Berlin- Fünf neue U-Bahn-Strecken sollen zügig geplant, die Gebühren für Anwohner-Parkausweise erhöht und die Planungen für den Straßen-Lückenschluss zwischen Marzahn und Köpenick beschleunigt werden. Vorgesehen ist auch, dass die Seilbahn zu den Gärten der Welt in Marzahn mit BVG-Fahrkarten genutzt werden kann. Wohnviertel werden mit Kiezblocks von Durchgangsverkehr befreit, im Berliner Nahverkehr soll auf allen Linien ein Fünf- oder Zehnminuten-Takt gelten. Darauf und auf viele weitere Maßnahmen haben sich SPD, Grüne und Linke während ihrer Koalitionsgespräche verständigt. Die Mobilitätsthemen, die Rot-Grün-Rot in den kommenden Jahren in Angriff nehmen sollen, füllen ein buntes Sammelsurium auf 16 Seiten.
Nach knapp zweitägigen Verhandlungen präsentierten Franziska Giffey (SPD), Bettina Jarasch (Grüne) und Klaus Lederer (Linke) ihre Ergebnisse am Freitagabend im Hotel Mercure Moa in Moabit. „Die Mobilität war eines der schweren Kapitel“, sagte Giffey. Während der Gespräche, die am Mittwochabend begannen, traten immer wieder Meinungsverschiedenheiten zutage.
Mit der U-Bahn nach Pankow Kirche und zum Flughafen BER
In der Diskussion um den Ausbau des U-Bahn-Netzes haben sich die Sozialdemokraten nun durchgesetzt. „Wir wollen den U-Bahn-Ausbau voranbringen“, sagte Franziska Giffey. Für fünf Projekte sollen Nutzen-Kosten-Untersuchungen durchgeführt werden. „Auf deren Grundlage wollen wir in die Planung einsteigen“, sagte sie. Fertige Pläne wiederum seien wichtig, um bei Bund Zuschüsse zu beantragen, die bis zu 90 Prozent der Baukosten decken können. Natürlich werde es noch Jahre dauern, bis die Strecken fertig werden. „Aber wir müssen irgendwann anfangen“, so Giffey am Freitagabend.
Die SPD-Landesvorsitzende nannte die Streckenverlängerungen von Pankow nach Pankow Kirche (Linie U2), von der Krumme Lanke zum Mexikoplatz (U3), von Rudow zum Flughafen BER, vom Rathaus Spandau nach Heerstraße Nord (beide U7) sowie von Wittenau ins Märkische Viertel (U8). „Den Bewohnern des Märkischen Viertels wird seit 40 Jahren ein U-Bahn-Anschluss versprochen, sagte Giffey. „40.000 Menschen würden davon profitieren“, sagte sie.
Bei den Grünen gab und gibt es immer wieder Kritik an den U-Bahn-Plänen der Sozialdemokraten, die nun ihren Willen bekommen. Angesichts knapper Planungsressourcen dürfe sich Berlin nicht verzetteln, heißt es. Anders als mit neuen U-Bahn-Tunneln am Stadtrand ließe sich die Mobilitätswende mit dem Bau neuer Straßenbahnstrecken in dicht besiedelten Innenstadtgebieten besser voranbringen. Neue Tramlinien seien preiswerter zu bauen und würden schneller fertig. Bei dem Bau eines Kilometers Straßenbahn würden maximal 12.000 Tonnen Kohlendioxid freigesetzt, beim Bau eines Kilometers U-Bahn würden fast 100.000 Tonnen des Klimagases frei.
Naturschützer warnen vor Kahlschlag in der Wuhlheide
Aber auch das Berliner Straßenbahn-Netz soll wachsen, sagte Linken-Politiker Klaus Lederer am Freitagabend nach den Koalitionsgesprächen. Während der nun begonnenen Legislaturperiode sollen zum Beispiel die angekündigten Strecken zum Ostkreuz oder von Pankow nach Weißensee fertiggestellt werden, sagte er. Er nannte auch die Verlängerung der M10 vom Hauptbahnhof zum U-Bahnhof Turmstraße in Moabit, deren Bau bereits begonnen hat. Lederer betonte, dass für den Ausbau des Straßenbahnnetzes zusätzliche Planungskapazitäten geschaffen werden müssten.
Konsens unter den Parteispitzen ist nun auch, dass die Vorbereitungen zum Bau der Tangentialverbindung Ost, kurz TVO, ebenfalls vorangetrieben werden sollen. „Wir wollen das Projekt beschleunigen und zügig in Szene setzen“, sagte Linken-Politiker Lederer am Freitagabend. Die Planungen für den Straßen-Lückenschluss zwischen Marzahn und Köpenick, der schon 1969 im Generalverkehrsplan von Berlin, Hauptstadt der DDR, vorkam und benachbarte Wohngebiete in Biesdorf entlasten soll, laufen schon seit Jahren. Sie wurden aber immer wieder geändert. Nach jetzigem Stand soll das Planfeststellungsverfahren 2022 beginnen. Indes warnt der Sachverständigenbeirat Naturschutz, der den Senat berät, vor dem größten Waldverlust in Berlin seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 14,6 Hektar Wald müssten in der Wuhlheide für die TVO fallen.
Woher soll zusätzliches Geld für den Nahverkehrsausbau kommen?
Allerdings soll die vierspurige Nord-Süd-Verbindung im Osten Berlins auch eine breiten Radweg bekommen und von einer „Nahverkehrstangente“ in Form einer S-Bahn-Strecke entlang des Berliner Außenrings begleitet werden - was nun bekräftigt wurde.
Für den Ausbau des Nahverkehrs soll eine zusätzliche Geldquelle erschlossen werden. Das ist seit Langem im Grundsatz Konsens unter den drei Parteien. Welche das sein aber im Einzelnen wird, bleibt aber weiterhin unklar - womit auch ein Teil der Finanzierung der geplanten Verkehrsprojekte im Ungewissen bleibt. Von der Grünen-Forderung, dass alle Berlin-Touristen verpflichtend ein Ticket für Bahn und Bus kaufen sollen, war am Freitag keine Rede mehr – schon gar nicht von einer City-Maut, wie sie Experten fordern, aber schon im bisherigen Senat skeptisch gesehen wurde. Über die dritte Finanzierungssäule, die dem Nahverkehr neben Tariferträgen und Landeszuschüssen Spielraum für Investitionen verschaffen soll, müsse man sich noch verständigen, sagte Grünen-Spitzenfrau Bettina Jarasch am Freitagabend.
Gebühren für Anwohnervignette sind „verschwindend gering“
Als eine Möglichkeit nannte Franziska Giffey die Gebühren für Anwohnerparkausweise. Mit nicht einmal einem Euro pro Monat (20,40 Euro für zwei Jahre) sei der Preis der Parkvignetten „extrem niedrig“ und „verschwindend gering“, so die SPD-Politikerin. „Das muss angepasst werden.“ So ließen sich zusätzliche Einnahmen generieren, die dem Nahverkehr zugutekommen sollen. Zudem belege jedes Auto rund sechs Quadratmeter öffentliches Straßenland.
Allerdings müsste der Tarif „mit Augenmaß und sozialverträglich“ angehoben werden, betonte Giffey. Wie viel der Anwohnerparkausweis künftig kosten soll, sagte sie nicht. Es zeichnet sich aber ab, dass Forderungen von Berliner Klimaschützern, die Gebühr je nach Fahrzeugklasse auf 80 (Kleinwagen) bis 500 Euro (SUV) pro Monat anzuheben, nicht erfüllt werden. „Viele Berliner sind auf ihr Auto angewiesen“, darauf müsse Rücksicht genommen werden, sagte die SPD-Politikerin. Berufstätige, die ihr Kraftfahrzeug benötigen, dürften nicht zu stark belastet werden, sekundierte Klaus Lederer.
Der Linken-Politiker wiederholte eine Forderung, die von der Linken schon mehrmals erhoben – aber immer wieder von der Deutschen Bahn (DB) zurückgewiesen wurde. „Der Senat soll in Gespräche mit dem Bund eintreten, die S-Bahn in Berliner Landeseigentum zu überführen“, bekräftigte Lederer Freitagabend. Franziska Giffey gab sich allerdings zurückhaltend. „Darüber werden wir noch sprechen“, sagte die Sozialdemokratin. In „laufende Prozesse“ soll nicht eingegriffen werden. Sie meinte offenbar das längst begonnene Vergabeverfahren für die Ost-West- und Nord-Süd-S-Bahn-Linien. Lederer gab sich irritiert, er hatte den Kommunalisierungsvorschlag als Konsens präsentiert.
Planungen für neue Nord-Süd-S-Bahnstrecke sollen weitergehen
Die Mobilitätswende müsse auch die Berliner Außenbezirke erreichen, betonte Grünen-Spitzenfrau Bettina Jarasch. „Wir brauchen bessere Verbindungen am Stadtrand und wollen die Verbindungen ins Umland deutlich verbessern.“ Für mehrere Projekte, die zum Schienen-Ausbauprogramm i2030 gehören, sollen die Planungen fertiggestellt werden, damit Geld beim Bund beantragt werden kann. Jarasch nannte den Wiederaufbau der Stammstrecke der Heidekrautbahn nordöstlich von Berlin, die Wiederinbetriebnahme der 1980 stillgelegten Siemensbahn von Jungfernheide nach Gartenfeld, die S-Bahn Spandau-Nauen und die Verlängerung der S75 von Wartenberg zur Schönerlinder Straße. All dies sind ebenfalls keine unbekannten Vorhaben.
Die Potsdamer Stammbahn, die einst durch den Berliner Südwesten über Zehlendorf sowie Kleinmachnow nach Potsdam-Griebnitzsee führte und 1945 unterbrochen wurde, soll neu gebaut und Teil des Deutschlandtakts werden, so Jarasch weiter. Was bedeutet, dass der neue Senat die jahrelange Diskussion mit Brandenburg endlich mit einem klaren Votum beenden soll: Die 1838 eröffnete erste Schienenstrecke nach Berlin soll als reguläre Bahntrasse, auf der Regional- und Fernverkehr möglich ist, neu entstehen. Bisher gab es in Berlin auch Stimmen für den Bau einer S-Bahn auf dieser Verbindung.
Auch in ein innerstädtischen S-Bahn-Projekt soll Bewegung kommen. Es geht um den Bau eines zweiten Nord-Süd-S-Bahn-Tunnels. Die Vorbereitungen waren ins Stocken gekommen, nachdem Befürchtungen laut geworden waren, dass der Tunnelbau das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma beeinträchtigen könnte. Das Aktionsbündnis „Unser Denkmal ist unantastbar“ erwartet eine „nie mehr wiedergutzumachende Zerstörung“. Nach der langen Debatte „wollen wir nun ins Tun kommen“, sagte Bettina Jarasch am Freitag. Die von der Deutschen Bahn (DB) zuletzt favorisierte Planungsvariante 12h, bei der eine Tunnelröhre das Reichstagsgebäude westlich und die andere das Bauwerk östlich umfahre, sollte weiter verfolgt werden, hieß es. Das Mahnmal soll „so wenig wie möglich“ beeinträchtigt werden.
Im Land Brandenburg und in den Außenbezirken sollten zudem zusätzliche Park-and-Ride-Plätze entstehen, so die Grünen-Politikerin. Mehr Expressbuslinien und ein Rufbussystem sollten den Berliner Nahverkehr ergänzen. Überall in Berlin müsse ein „Hauptstadt-Takt“ gelten, so Grünen-Politikerin Jarasch: „Ein Fünf-Minuten-Takt in dicht bebauten, ein Zehn-Minuten-Takt in weniger dicht bebauten Gebieten.“ Kein Berliner soll es weiter als 400 Meter zur nächsten Haltestelle oder Bahnstation haben.
Klimastraßen und verkehrsberuhigte Bereiche
Jarasch sprach auch von einer „Verkehrswende von unten“. Der Senat werde Bezirke unterstützen, wenn sie Kiezblocks zur Vermeidung von Durchgangsverkehr, temporäre Spielstraßen und verkehrsberuhigte Bereiche sowie Straßen durch Entsiegelung zu „Klimastraßen“ gestalten wollen. Straßenabschnitte vor Schulen sollen zu „Schulstraßen“ erklärt werden, die zeitweise für Autos tabu sind. Der Ausbau des Radwegenetzes soll beschleunigt werden - das gelte auch für die geplanten Radschnellverbindungen, so Jarasch weiter. Der Fußverkehr soll ebenfalls sicherer werden, kündigte Klaus Lederer an.
SPD-Frau Giffey nannte ein weiteres Projekt außerhalb der Berliner Innenstadt, für das sich Bürger und Politiker aus Marzahn-Hellersdorf eingesetzt hatten - unter andere der Linken-Verkehrspolitiker Kristian Ronneburg. „Wir wollen die Seilbahn zu den Gärten der Welt ins Berliner Nahverkehrsnetz überführen“, so Giffey. Die von der landeseigenen Grün Berlin betriebene Strecke über den Kienberg, auf der keine Fahrkarten des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) gelten, sei als Querverbindung wichtig. Sie werde das Berliner Nahverkehrsnetz aufwerten, so die Sozialdemokratin. Allein in diesem Jahr überwies der Senat mehr als eine Million Euro für den Betrieb der anderthalb Kilometer langen Trasse. Erwachsene zahlen für eine Hin- und Rückfahrt 6,50 Euro.





