Eine Familie wollte in den Sommerferien endlich die Verwandten in Marokko wiedersehen. Ein Ehepaar sich in Norditalien erholen, extra vor den großen Ferien, drei Freundinnen zum ersten Mal nach Sardinien. Ein Klub von 15 Frauen wollte ein Wochenende in Kopenhagen verbringen, Ausstellungen sehen, vor allem: wieder gemeinsam verreisen. Eine Familie wollte von Dubrovnik nach Hause, nach Berlin.
Alle hatten gut geplant – bis ihre Flüge plötzlich abgesagt wurden. Der Wochenendtrip der Frauen fiel komplett aus, der Hinflug wurde gestrichen, nur Stunden vor der Abreise. Die Familien, das Paar und die Freundinnen mussten spontan umplanen, viel Geld für Notübernachtungen oder neue Flüge zahlen. Alle haben erlebt, was vielen Berlinern in den kommenden Wochen bevorstehen dürfte: das Flugchaos, das die Hoffnungen auf einen Reisesommer, der so wird wie früher, zunichtemacht.
Allein in der vergangenen Woche fielen am BER 6,3 Prozent der Flüge aus
Zwei Jahre lang konnten, sollten oder wollten viele Menschen wegen der Corona-Pandemie nicht verreisen. Zumindest nicht mit dem Flugzeug. Es gab Verbote, Appelle, Einschränkungen. Umso größer war die Vorfreude auf die Ferien in diesem Jahr.
Nun sind Flüge verspätet, werden verschoben, ganz abgesagt. Am Flughafen Berlin Brandenburg, kurz BER, fielen allein in der vergangenen Woche 232 Starts und Landungen aus. Das sind rund 6,3 Prozent der Flugbewegungen. Da die meisten Flüge derzeit mehr als gut gebucht sind, kann man von weit mehr als 30.000 Betroffenen ausgehen. In dieser Woche meldete die Flughafengesellschaft FBB allein bis Mittwoch 81 ausgefallene Starts und Landungen. Das Problem bleibt – und es betrifft viele Menschen.
Das System ist überlastet. Während der Corona-Pandemie haben viele Beschäftigte die Branche verlassen. Dass die Zahl der Erkrankungen nun wieder steigt, bekommen Airlines und Fluggäste zu spüren. Technische Probleme und rechtliche Restriktionen wirken sich ebenfalls aus. Carsten Spohr, Chef der Lufthansa, hat sich vorauseilend entschuldigt. Die Lage werde sich „kurzfristig kaum verbessern“. Es fehle Personal, die Kapazitäten seien nicht so schnell hochzufahren. So geht es auch anderen Fluglinien.
Die Tickets hatten sie allerdings verkauft – zum Teil schon vor Monaten.
Aziz Akabach plante seinen Sommer, anders als offenbar die Fluggesellschaften, schon im Februar gründlich. Seine Familie will nach Marokko, das Land, aus dem sie stammen, die Söhne waren zwei Jahre nicht da, seine Frau sogar schon seit vier Jahren. Akabach buchte Flüge für den ersten Tag der Sommerferien in Berlin für seinen kleinen Sohn und seine Frau. Der ältere Sohn sollte vorfliegen, Akabach will mit seinem Bruder im Auto fahren.
Für die Reise Berlin–Agadir muss eine Familie nun das Dreifache zahlen
Aziz Akabach lebt mit seiner Familie in Spandau und betreibt im Berliner Verlag (in dem auch die Berliner Zeitung erscheint) ein Café. Dort zeigt er die Buchungen – und die Absage. Er war bei einem Internetreisebüro fündig geworden: Berlin–Manchester–Agadir, 7. Juli hin, 28. zurück, für zwei Personen zahlte er im Februar 335 Euro. Die Strecke Berlin–Manchester sollte Easyjet übernehmen, den zweiten Teil der Reise Ryanair. Am 17. Juni kam die schlechte Nachricht: Easyjet hatte die Flüge gestrichen.
Eine Sprecherin von Easyjet in Berlin sagt, es gebe „branchenweit operative Probleme, die sich derzeit auf den Flugbetrieb der Fluggesellschaften auswirken“. Deshalb habe man „eine Reihe von Flügen vorbeugend gestrichen“ , einschließlich aller Flüge zwischen dem BER und Manchester zwischen Ende Juni und Ende Oktober.

Aziz Akabach hat neue Flüge für seine Frau und den Sohn gebucht, wieder geht es am ersten Ferientag los: Von Berlin erst nach Edinburgh, von dort nach London, von dort nach Agadir, die Reise dauert mehr als zwölf Stunden, die Wartezeit am BER nicht eingerechnet – und sie müssen darauf hoffen, dass drei Fluggesellschaften die Leistungen erbringen, die sie verkauft haben: Ryanair, Easyjet und Tui Flights. Der Rückflug ist etwas bequemer, nur ein Umstieg, beide Flüge bietet Easyjet an.
Sie zahlen jetzt dreimal so viel – 994 Euro. Ohne Gepäck. „Aber dann kann das wenigstens nicht verloren gehen“, sagt Akabach.
Nichts sei bei dem Fliegen wie früher, sagt er auch. „Früher konnte man nach Agadir direkt fliegen“, viele Ferienflieger starteten ab Berlin, in ein paar Stunden war man da.
Vorbeugend gestrichen – Akabachs Familie traf eine Absage, die auf einer bewussten Entscheidung der Fluggesellschaft beruht. Steht das noch vielen Berlinern bevor? Eine Sprecherin von Easyjet teilt der Berliner Zeitung mit, man überarbeite derzeit immer noch das Flugprogramm. „Wir gehen jedoch nicht davon aus, dass die Flüge von und zum BER von diesen Anpassungen stark betroffen sein werden.“ Die „überwiegende Mehrheit“ der Flüge werde stattfinden.
Ein anderes Beispiel, ein anderer Grund für eine Absage: Das lange geplante Kopenhagen-Wochenende von 15 Frauen, die im Inner-Wheel-Klub Berlin-Mitte organisiert sind, fiel einem Warnstreik von Verdi zum Opfer. Führungen, Hotels, Tische in Restaurants waren reserviert, „die Vorfreude riesengroß“, sagt eine der Frauen. Am 10. Juni sollte es losgehen, morgens um sieben vom BER. Gegen 23 Uhr am Abend zuvor rief eine Frau die anderen an: Flug annulliert. Easyjet bestätigt, der Flug sei wegen des Streiks, der von 5 bis 10 Uhr dauerte, gestrichen worden. Man könne in einem solchen „bedauerlichen Fall“ umbuchen. Für die 15 Frauen ging das nicht, die Reise platzte. Aber nicht jede Reservierung vor Ort konnte kostenfrei storniert werden. Jede von ihnen sei bisher auf etwa 300 Euro hängen geblieben, sagen die Frauen.
Der Tarifstreit zwischen der britischen Fluggesellschaft und Verdi hatte sich unter anderem daran entzündet, dass die Airline ihren Beschäftigten 2022 erneut keine Gehaltserhöhung geben wollte – wie 2020 und 2021. Inzwischen haben sich beide Seiten geeinigt.
Was bleibt, sind die Probleme, mit denen Passagiere zurechtkommen müssen.
Kaum Hilfe von den Fluggesellschaften
Etwa mit diesem: Verspätungen bauen sich im Laufe des Tages immer weiter auf. Irgendwann ist es so spät, dass Flugzeugbesatzungen in den Feierabend gehen müssen. Oder das Flugzeug darf am BER nicht mehr landen, weil inzwischen die Nachtflugbeschränkungen begonnen haben. Das ist für die Fluggäste schon schlimm genug. Doch als noch schlimmer empfinden viele, wie die Airlines mit ihrer Kundschaft umgehen.
Christian Wiesenhütter, einst Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Berlin, war auf dem Weg von Schweden nach Dänemark. Mit der Easyjet-Maschine um 21.20 Uhr sollte es am vergangenen Sonnabend von Kopenhagen zurück in die Heimat gehen. Doch auf der Fahrt zum Flughafen poppte eine SMS nach der anderen auf. Der Flug würde sich auf 2.47 Uhr verschieben. Dann auf 23.46, 2.46 und schließlich auf 22.11 Uhr. Es schien, als drehe das System durch.
Als Wiesenhütter die Sicherheitskontrolle hinter sich hatte, las er auf einer Anzeigetafel: „Cancelled“ – „gestrichen“. Offizieller Grund: Restriktionen der Flugsicherung, kurz ATC. Später erfuhr der Berliner, dass auch der Hinflug vom 19.50 Uhr vom BER nach Kopenhagen öfter ausfällt. In einem ihm bekannten Fall wurden „Crew Restrictions“ angeführt. Die Besatzung musste in den Feierabend.
Glücklicherweise hatte der Zug nach Berlin auch Verspätung
„Ich sollte mich um einen anderen Flug kümmern. Mit der App klappte das nicht. Dann erfuhr ich, dass am Sonntag alle Flüge nach Berlin ausgebucht waren“, erzählt Wiesenhütter. Auch im Eurocity nach Hamburg war kein Platz mehr zu haben. Gut, dass er sich auskennt. Mit Regionalzug, Bus, Fähre, Bus und Intercity reiste er nach Berlin.
Andere Restriktionen lernte Lutz Schönfeld kennen. Er war mit einem verspäteten Ryanair-Flug auf dem Weg von Spanien zurück nach Berlin, als die Nachricht kam, dass es für eine Landung am BER inzwischen zu spät sei. „Deshalb landeten wir in Hannover“, erzählt er. Und dort waren die Passagiere auf sich allein gestellt. Schönfeld schaffte es gerade noch in den Nacht-ICE nach Berlin, der glücklicherweise ebenfalls verspätet war. In anderen Fällen hatte Ryanair Busse organisiert – die zum BER nach Schönefeld fuhren und dort zu nachtschlafender Zeit endeten. Obwohl die meisten Passagiere in die Stadt wollten.
Erst kürzlich hatte Lutz Schönfeld ein anderes Erlebnis. Kurz vor dem Beginn des Kroatien-Urlaubs teilte ihm Easyjet mit, dass der Flug von Dubrovnik zurück nach Berlin gestrichen worden sei. 15 Tage vor der Reise, einen Tag später wäre eine Entschädigung fällig geworden. Nicht nur, dass das die Freude auf den Urlaub enorm dämpfte: „Wir mussten für die gesamte Familie bei einer anderen Airline neue Tickets besorgen“ – die mit jeweils 320 Euro das Vierfache des ursprünglichen Betrags kosteten.
„Ick fahr’ jetzt nur noch nach Scharbeutz“
Wenn die Urlaubsreise in Berlin mit Handicaps startet, ist das schon unangenehm genug. Noch unangenehmer wird es, wenn die geplante Rückreise ausfällt.
So erlebte es ein Berliner Ehepaar, das von Venedig zum BER zurückfliegen wollte. Doch es musste die Maschine nach zwei Stunden auf dem Rollfeld wieder verlassen, stand am späten Abend ohne jede Hilfe am Flughafen. Der Sohn organisierte ein Hotel für eine Nacht und einen neuen Flug, beides wie zu erwarten nicht gerade preiswert. Eine technische Störung der Schweizer Flugsicherung hatte den Tag über den Betrieb durcheinandergebracht. Nun war es zu spät für eine Landung auf dem Heimatflughafen BER. Das erfuhren die Passagiere in Venedig an diesem Abend allerdings nicht, sagt der Mann, „Easyjet war komplett abgetaucht, der Schalter nicht besetzt.“ Wie die Doofen haben sie am Flughafen gestanden.







