Kinder toben unter den Wasserpilzen im Nichtschwimmerbecken des Sommerbads Kreuzberg. Im Schwimmerbecken gleich nebenan geht es ernster zur Sache. Man zieht seine Bahnen und versucht, sich dabei nicht in die Quere zu kommen. Das Freibad an der Prinzenstraße, auch Prinzenbad genannt, ist gut besucht. Wer nicht an einen See radeln will, findet in Freibädern wie diesem Abkühlung in der Berliner Juli-Hitze.
Den Badegästen ist es bei den schweißtreibenden Temperaturen vielleicht gar nicht aufgefallen: Die Berliner Bäder-Betriebe (BBB) haben schon zu Beginn der Badesaison im Mai ihre Thermostate heruntergedreht.
Das Wasser ist um bis zu zwei Grad kühler
Das Wasser in den Schwimmbecken ist durchschnittlich zwei Grad kühler als üblich. Die Wassertemperatur in den Freibädern liegt nun bei 22 bis 24 Grad statt bei 24 bis 26 Grad, in den Becken der Hallenbäder ist das Wasser 26 bis 28 Grad statt 28 bis 30 Grad warm.
Der Krieg in der Ukraine war Anfang Mai bereits seit Wochen im Gange, als die Bäder-Betriebe sich zu diesem Schritt entschlossen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck aktivierte am 30. März den Notfallplan Gas. Behörden und Energieversorger bilden in der sogenannte Frühwarnstufe einen Krisenstab, um den Gasmarkt genau zu beobachten. Die zweite Stufe des Plans wurde am 23. Juni in Kraft gesetzt. Kohlekraftwerke in der Reserve sollen nun wieder angefahren werden, damit die Gasspeicher in Deutschland geschont werden. Wann und ob die Regierung die dritte Stufe und damit den Versorgungsnotfall ausruft, hängt von den Entscheidungen des Kremls ab.
Wartung von Gaspipeline Nord Stream 1 steht bevor
Experten blicken mit Sorge auf den 11. Juli. Dann steht bis zum 21. Juli die jährliche Wartung der Gaspipeline Nord Stream 1 an. Sie transportiert Gas von russischen Förderanlagen nach Deutschland. Sollte Russland aus der zeitweisen Stilllegung eine dauerhafte machen und Deutschland kein Gas mehr liefern, wäre der Ernstfall und damit die dritte Stufe des Notfallplans Gas da. Die für den Strom- und Gasmarkt in Deutschland zuständige Bundesnetzagentur müsste Gas rationieren. Es ginge dann vorrangig an Privatwohnungen und in die Versorgung kritischer Einrichtungen.
Und: Die Energiepreise steigen, was nicht nur die Verbraucher trifft, sondern auch die Kommunen. Der Berliner Senat bereitet sich daher auf den Ernstfall vor. Womit müssen Berlinerinnen und Berliner rechnen?
Bleiben wir beim Schwimmen. Badegäste müssen sich nicht nur auf kälteres Wasser in den Becken einstellen. Dem Badebetrieb droht wegen der sich zuspitzenden Gaskrise generell das Aus. Sobald die dritte Stufe des Notfallplans Gas gilt, müssen laut Bundesnetzagentur alle Badebetriebe in Deutschland den Betrieb einstellen. Angewärmtes Wasser in den Schwimmbecken wäre dann ein Luxus, den sich Deutschland nicht mehr leisten könnte.
In Sachsen bleibt das Wasser lauwarm
Für Mieter im sächsischen Dippoldiswalde ist warmes Wasser bereits seit dem 1. Juli ein rares Gut. Eine Wohnungsgenossenschaft rationiert seit Monatsanfang das Warmwasser als Reaktion auf die gestiegenen Gaspreise. Es fließt nur noch in den Hauptnutzungszeiten morgens, mittags und abends. Ansonsten bleibt die Dusche höchstens lauwarm. Wird so etwas auch in Berlin passieren?
Wie es im Winter aussieht, steht in den Sternen.
David Eberhard, Sprecher des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), vertritt auch landeseigene Wohnungsbaugesellschaften wie die Berliner Gewobag oder Dewego. Er schließt eine Rationierung von Warmwasser in den kommenden Monaten nicht aus. „Wie es im Winter aussieht, steht in den Sternen“, sagt der Sprecher.
Wohnungsunternehmen schließen Rationierung nicht aus
Derzeit sehe er die Voraussetzung für einen solchen Schritt nicht gegeben. Mieter könnten eine Mietminderung geltend machen, sollten Vermieter Heizanlagen eigenmächtig herunterdrehen oder ausschalten. „Das müsste der Gesetzgeber nach der Ausrufung der Notfallstufe zunächst klären“, meint Eberhard.
Von der BBU vertretene Wohnungsunternehmen empfehlen Mietern, ihre Betriebskostenvorauszahlungen anzupassen, um saftige Nachzahlungen zu vermeiden. Die BBU berate ihre Mitglieder seit 20 Jahren bei der Optimierung ihrer Heizungen, so Eberhard. Deshalb sei davon auszugehen, dass das Einsparpotenzial bei den Heizanlagen bereits gut ausgeschöpft ist.
Matthias Kuder ist seit dem 15. März neuer Sprecher der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe. Die Frage, ob ihm angesichts der Herausforderung für die Energieinfrastruktur Berlins im neuen Job manchmal bange wird, beantwortet er mit einem Hinweis auf die bekannten Umstände. „Als die ersten russischen Raketen auf die Ukraine fielen, war klar, dieser Krieg wird weltweit harte Folgen haben. Auch wir spüren das immer deutlicher“, meint Kuder.
Senat hat Arbeitsgruppe eingerichtet
Er ist Teil einer Arbeitsgruppe des Landes zur Sicherheit der Berliner Energieversorgung. Sie hat sich nach dem russischen Überfall auf die Ukraine senatsübergreifend unter Federführung des Wirtschaftssenates gebildet. Die Vertreter der verschiedenen Senatsverwaltungen wollen Strategien entwickeln, um Berlin einigermaßen heil durch die kommenden Monate einer drohenden Energieknappheit zu navigieren. Ein Teil der Aufgabe: zu überlegen, wie die Verwaltung schon jetzt sparen kann, damit die Gasspeicher für die kritischen Monate im Herbst und Winter etwas weniger leer sind. Innerhalb der Arbeitsgruppe soll nun Mitte Juli eine Taskforce gebildet werden. Das kündigte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey an. Sie nannte dabei auch eine Marge von zehn Prozent, die eingespart werden soll.
Kuder sagt, dass es keinen Generalplan geben wird, der dann auf der Bezirksebene bis in jedes Behördenbüro eins zu eins durchexerziert wird. Die Arbeitsgruppe will bis Anfang August einige Vorschläge unterbreiten, wie in den verschiedenen Senatsverwaltungen Energie gespart werden könnte.
Beleuchtung wurde auf LED umgestellt
Matthias Kuder schildert die Schwierigkeiten in der Verwaltung, für die er arbeitet. Sie sitzt in einem Gebäude an der Martin-Luther-Straße. Die mit der Novelle des Energiewendegesetzes im vergangenen Jahr noch einmal forcierten Klimaschutzziele des Landes klingen zunächst wie eine Steilvorlage für weiteres Sparen in der geopolitischen Krise. Tatsächlich hat die Verwaltung laut Kuder bereits viel Sparpotenzial ausgereizt. Das Gebäude der Wirtschaftsverwaltung sei bereits Teil der sogenannten Energiesparpartnerschaften und des Programms Kohlendioxid-neutrale Verwaltung. „Wir beziehen 100 Prozent Ökostrom, haben in den vergangenen Jahren sämtliche Heizungsventile erneuert, Thermoscheiben in Fenstern eingesetzt, die bestehende Serverlandschaft durch energieeffizientere Server ersetzt und zuletzt auch unsere Beleuchtung auf LED umgestellt.“
Nun werde darüber nachgedacht, auf welche Beleuchtung seine Senatsverwaltung ganz verzichten könnte. „Bei allen Maßnahmen müssen wir natürlich aufpassen, dass wir mit dem Arbeitsschutz nicht in Konflikt kommen“, meint Kuder.
Heizung wird gewartet
Die derzeit nicht genutzten Heizungsanlagen würden im Sommer gewartet. „Das ist wichtig für eine optimale Nutzung. Wir gehen da genauso vor, wie es jetzt auch Privathaushalte tun sollten.“
Wir gehen da genauso vor, wie es jetzt auch Privatpersonen tun sollten.
Die Konsequenzen des Gasmangels seien letztlich für die Verwaltung die gleichen wie für jeden Bürger, erklärt Kuder. Neben dem Szenario eines kompletten Ausfalls der Versorgung aus Russland drohen den Behörden auch deutliche Mehrkosten durch galoppierende Energiepreise.
Bisher gilt eine Preisbindung
Die Bundesregierung hat die Preisbindung für langfristige Verträge der Kunden mit ihren Gasversorgern bisher noch nicht aufgehoben. Die derzeit gültige zweite Stufe des Notfallplans erlaubt einen solchen Schritt. Sobald das Bundeswirtschaftsministerium grünes Licht gibt, dürfen Versorgungsunternehmen ihre gestiegenen Einkaufspreise an Kunden weitergeben.
So soll verhindert werden, dass die Versorger bankrottgehen und damit auch die von ihnen bereitgestellte Infrastruktur verfällt.
Vivantes-Kliniken schulen Mitarbeiter
Kliniken gehören zu jenen Einrichtungen, die in der dritten Stufe des Notfallplans vorrangig mit Gas beliefert werden. Doch das heißt nicht, dass die Gaskrise ihnen keine Probleme bereitet. Der kommunale Klinikträger Vivantes schult derzeit seine Mitarbeiter etwa in E-Learning-Modulen darin, bei der Arbeit möglichst wenig Energie zu verbrauchen. „Aus aktuellem Anlass haben wir alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aufgerufen, überall, wo dies möglich ist, Energie zu sparen – ob im OP, auf Stationen, in Wohnbereichen oder Büros“, teilt Mischa Moriceau, Sprecherin von Vivantes, mit.
Aktuell arbeiten wir daran, technische Bereiche zu optimieren.
Gas werde in den Kliniken in Blockheizkraftwerken eingesetzt. Es gebe bereits ein DIN-zertifiziertes Energiemanagementsystem in den Vivantes-Kliniken, erläutert die Sprecherin. Doch die Kliniken loten derzeit weitere Möglichkeiten zum Energiesparen aus. „Aktuell arbeiten wir daran, technische Bereiche zu optimieren und bei allen Rohstoffen und Verbrauchsmaterialien zu hinterfragen, wo Einsparpotenziale liegen.“
Schulen setzen auf Stoßlüften
Auch Schulen gehören zur kritischen Infrastruktur. Berliner Schulen könnten nun weitere Energiesparprogramme auflegen, erwartet Martin Klesmann, Sprecher der zuständigen Senatsverwaltung. Vorbild könnten die in Zusammenarbeit mit dem Institut für Umweltfragen (UFU) entwickelten Klimaschutzprojekte in den Bezirken Pankow und Reinickendorf sein. Sie werden vom Bund gefördert. Experten des UFU unterstützen dabei Hausmeister beim Energiemanagement. Eine Schülergruppe wird im Klimaschutz geschult. Sie soll auf die Schulöffentlichkeit einwirken. 18 Schulen in Reinickendorf und 14 in Pankow kooperieren mit dem UFU. Laut Institut gibt es auch Interesse an einer Zusammenarbeit in Mitte und Marzahn-Hellersdorf.
Ein Instrument der Pandemie-Bewältigung könnte außerdem an den Schulen nützlich werden beim Energiesparen: Berliner Schulen haben Kohlendioxidmessgeräte erhalten. Sie sollen nun auch beim zielgerichteten Lüften als Beitrag zum sparsamen Umgang mit der Wärme in den Klassenzimmern helfen. Die Geräte zeigen an, wenn dicke Luft herrscht in den Klassenzimmern und Stoßlüften nötig ist.
Straßenleuchten bleiben eingeschaltet
Die Lichter in den Straßen Berlins dürfen auch bei einer weiteren Verschärfung der Lage nicht ausgehen. Das stellt Constanze Siedenburg vom Verkehrssenat klar. Straßenbeleuchtung diene der Verkehrssicherheit und könne deshalb nicht einfach abgeschaltet werden. „Die Pflicht zur Beleuchtung öffentlicher Straßen ist im Berliner Straßengesetz festgeschrieben.“
Die Schaltzeiten der Straßenlaternen seien in Berlin aber schon Ende der 1990er-Jahre so verändert worden, dass sie möglichst spät einschalten und möglichst früh ausschalten. Immer noch seien 24.000 von einst 40.000 Gaslaternen in Berlin in Betrieb. „Derzeit werden etwa 2000 pro Jahr für 6000 bis 10.000 Euro je Standort auf LED umgerüstet“, sagt Siedenburg. Dafür stünden im Doppelhaushalt 2022/23 rund zwölf Millionen Euro zur Verfügung. Trotz Versorgungskrise nimmt sich die Stadt mit der Abschaffung der Gaslaternen Zeit. Die letzte soll in acht bis zehn Jahren durch eine mit LED-Leuchte versehene Lampe ersetzt werden.
Städtetag warnt vor harten Zeiten
Die Lage ist sehr ernst.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, kann sich hingegen vorstellen, dass im Zuge der Krise Straßen in deutschen Städten im Dunkeln versinken. Das Abschalten der Straßenbeleuchtung und der Ampelschaltung in der Nacht gehören für ihn zu den „kurzfristigen Stellschrauben“ zum Herunterregulieren des Energieverbrauchs. Rathäuser, Museen und Sporthallen könnten auch Warmwasser abschalten. Vereine oder Schulklassen müssten sich dann mit kalten Duschen begnügen.






