Die erste Pumpgun, die man sieht, ist nicht mit Wasser gefüllt. Ein schmaler junger Mann trägt sie als Tattoo auf seinem Bauch, knapp über dem Bund der Badehose, die ihm wie allen hier bis zu den Knien reicht und noch trocken ist. Die zweite ist so klein, dass sie komplett in die Hand eines Jungen passt, aber immerhin eine echte Wasserpistole. Der Junge schießt einen Strahl auf die Sonnenterrasse des Sommerbads am Insulaner. Ein Wasserfädchen. Das Thermometer über dem Kiosk, an dem es Bum-Bum-Eis und Crepés mit Smarties gibt, zeigt 30 Grad im Schatten.
Es ist Donnerstag gegen halb fünf, die Schule ist aus. Vor allem Mütter mit Kleinkindern und Teenies haben sich zum Insulaner aufgemacht, Berlins neustem Skandalfreibad. Ins Wasserpistolen-Kriegsgebiet, die gechlorte No-Go-Area an der Grenze zwischen Steglitz und Schöneberg.
Seit Sonntag ist das Bad in den Schlagzeilen. 13 Funkwagen der Berliner Polizei und eine halbe Einsatzhundertschaft mussten an diesem Tag anrücken, um die Lage am Insulaner zu beruhigen. Nach einer Wasserpistolenschlacht. Sie begann um diese Zeit, halb fünf, bei allerdings 36 Grad im Schatten. Es gibt ein Handyvideo, eine Minute 26 Sekunden, auf dem man keine Wasserpistolen sieht, aber sehr viele junge Männer, die am Rand eines Beckens herumschreien, rangeln, schubsen.
Stress im Freibad, mal wieder. Nach zwei Jahren Pandemie und Zeitfenstertickets hatte man fast vergessen, dass das zum Berliner Sommer gehört. Es wird heiß, es wird voll, irgendwann knallt es. Im Prinzenbad, im Sommerbad Pankow. Vor sieben Jahren, das Columbiabad war gerade geräumt worden, berichtete die Berliner Zeitung über einen Mann, der Konfliktlotsen für Freibäder schulte. Seit damals schon fünf Jahren.
Schuld am Stress sind, den Schlagzeilen zufolge, stets die Jugendlichen aus der Innenstadt. Oder die aus den Außenbezirken. Jungs und junge Männer mit Migrationshintergrund. Auch jetzt am Insulaner, man sieht das auf dem Video. Auf Stress im Freibad folgt im Berliner Sommer meist: eine Integrationsdebatte.
Bademeister froh, „wenn heute nichts passiert“
Eine Frau, die am Sonntag im Bad am Insulaner war und den Tag furchtbar fand, sagt, da wolle sie nicht mitmachen. Migrationshintergrund hin oder her, sagt sie: „Es war einfach viel zu voll, und das bei der Hitze, da war jeder aggressiv, ich auch.“ Als sie mittags ankam, habe sie einen Bademeister sagen hören: Ich bin froh, wenn heute nichts passiert.
Ein Wunsch, der sich nicht erfüllte – aber wessen Schuld ist das jetzt? Die Frau sagt, sie würde lieber eine Debatte über die Bäderbetriebe, ihre Organisation, die Einlasspolitik führen. Deshalb erzählt sie vom Badetag, ihren Namen soll man nicht veröffentlichen, in den sozialen Netzen geht es bei diesem Thema zu hoch her.
Sie schildert den Sonntag so: Gegen zwölf traf sie am Bad ein, Mann und Kind waren vorgefahren, die Familie hatte drei Tage vorher Onlinetickets gebucht. Sie sind hier oft. Eine Schlange wie am Sonntag habe sie noch nie gesehen. Sie schätzt, dass 1000 Menschen in der prallen Sonne in Richtung der Tore drückten, fünf Sicherheitskräfte versuchten, den Überblick zu behalten. Eine Frau schrie, sie warte seit zwei Stunden. Im Bad sei es so weitergegangen. „Ich habe auch vor Corona noch nie ein so volles Schwimmbad gesehen.“ Im Becken sprang ihr ein fremdes Kind auf den Kopf.
Ab 14 Uhr wurden beide Schwimmbecken dann auch noch in voller Lautstärke mit Musik beschallt. Die Leute standen dicht an dicht im Nichtschwimmerbecken. Vermisste Kinder wurden ausgerufen, Rettungswagen kamen, „alles wie sonst, nur von allem viel mehr als sonst.“ Kurz nach 16 Uhr beschloss die Familie zu gehen, da ging es los, auf einer der Terrassen aus Stein, auf denen man an drei Seiten um das Schwimmerbecken in der Sonne liegen kann. Großes Gerangel. Schnell Polizei, die alles absperrte, „leider auch das Klo“, mehr Polizei, neue Rettungswagen, Gaffer.
Sie frage sich, ob man den Freibadbetrieb nicht besser organisieren könne. Angefangen damit, dass man Bäder bei 36 Grad nicht so voll werden lässt?
Die Berliner Polizei teilt am Montag mit, es habe im Bad am Insulaner „eine Schlägerei von etwa einhundert Personen“ gegeben, nachdem sich zwei Gruppen „spaßig“ mit Wasserpistolen bespritzt hätten. Man habe vier Tatverdächtige ermittelt, der jüngste 15, der älteste 23. Ein Security-Mitarbeiter sei leicht verletzt worden, ein zehnjähriger Junge habe einen Faustschlag abbekommen. Ein 21-Jähriger gab an, ein Messer habe ihn getroffen.
Draußen Pride-Flagge, drinnen: „Bis Du schwul?!“
Am Donnerstagnachmittag zeigt die Webseite der Bäderbetriebe an: Noch 4000 freie Plätze am Insulaner. Am Eingang steht niemand an. Die Schwimmbecken sind voll, aber mit Konzentration kann man Bahnen schwimmen. Zwei Frauen reden dabei über ihren Bürojob. Vor dem Bad hängt die Pride-Flagge. Im Bad rufen die Kids: „Bist du schwul?!“ Eine Frau erklärt einem Mann, der wissen will, woher sie komme, sie sei aus Palästina. Und teilt ihm noch mit: „Israel gibt es nicht“.
Das Bad wurde in den Zwanzigerjahren eröffnet und in den Fünfzigern komplett umgebaut. So sieht es immer noch aus, schon der Schriftzug am Eingang ist schöner als an jedem anderen Bad. Außerdem liegt das Bad in einem riesigen Park. Eine Kollegin, die das Glück hat, in der Nähe zu wohnen, sagt zärtlich „das Insu“, sie schwimmt dort vor der Arbeit. Neulich habe eine andere Schwimmerin einen Flip-Flop vermisst und geschimpft, alles werde hier inzwischen geklaut.
Die Jungs, über die alle am liebsten schimpfen, seien um die Wette getaucht, um die Sandale zu finden, ein Kind habe sie dann draußen entdeckt. Profis bringen sich ein Vorhängeschloss mit, dann kann man Handy und Geld in kleine Fächer schließen. Gleich neben dem Eingang zum Bad ist der zum Freilufttheater der Shakespeare Company.
Es werden Burkinis getragen. Bikinis. T-Shirts im Wasser. Es werden Slushis getrunken. Die Bademeisterin ruft: Nicht vom Beckenrand. Du gehst gleich nach Hause. Leine loslassen. Wir lassen jetzt alle zum allerletzten Mal die Leine los! Der Bademeister, der die Sprungtürme im Blick hält, ruft: Stellt euch hinten an. Hinten anstellen. Sag mal, könnt ihr nicht hören?
Am Freitag meldet sich der Pressesprecher der Berliner Bäderbetriebe endlich zurück. Matthias Oloew spricht über das Handyvideo, das „einen unschönen Moment“ zeige, „keine Frage“, aber eben nur einen Moment. Der Badebetrieb am Insulaner sei nicht einmal abgebrochen worden, weil das Personal vor Ort nie den Eindruck gehabt habe, dass das nötig sei. Niemand vom Personal habe ein Messer gesehen.
109.000 Menschen haben am vergangenen Wochenende, dem ersten Hitzewochenende des Jahres, die Sommerbäder in Berlin besucht. Historisch viele? Bei weitem nicht, sagt Oloew. Im Hitzesommer 2018 seien auch mal 180.000 Gäste an einem Wochenende gekommen. Aber: „Ab einer gewissen Fülle sieht es im Freibad sehr voll aus.“
Rekord liegt derzeit bei 7000 Menschen im Bad
Bis zur Pandemie durften die Leute kommen, bis die Dienstleitung im Freibad entschied, dass es jetzt reicht. Nun gebe es eine Begrenzung pro Bad, für das am Insulaner dürfen etwa 4500 Online-Tickets pro Tag verkauft werden. Am Sonntag seien schätzungsweise 4000 Leute dagewesen, auch das weit vom Rekord entfernt, der am Insulaner bei 7000 Badegästen am Tag gelegen habe. Man mag es sich gar nicht vorstellen.
Weil am gesamten Wochenende das digitale System der Bäderbetriebe ausgefallen sei, inklusive Onlineshop, habe man keine genauen Zahlen. Nun geht das System wieder. Die Bäderbetriebe haben beschlossen, an heißen Wochenenden noch mehr Security-Leute anzufordern, 176 waren am Wochenende im Einsatz. Für jedes Bad solle eine „Stammtruppe“ an Sicherheitspersonal zusammengestellt werden. „Die ist dann immer da“, sagt Oloew.
Muss man ein volles Bad bei 36 Grad noch mit Musik beschallen? Am Insulaner habe ein Kinderfest stattgefunden, sagt Oloew. Ein Freibad sei „ein Kosmos der Gegensätze“. Menschen, die Bahnen ziehen wollen, auch er gehöre dazu, treffen auf Menschen, die sich auf laute Musik freuen.
Um kurz vor sieben wird ein Mann ermahnt, der Turnschuhe im Barfußbereich trägt. Das ist am Donnerstag der größte Eklat im Skandalbad. Die Becken leeren sich Schlag 19.30 Uhr wie von selbst. Hoffnungslos überfüllt ist nur der Bus 187, der kurz darauf Richtung U-Bahnhof Turmstraße fährt. Wochenende wieder?, fragt ein Mädchen seine Freundin. Wochenende?, sagt die Freundin. Wochenende kannste vergessen.








