Protestaktion

Flüchtlingsheim durch die Hintertür: Wie der Senat Pankower ausmanövriert

Mittels Sonderbaurecht will der Senat Unterkünfte für 400 Flüchtlinge durchboxen und dafür 100 Bäume fällen. Anwohner starten eine letzte Protestaktion.

Anwohner protestieren gegen den Bau einer Flüchtlingsunterkunft in ihrem Hof und gegen das Fällen von Bäumen. Sie markieren die entsprechenden Bäume mit weißer Farbe. 
Anwohner protestieren gegen den Bau einer Flüchtlingsunterkunft in ihrem Hof und gegen das Fällen von Bäumen. Sie markieren die entsprechenden Bäume mit weißer Farbe. Markus Waechter/Berliner Zeitung

Der Duft von frisch gebackenem Kuchen, begleitetet von Stuhlklappern und Tischrücken, erfüllt an diesem Sonntagmorgen einen Pankower Hinterhof in der Ossietzkystraße. Doch hier findet kein verspätetes Sommerfest statt. Niemand ist in Feierlaune. Lässt man den Blick ein wenig schweifen, springen all die gelben Kreuze an den umliegenden Bäumen ins Auge. An den Balkonen sind rote und grüne Plakate angebracht. „Klimanotlage Berlin“ und „100 Bäume müssen bleiben“ steht da.

Unter dem Motto „Baumschutz-Aktionstag“ haben die Mitglieder der Bürgerinitiative Gründer-Kiez Pankow am Sonntagnachmittag zu einer Protestaktion aufgerufen. Das Programm sieht ein Zeltcamp, eine Baum-Wache und ein Konzert vor. Kurz nach 13 Uhr erscheinen Anwohner mit Pinseln, sie tragen weiße, umweltfreundliche Farbe an den Bäumen auf. Die Aktion hat eine lange Vorgeschichte. Die Anwohner sprechen von Lug, Betrug und undemokratischen Entscheidungen. Im Zentrum stehen der Bau zweier Flüchtlingsunterkünfte und die Rodung von mehr als 100 Bäumen in zwei Pankower Hinterhöfen.

Die Gesobau lässt nicht locker und hat ein Schlupfloch gefunden

Auf den ersten Blick scheint das Problem klar. Die Anwohner wehren sich gegen den Bau zweier Flüchtlingsunterkünfte, ganz nach dem Motto: gerne woanders, aber nicht bei uns. Tatsächlich ist die Situation jedoch komplizierter. Der Frust der Anwohner beruht nicht auf der Tatsache, dass 400 vorwiegend männliche Flüchtlinge bald zu ihren Nachbarn zählen sollen. Die Sprecherin der Initiative, Britta Krehl, erklärt, dass vor allem das Vorgehen des Senats die Bürger wütend macht. Die Stadt wolle ein seit Jahren geplantes, aber vom Bezirk Pankow abgelehntes Bauprojekt durch die Hintertür durchboxen.

Vor vier Jahren legte die Gesobau den Anwohnern ihre Pläne zur Bebauung der Hinterhöfe vor. Zum damaligen Zeitpunkt sah der Projektentwurf den Bau gewöhnlicher Wohnhäuser vor. Das Bezirksamt Pankow lehnte den Antrag mit Verweis auf die in Pankow ausgerufene Klimanotlage jedoch ab. Die Bäume im Hinterhof hatten also damals Priorität. Mit Unterstützung der Bezirksverwaltung wurden Alternativen erarbeitet und Kompromisse gesucht. Letztlich legten die Anwohner mit der Bezirksverwaltung Pankow folgenden Kompromiss vor: 60 Wohneinheiten sollten gebaut, die meisten Bäume und der Spielplatz erhalten werden. Im Januar dann der Schock: Der Senat und die Gesobau nutzen nun das Sonderbaurecht für Flüchtlingsunterkünfte. Die Hinterhöfe sollen zugebaut werden.

Pankow könnte zum sozialen Brennpunkt werden

„Der Kessel dampft, aber so richtig“, sagt ein Anwohner und blickt zu Boden. Die Stimmung ist aufgeheizt und traurig zugleich. Es ist eine Mischung aus Verzweiflung und Sorge, die sich in den noch grünen Hinterhöfen breitmacht. Eine Anwohnerin bestätigt: „Ja, wir haben Angst. Das wird ein sozialer Brennpunkt werden.“ In Pankow mangele es bereits jetzt an Kita-, Schul- und Spielplätzen. Auch Ärzte gibt es viel zu wenige, fügt eine Anwohnerin hinzu. „Die Infrastruktur ist nicht gegeben, um 400 zusätzliche Personen unterzubringen.“

Das ganze Verfahren und der Umgang der Gesobau mit den Anwohnern sei in „größtem Maße demokratieschädlich“, sagt Christian Ommert. Er lebt einige Straßen entfernt, kennt sich aus beruflichen Gründen mit Bauvorhaben sehr gut aus. „Das eigentlich Demokratiefeindliche ist das Verfahren. Die Bäume und der Spielplatz kommen noch hinzu“, sagt Ommert. Jürgen Roth, ebenfalls Anwohner und Eigentümer, nickt zustimmend und ergänzt: „Da setzt das Vertrauen in die Demokratie irgendwann aus.“ Die Anwohner sind sich einig: Notstände werden gegeneinander ausgespielt und Entscheidungen getroffen, ohne Rücksicht auf Verluste.

38 Berliner Initiativen teilen die Erfahrung der Pankower

Die grünen Höfe der in den 1950er-Jahren erbauten DDR-Siedlung bedeuten den Anwohnern viel. Sie sind Treffpunkt, Rückzugsort und werden auch von umliegenden Kitas als Spielfläche genutzt. Einige der Bewohner, die schon seit mehr als 40 Jahren im Schlosskiez leben, haben den Bäumen beim Wachsen zugesehen, den Setzling damals eigenhändig eingepflanzt. Zudem hat jeder Baum einen Paten. Auf kleinen Holzschildern, die an der Rinde befestigt wurden, sind die Namen eingraviert. Einer der Baumpaten ist Gregor Gysi – für einen stattlichen Kastanienbaum am hinteren Ende der Wohnsiedlung.

Nach und nach füllt sich der Innenhof. Ein großer Teil der Wiese ist mittlerweile vollständig mit Schildern bedeckt. Nicht nur die Anwohner der umliegenden Häuser sind gekommen. Mitglieder anderer Berliner Bürgerinitiativen zeigen ihre Solidarität – sie haben die gleichen Probleme. Gegen 14 Uhr sind circa 30 Leute in einem der Höfe versammelt. In Gesprächen wird deutlich, dass der Umgang der Senatsverwaltung mit den Bürgern in der Ossietzkystraße kein Einzelfall ist. In Lichtenberg, in Neukölln und vielen anderen Bezirken haben sich Bürger zusammengetan, um gegen Bauvorhaben des Senats vorzugehen. Mehr als 38 Initiativen, die im neu gegründeten Berliner Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung (BBNS) zusammengefasst sind, unterstützen sich gegenseitig.

Im Oktober soll es losgehen

Gespräche mit Politikern wurden bereits vielfach geführt, blieben aber erfolglos. Ein offener Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, und eine Petition, die bereits von knapp 5000 Personen unterzeichnet wurde, sind der wohl letzte Versuch, das Ruder noch rumzureißen. Ehemalige Bezirksbürgermeister, Architekten und Künstler aus ganz Berlin haben bereits unterschrieben.

Auf die Frage, ob man wegziehen werde, wenn das Projekt tatsächlich umgesetzt, die ersten Bäume im Oktober gefällt werden, setzt Schweigen ein. Für viele der Anwesenden scheint ein Umzug die einzige Option zu sein. Was mit den Gebäuden passiert, wenn der Mietvertrag mit dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten in einigen Jahren ausläuft, ist unklar. Anschließend kann die Gesobau die Wohnungen zu regulären Konditionen vermieten. Genauso, wie es ganz zu Beginn geplant war. Wenn kein Wunder geschieht, werden ab Oktober keine Vögel mehr zwitschern und der Lärm von Kettensägen wird dann den Ton angeben. Danach werden Bagger rollen, die grünen Wiesen werden verschwinden. Baustaub, Baulärm, Chaos – Idylle und Ruhe gehören der Vergangenheit an.