Flüchtlinge in Berlin

Flüchtlingszahlen in Berlin: Vervierfacht an nur einem Tag

Noch reichen in Berlin die Unterkünfte für ukrainische Kriegsflüchtlinge. Doch es werden neue Orte gesucht. Im Gespräch ist auch der alte Flughafen Tegel.

Treffen vor dem Roten Rathaus: Berlins Regierungschefin Franziska Giffey am Mittwoch mit einer Gruppe ukrainischer Frauen
Treffen vor dem Roten Rathaus: Berlins Regierungschefin Franziska Giffey am Mittwoch mit einer Gruppe ukrainischer FrauenBerliner Zeitung/Markus Wächter

Die Zahl der täglich in Berlin registrierten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine hat sich binnen 24 Stunden vervierfacht. Waren es am Montag noch 350 Menschen, die der Senat versorgen und im Zweifel unterbringen musste, wurden am Dienstag bereits 1400 Menschen bei den Behörden vorstellig. Längst sucht die Landesregierung nach weiteren Unterbringungsmöglichkeiten. Es wird deutlich, dass die zunächst angenommene Zahl von 20.000 zu erwartenden Flüchtlingen, die die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Dienstag nannte,  wohl zu niedrig ist.

Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping sprach am Mittwoch von einer „extremst dynamischen Situation“ und einer, verglichen zum Vortag, „noch mal dramatisch veränderten Lage“. Es gebe einen „unglaublichen sprunghaften Anstieg“ bei der Zahl der ankommenden Menschen. In der Nacht waren rund 1300 Menschen per Zug in der Hauptstadt eingetroffen.

Um ein Gefühl für die Lage zu bekommen, leistete die Linke-Politikerin eine Nachtschicht im Krisenstab ihrer Senatsverwaltung, wie sie am Mittwochvormittag berichtete. Oberste Aufgabe: die Koordinierung der Hilfe.

Diese Hilfe wird den Ankommenden inzwischen vor allem an zwei Orten in der Stadt zuteil. Im Ankunftszentrum des Landes Berlin an der Oranienburger Straße in Reinickendorf können sich Flüchtlinge registrieren lassen, medizinische Erstversorgung in Anspruch nehmen, aber auch einen Schlafplatz für die ersten Tage in Sicherheit bekommen.

Ehrenamtliche empfangen Flüchtlinge am Hauptbahnhof mit Essen, Getränken und Decken

Zweiter Anlaufpunkt ist nun auch ein Infopunkt am Hauptbahnhof. Dort versorgen Ehrenamtliche die Ankommenden mit Essen, Getränken, Decken und schicken sie zu den Shuttlebussen, die zum Ankunftszentrum fahren. Sie sei den Ehrenamtlichen „unendlich dankbar“, sagte Kipping und kündigte an, dass sich nun auch Mitarbeiter der Senatsverwaltung am Infopunkt beteiligen würden.

Einen besonderen Kraftakt mussten die Helfer dort am Dienstagabend bewältigen. Ein Zug voller Flüchtlinge aus Warschau hatte Verspätung und kam erst nach 23 Uhr an. Am Mittwoch wurden erneut fünf Direktzüge aus Warschau erwartet.

Nach Kippings Worten meldet die Bundespolizei die bevorstehende Ankunft der Züge in Berlin. Hinweise über Busse und Autos, die die Grenze von Polen nach Deutschland passieren, gebe es aber nicht. Das bedeutet, dass die Anzahl der Menschen, die auf diesem Wege bereits gekommen sind, völlig offen sei. Viele kämen privat unter und würden nicht erfasst. Sie wisse jedoch von einem Bus mit 120 jüdischen Waisenkindern und 30 Begleitern, der Odessa mit dem Ziel Berlin verlassen habe, so die Senatorin.

Um tatsächlich ausreichend Platz für alle Hilfesuchenden zu schaffen, müsse Berlin „großflächige Strukturen“ schaffen, so Kipping. Wo eine geplante große Unterkunft entstehen soll, wollte sie noch nicht verraten. Im Gespräch ist dem Vernehmen nach der leer stehende ehemalige Flughafen Tegel.

Als große Unterkunft bietet sich der leer stehende Flughafen Tegel an

Bislang habe jeder ankommende Flüchtling ein Bett bekommen, sagte die Senatorin. Schlafplätze gibt es derzeit an der Emser Straße in Neukölln, in Buch wurde ein ehemaliges Containerdorf an der Groscurthstraße reaktiviert, weitere Unterkünfte befinden sich am Rohrdamm in Siemensstadt und an der Gubener Straße in Friedrichshain. Und auch auf dem Gelände des Ankunftszentrums in Reinickendorf sei ein weiteres Gebäude hergerichtet worden.

Nach weiteren Unterkünften sollen nun die Bezirke forschen, wie auf einer Sitzung des Rats der Bürgermeister zusammen mit der Regierenden Bürgermeisterin Giffey am Mittwochmorgen festgelegt wurde. Das Bezirksamt von Lichtenberg zum Beispiel stelle jetzt Listen mit denkbaren Unterkünften zusammen. „Das geht von Hostels über Hotels, aber auch andere Möglichkeiten“, sagte Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke) der Berliner Zeitung. Alles, nur keine Turnhallen. „Das wäre der Worst Case“, so Grunst, der schlimmste Fall.

Berliner Bezirke suchen nach weiteren Unterkünften

So weit ist es in Berlin noch lange nicht. Dennoch ärgert sich Senatorin Kipping über Äußerungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Ein Sprecher hatte am Dienstag gesagt, man gehe derzeit von keiner großen Flüchtlingsbewegung nach Deutschland aus. „So eine Aussage macht mich fassungslos“, sagte Kipping.

Ein Hindernis sei, dass die Frage des künftigen Aufenthaltsstatus der Ukrainer von der Bundesregierung immer noch nicht rechtlich geklärt sei, so Kipping. Das erschwere die Arbeit sehr. Ukrainer müssen in Deutschland kein politisches Asyl beantragen, sondern können ohne Visum einreisen.

Noch läuft jedoch in der EU das Verfahren, dass Ukrainer europaweit als Kriegsflüchtlinge mit einem Aufenthaltsstatus anerkannt werden sollen. Noch sind Details zu klären, doch es gibt positive Signale aus Brüssel. Um den Flüchtlingen schnellen Schutz zu gewähren, schlug die EU-Kommission am Mittwoch offiziell vor, EU-Regeln für den Fall eines „massenhaften Zustroms“ von Vertriebenen in Kraft zu setzen. Das würde den Menschen vorübergehenden Schutz ohne langes Asylverfahren garantieren.