Ich verfluche den Tag, an dem ich den Typen vom Plattenlabel traf, der zu mir sagte: „Komm nach Berlin, ich veröffentliche dein Album.“ Der Typ war eigentlich sympathisch, er war aus dem Musikbusiness und konnte diesen Satz sagen. Ich hatte das Album ja schon fast fertig und dachte: Endlich! Ein Plattenlabel! Live-Shows mit meinem Namen und dann noch in Deutschland, dem Land mit kostenloser Gesundheitsvorsorge! Ich weiß noch genau, wie ich damals euphorisch ins Meer lief, und während ich in den Fluten schwamm, fühlte ich mich wie im Himmel.
Das war an der Küste von Santorini, im Jahr 2015. Ich spielte in Griechenland einen Sommer lang in einer Piano-Bar. Ich brauchte eine Veränderung von meinem Leben in Los Angeles. Ich war Anfang 40 und wollte weg aus den USA. Ich war mittelmäßig erfolgreich als Singer-Songwriter und spielte einmal wöchentlich in einer Piano-Bar in Hollywood. Außerdem verdiente ich Geld mit Musikkritiken für ein Online-Magazin. Ich dachte, Europa passe besser zu mir. Ich kannte Paris, Athen und Lissabon. Im Jahr 2016 zog ich endgültig nach Berlin. Da wartete schließlich ein Plattenlabel auf mich. Nach acht Alben im Eigenverlag, endlich.
Ich kam in Berlin an und fand gleich ein Zimmer in einer großen WG. Und auch beruflich ging es sofort los: Ich kannte eine Drag Queen von früher, wir begannen zusammen Songs zu schreiben, unsere Lieder sollten Teil eines Soundtracks für einen Kinofilm sein. Der Regisseur war schwul und berühmt und alles war aufregend. Selbst in Hollywood war mir so etwas nie passiert. Sie wollten, dass ich das Titellied schreibe. Natürlich sagte ich zu. Der Film lief später in den Kinos, auf DVD und im Fernsehen. Geld gab es trotzdem nicht viel, genauer gesagt: 500 Euro. Aber mein Name stand im Abspann. Abends spielte ich die Songs in einer Bar. Dafür bekam ich noch einmal zehn Euro. In L.A. hatte ich zwar 250 Dollar am Abend verdient. Aber egal, ich hatte ja den Plattendeal.
Doch dann fing mein Mitbewohner an, mir auf den Keks zu gehen wegen der Krankenversicherung. Ich dachte bis dahin, in Europa ist jeder kostenlos krankenversichert. Aber ich war ein selbständiger Künstler. Als ich sah, wie teuer die Krankenversicherung in Deutschland war, bekam ich fast einen Herzinfarkt. Und: Nein, ich wollte keine Sozialhilfe beantragen. Ich wollte arbeiten! Also schloss ich eine günstige private Krankenversicherung für Ausländer ab, die aber nur fünf Jahre gilt.
Nebenbei nahm ich mein zehntes Album in Berlin auf. Für das neunte Album organisierte das Label keine Auftritte, keine Werbung, nichts wurde je im Radio gespielt. Kurz darauf verschwand das Label. Der Mann, den ich für einen Freund gehalten hatte, antwortete nicht mehr auf meine E-Mails, und als er es Monate später doch tat, behauptete er, er leide an Depressionen. Mein Album „Electric Cabaret“, für das ich Produzenten und Musiker bezahlt hatte, ist immer noch online und bei Spotify, aber ich habe nie irgendetwas daran verdient. Mein Mitbewohner lachte mich aus: „Du bist nichts als ein dummer, unkultivierter, ungebildeter amerikanischer Bastard!“
Ich fand eine kleine Wohnung am Hermannplatz für mich allein, aber noch heute kann ich sie mir im Grunde nicht leisten. Ich musste einen Teil meiner Ersparnisse nutzen, um meine Berliner Wohnung zu bezahlen. Denn obendrein waren alle Optionen für Künstler plötzlich weg, Corona zerstörte alle Auftrittsmöglichkeiten, gerade als mein neues Album herauskam. Eine kleine Buchhandlung organisierte ein Vorspiel. Nur neun Personen durften zuhören, alle saßen in großem Abstand. Immerhin: Ich sang meine Lieder vor Publikum. Wir stellten eine Spendenbox auf. Am Ende des Abends waren 40 Euro darin. Es war ein schöner Abend.
Ein paar Wochen später meldete sich die Gema und fragte, welche Lieder gespielt wurden. Die Gema kümmert sich um das Urheberrecht der Künstler, das wusste ich. Ich dachte, es sei ein Missverständnis, ich hatte ja meine eigenen Lieder gespielt. Aber man verlangte von mir ein Bußgeld in Höhe von 75 Euro, weil ich meine eigenen Lieder ohne Erlaubnis gesungen hatte. Sie sagten: Sie haben die Musik dieses Künstlers gesungen. Ich schrieb: „Das sind MEINE Lieder, ICH habe sie geschrieben!“ Ich musste das Bußgeld für das Singen meiner eigenen Lieder bezahlen, die nicht einmal bei der Gema angemeldet sind, sondern in den USA. Sie sagten, ich könne das Geld zurückbekommen, aber natürlich habe ich nie einen Cent davon wiedergesehen. Danke für nichts, Gema!
Da ich keine Arbeit und kein Einkommen hatte, ermutigte mich ein Freund, Corona-Hilfe zu beantragen. Ich tat das und bekam sie auch. Ich bezahlte meine Miete und kaufte eine Filmausrüstung, um Live-Auftritte zu filmen und einige Musikvideos zu drehen. Im November gab es eine weitere Runde der Corona-Hilfe, die ich als Selbständiger bekam. Etwa ein Jahr später aber kam eine schreckliche E-Mail, die ich kaum verstand. Ich sollte Belege und Nachweise für alles vorlegen, da ich sonst das Geld zurückzahlen müsse. Seitdem habe ich nur noch Alpträume. Alle paar Wochen kommt so eine Droh-E-Mail. Ich habe doch schon alles geschickt! Diese Stadt gibt keine Ruhe.
Vergangenes Jahr endete die fünfjährige Krankenversicherung. Ich brauchte dringend einen Job, der die deutsche Krankenversicherung bezahlt. Die Künstlersozialkasse sollte eigentlich für mich zuständig sein, aber sie beantworten meine E-Mails und Anrufe nicht mehr. In ihren Augen bin ich offenbar kein Künstler. Also musste ich einen Minijob annehmen. Jetzt arbeite ich in einem kleinen Business und verleihe Boote in Berlin. Meine Kollegen sind alle 25 Jahre jünger als ich. Der Job endet im Oktober. Was danach kommt? Keine Ahnung.
Als ich nach Berlin kam, hatte ich die Fantasie, dass ich in Pianobars arbeiten oder vielleicht sogar eine eigene eröffnen könnte. Ich dachte an die vielen Marlene-Dietrich-Filme, die ich gesehen hatte: mein eigener Salon mit einem großen schwarzen Flügel. Die Menschen würden kommen und jeder wünscht sich etwas und singt es dann oder ich singe es. Aber nein, in Berlin gibt es keine Pianobars. Ich weiß, im Hotel Adlon sitzt manchmal ein Pianist, aber es ist nicht das gleiche wie in Los Angeles. Außerdem kann man in Deutschland nicht frei musizieren. Immer steht irgendwo die Gema in der Ecke und schickt Mahnungen.
Ich glaube, was ich hier nicht mehr mag, ist die negative Grundeinstellung. Sobald ich mit einer Idee komme, sagen meine deutschen Freunde: „Nein! Unmöglich hier!“ Ich mag meine Freunde, die meisten sind gebildeter als meine Freunde in den USA, die oft noch nie ihr Land verlassen haben. Aber hier sagen alle: „Du brauchst einen Plan B.“ Ich sage dann: „Plan B? Ich lebe meinen Plan Z, verdammt.“










