlt und vor Sonne und Verdunstung schützt. Der nasse Morgentau bleibt am trockenen Stroh hängen und sorgt für mehr Feuchtigkeit. „Damit kommen Effekte zum Tragen, die gerade in Zeiten des Klimawandels immer wichtiger werden“, sagt er. Da der Boden nicht umgebrochen wird, werden auch nicht die Mikroorganismen und Insekten im Boden nicht gestört.
Die Region Berlin-Brandenburg ist inzwischen die trockenste in Deutschland. Da müssen schon jetzt Probleme gelöst werden, die andere durch den Klimawandel erst in einigen Jahren haben werden. Hier gab es innerhalb von fünf Jahren vier Dürresommer. Das kann Landwirte entweder zur Aufgabe zwingen oder zum Umdenken. Benedikt Bösel gehört nun zu den Vorreitern. Er muss auch deshalb aktiv werden, weil die Böden in Brandenburg sehr sandig sind und nicht so ertragreich.
Unsere Methoden der Bodenbewirtschaftung sind wirklich besser für die Umwelt, gerade in Zeiten der Dürren.
Bösel steht auf und schaut sich um. Bevor er weitere Details erklärt, wird er erst mal grundsätzlich. „Ein guter Boden ist nun mal die Grundlage von fast allem, was wir Landwirte in Zeiten des Klimawandels leisten können und müssen“, sagt er und schiebt sein Basecap zurecht, das er immer mit dem Schirm nach hinten trägt. Ohne einen guten Boden könnten viele andere Ideen des notwendigen Umsteuerns gar nicht funktionieren.
Bei jeder neuen Idee ist erst mal auch Skepsis angesagt, so auch bei Benedikt Bösel: Der stammt zwar aus einer alten Bauernfamilie, hat aber den Hof nicht übernommen, sondern zog in die weite Welt. Der studierte Wirtschaftsmathematiker und Agrarökonom war zehn Jahre in der Finanzbranche, auch als Investmentbanker, und arbeitete mit Start-ups. Und obwohl die oft mit der Agrarbranche zu tun hatten, merkte er, dass ihm etwas fehlte, vor allem ein Sinn. Deshalb übernahm er 2016 den Hof der Familie.
Er ist also ein Quereinsteiger – und nun gleich ein Visionär? Er erzählt, dass er zuerst viel Geld in moderne Technik stecken wollte, dass er die Abläufe digitalisieren wollte. „Doch im Dürresommer 2018 begriff ich, dass ich dann zwar viel Geld investiert hätte, dass das aber unseren Boden hier kein Stück besser gemacht hätte.“ Also fing er an zu suchen, fand im Internet Methoden von anderen Landwirten aus aller Welt, Brasilien, Schweiz, Südafrika. Er sammelte Wissen, wurde tatsächlich eine Art Vorreiter, der auch die eigene Branche überzeugte.
Benedikt Bösel ist der Landwirt des Jahres 2022
Jedes Jahr werden beim Ceres Award, dem wichtigsten Preis der Landwirtschaft, Bauern in zehn Einzelkategorien ausgezeichnet, dazu kommt der Hauptpreis „Landwirt des Jahres“. Bösel erhielt diesen Hauptpreis im Jahr 2022, vor allem wegen seiner neuen Art der Landwirtschaft. In der Begründung heißt es, dass viele Bauern zwar die grundlegenden Probleme längst erkannt hätten, sich aber gezwungen sähen, weiter wie bisher zu wirtschaften. Bösel aber gehe konsequent neue Wege.
Um diese Wege zu erklären, ist er auf seinem Acker unterwegs. Und der sieht etwas gewöhnungsbedürftig aus. Das Feld zieht sich fast einen Kilometer die Straße entlang. Üblicherweise sind gerade die Felder in Ostdeutschland besonders groß, ideale Spielwiesen für große Technik. Doch das hier ist kein endloses Feld, sondern hier ziehen sich alle 30 Meter lange Baumreihen über den Acker, und nur ein kleines Stück weiter grasen ein paar schwarze und braune Rinder. Immer wieder weht ein gemütliches Muuuhhh herüber. Üblicherweise sind Getreidefelder, Weiden und Baumplantagen fein säuberlich voneinander getrennt. Hier aber scheint alles irgendwie eins zu sein. Kraut und Rüben eben.

Benedikt Bösel lächelt und spricht von Multifunktionalität, also von den verschiedenen Aufgaben, die hier zusammengeführt werden. Er geht hinüber zu den langen Baumreihen. Die Idee: Die Bäume schützen davor, dass der Wind den wertvollen Boden wegbläst oder zusätzlich austrocknet. Und sie spenden Schatten gegen die Verdunstung. „Und wenn wir in solche Baumstreifen noch Pflaumenbäume, Apfel- oder Nussbäume pflanzen, können wir auch noch Obst ernten und verkaufen.“
Verstanden. Aber was sollen die Kühe neben dem Getreidefeld? Auch hier geht es wieder um ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Bislang war die Sache mit der Landwirtschaft meist recht eindimensional: Der Boden war einfach nur ein Produktionsmittel, aus dem möglichst ein maximaler Ertrag herausgeholt wurde. Mit Dünger, Unkrautgiften und moderner Technik. Bei Bösel aber sollen die Eingriffe möglichst gering sein. Die Natur soll möglichst viel allein regeln. So werden die Roggenfelder gleich nach der Ernte ganz von allein zu einer Weide für die Kühe.
Bösel streicht auf dem Boden das trockene Stroh beiseite und zeigt ein kleines dreiblättriges Kleeblatt. „Das steht nicht zufällig hier“, sagt er. „Das ist eine sogenannte Untersaat.“ Diese Gräser und Kleearten wurden gleich mit der Hauptfrucht dieses Feldes gesät, dem Roggen. Der Trick ist simpel. Bei anderen Bauern wächst unter dem Roggen reichlich Unkraut, das nach der Ernte schnell untergepflügt wird. Bei Bösel kann aber nicht viel Unkraut sprießen, weil dort schon der Klee und all das andere wächst.
Eine Kuh mit beeindruckenden Hörnern
„Und sobald oben der Roggen geerntet ist, bekommt die Untersaat am Boden reichlich Luft und Licht und Sonne.“ So verwandelt sich das Getreidefeld schnell in eine Weide. Das ist wichtig, denn Getreide wird meist im Hochsommer geerntet. Da sollte kein Acker braun daliegen und austrocknen. Da ist es doch viel besser, wenn gleich wieder neues Grün sprießt.
Benedikt Bösel steigt über den Elektrozaun und geht mitten in die Kuhherde. Die meisten Tiere stört es nicht, sie heben nur kurz den Kopf. Eine Kuh mit beeindruckenden Hörnern stellt sich auf, breitbeinig und mit prüfendem Blick. Als sie Bösel erkennt, senkt sie wieder den Kopf und frisst gemächlich weiter.
Ich will auch ein wenig Hoffnung machen. Viele junge Leute sind recht verzweifelt wegen der Klimakrise.
Der Landwirt sagt, dass die Tiere das ganze Jahr über draußen sind. Er erzählt, dass auf den Weiden ein entscheidender Trick angewendet wird, um die Kräfte der Natur zu nutzen: Die Kühe werden drei- bis fünfmal pro Tag auf der Weide ein Stück weiter getrieben. „Sie warten vorher schon am Zaun auf uns, dass es losgeht“, sagt Benedikt Bösel, als er die Rote Zora streichelt, eine imposante Kuh, die eines seiner ersten Tiere war. Kaum sind die Kühe dann auf dem neuen Stück Land, werden sie zu Fresskonkurrenten ums Futter und grasen schnell die oberen frischen Triebe ab. Doch bevor sie so viel von den Pflanzen wegfressen, dass die Pflanzen eingehen würden, kommen Bösels Leute und treiben die Kühe wieder ein Stück weiter. Nun fühlen sich die angefressenen Pflanzen motiviert, besonders kräftig nachzuwachsen. „So holen wir das Maximum an Photosyntheseleistung heraus“, sagt er.

Das immer neue Grün bindet maximal Kohlendioxid und leistet so einen Beitrag zur Eindämmung der Folgen des Klimawandels. Aber die Landwirte handeln nicht selbstlos. Bösel war Investmentbanker und weiß, die Sache muss sich auch rechnen. Das tut sie: Denn das immer frische Grün wird natürliches Futter. Der Landwirt spart Futterkosten und bekommt bestes Biofleisch. Alle profitieren: die Bauern, die Gesellschaft, die Natur.
Das Buch von Benedikt Bösel heißt „Rebellen der Erde“
Bösel hat eine Stiftung gegründet, arbeitet mit Instituten und Universitäten zusammen und bekommt Fördergeld für Forschungsprojekte. Er sagt: „Wir wollen den Beweis antreten, dass solche Methoden nicht nur gut für die Natur und auch profitabel sein können, sondern sogar profitabler als herkömmliche Formen der Landwirtschaft.“
Nun steigt er ins Auto, fährt zurück nach Alt-Madlitz. Unterwegs erzählt er von dem Buch „Rebellen der Erde“, das er geschrieben hat und das diese Woche erscheint. Er hält auch regelmäßig Vorträge, Hunderte Leute kommen vorbei, um sich seine Methoden anzuschauen. Sie besuchen den Hof in Alt-Madlitz, auf den er nun fährt. An der alten Rotklinker-Scheune steht in goldenen Buchstaben: gräfliche Schlossbäckerei. Das ist noch vom Vorgänger. Bösel hat bei aller Ernsthaftigkeit auch Humor: Sein Bauernhof firmiert unter dem Namen „Gut & Bösel“.
Als er über den Hof läuft, sagt er über sein Buch: „Ich will auch ein wenig Hoffnung machen. Viele junge Leute sind recht verzweifelt wegen der Klimakrise.“ Da hat er recht: Fridays for Future, Klimakleber, der Volksentscheid über eine frühere Klimaneutralität in Berlin. „Mit dem Buch will ich auch einen Weg aufzeigen, dass es sich lohnt, nicht nur zu hadern, sondern sich auch zu engagieren, zu suchen, zu lernen und dann einen Weg zu finden, um sich einzubringen und endlich zu handeln.“

Es funktioniert. Bei ihm arbeiten vor allem junge Leute. Immerhin 30 fest angestellte Mitarbeiter. Als er ins Büro kommt, ist die Stimmung entspannt, die Begrüßung kumpelhaft mit Umarmung. Ein paar Worte über die Familie und den bisherigen Tag. Es wird gescherzt und gelacht. Hier ist nicht gleich klar, wer der Chef ist.
Sein Team wird Benedikt Bösel in nächster Zeit wohl öfter brauchen. Denn sein Buch passt perfekt in die Zeit, ist nicht nur Weckruf, sondern zeigt Auswege. Er wird demnächst in Talkshows sitzen und erklären, warum Landwirte nicht die Buhmänner der Nation sind, die oft auf Massentierhaltung und Glyphosat reduziert werden, sondern auch Leute mit echten Ideen. Bösel kann seine Vision so schlüssig erklären, dass auch Städter viel besser verstehen, warum die Wendung Kraut und Rüben längst kein Vorwurf mehr ist, sondern ein Lob.



