Dürre in Berlin

Experte über Wassermangel in Berlin: „Das Problem wird größer werden“

In Berlin und Brandenburg wird das Wasser knapp, die Lage spitzt sich weiter zu. Ein Hydrologe erklärt die Ursachen und fordert drastische Gegenmaßnahmen.

Ausgetrockneter Teilabschnitt des Flusses Schwarze Elster in Südbrandenburg
Ausgetrockneter Teilabschnitt des Flusses Schwarze Elster in Südbrandenburgdpa/Patrick Pleul

Berliner Zeitung: Herr Koch, es mehren sich die Nachrichten, wonach in Berlin und Brandenburg ein Wassermangel droht. Wie ernst ist die Lage?

Hagen Koch: Wir sind noch nicht so weit, dass nichts mehr aus dem Hahn kommt, das nicht. Aber wir sehen in Berlin schon, und auch in anderen Teilen Deutschlands, dass die Wasserbetriebe allmählich an ihre Grenzen kommen, ausreichend Wasser zur Verfügung zu stellen. Wir haben zwar noch keine mediterranen Verhältnisse, aber vor 20 Jahren sah die Versorgungslage noch deutlich unkritischer aus.

Woran liegt das?

Das hat verschiedene Gründe. Einerseits liegt es an den trockenen und teils sehr warmen Sommern der letzten Jahre. Es gibt ja die sogenannte Klimareferenzperiode von 1961 bis 1990. Mittlerweile sind wir in Berlin etwa zwei Grad über dem Mittel dieser Jahre. Und zwei Grad höhere Temperaturen bedeuten eine 15 Prozent höhere Verdunstung. Das heißt: Alle Bäume, alle Pflanzen verdunsten stärker, ziehen mit ihren Wurzeln viel mehr Grundwasser. So geht immer mehr Wasser verloren.

Und andererseits?

Hinzu kommen der Kohleausstieg und die Einstellung des Tagebaus in der Lausitz. Jahrzehntelang wurde die Wasserversorgung Berlins über die sogenannten Sümpfungswasser sichergestellt. Das sind die Grundwassermengen, die abgepumpt werden müssen, um so einen 80 bis 100 Meter tiefen Tagebau wasserfrei zu halten. Diese Wassermengen wurden in die Spree geleitet, wodurch man hier ständig sehr viel Wasser zur Verfügung hatte. Mit dem Ausstieg nähern wir uns wieder dem natürlichen Zustand.

Und wie sieht der aus?

Berlin ist eigentlich eine Wassermangel-Region. Wenn man da eine Metropole mit fast vier Millionen Menschen hat, kann man sich ausrechnen, was das bedeutet.

Nämlich?

Das Problem wird größer werden. Die Wasserbetriebe werden in den nächsten Jahrzehnten sehr große Anstrengungen unternehmen müssen, die Versorgung sicherzustellen. Aktuell bezieht Berlin Wasser vor allem aus Dahme und Spree. Wir müssen darüber nachdenken, auch aus anderen Regionen Wasser überzuleiten. Ohne zusätzliche Wasserquellen wird es nicht gehen.

Was wären denn Regionen, aus denen man Wasser beziehen könnte?

Zum Beispiel über den Oder-Spree-Kanal aus der Oder. Da ist aber das Problem, dass die Oder ein Grenzfluss ist, man bräuchte also einen Staatsvertrag mit Polen. Das andere, innerhalb Deutschlands, wäre die Elbe. Die hat im Sommer aber selbst ordentlich Niedrigwasser. Da müsste man das Wasser in Zeiten mit höheren Pegeln über die Schwarze Elster in die Talsperren leiten, damit es für Trockenperioden zwischengespeichert werden kann. Das sind aber alles langfristige Infrastrukturprojekte, die einige Jahre brauchen werden, bis sie umgesetzt werden könnten.

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Dr. Hagen Koch. Foto: privat
Dr. Hagen Koch
stammt aus Lübben im Spreewald. Er arbeitet seit 2009 am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Seit über 20 Jahren forscht er zu den Wechselwirkungen zwischen Klima, Hydrologie, Wasserbedarf und Wasserbewirtschaftung. 2020 hat er an der TU Berlin habilitiert.

Lassen Sie uns noch einmal einen Schritt zurückgehen. Woraus speist sich das Trinkwasser hier eigentlich?

Das ist unterschiedlich. In Brandenburg wird häufig direkt Grundwasser gepumpt. Da sehen wir den langfristigen Effekt, dass die Wasserstände immer weiter absinken, weil zu wenig Niederschlag nachkommt. In Berlin ist es anders. Da wird das Wasser unter anderem aus der Spree genommen, über Flächen verregnet und dann aus dem Grundwasser angepumpt. Das ist also eine künstliche Grundwasseranreicherung.

Könnte man nicht auch einfach direkt das Wasser aus der Spree nehmen?

Durch das Versickern im Boden bekommt das Wasser schon eine Vorreinigung. Würde man das Wasser direkt anzapfen, bräuchte es in den Wasserwerken eine viel stärkere biologische und chemische Reinigung. Und eine solche Wasserbehandlung wäre deutlich teurer.

Sie sagten, dass in Brandenburg die Grundwasserspiegel absinken. Bereitet das Ihnen Sorge?

Schon, ja. Wir hatten bisher ein sehr warmes Jahr. In vielen Regionen Brandenburgs sind 40 Prozent weniger Niederschläge gefallen, als normal wäre. Man muss sehen, wie es im Juli und August weitergeht, aber es deutet sich eine sehr kritische Situation an. Um es ganz einfach zu sagen: Bei Fürstenwalde gibt es den Pegel Große Tränke, an dem der Spreezufluss nach Berlin gemessen wird. Dort muss, zur langfristigen Sicherstellung der Trinkwasserversorgung von Berlin, ein Durchfluss von acht Kubikmetern pro Sekunde eingehalten werden. In den letzten Jahren wurde der sehr häufig unterschritten, teilweise mit weniger als einem Kubikmeter.

Und wo stehen wir aktuell?

Aktuell sind wir bei vier bis sechs Kubikmetern pro Sekunde. Das ist noch nicht so schlimm. Aber wir sind auch noch am Anfang des Sommers. Da kommt den Talsperren in Sachsen und Brandenburg eine hohe Bedeutung zu, über die kann man nachsteuern. Aber eine Sache muss man da auch bedenken.

Und zwar?

Zwischen den Talsperren und Berlin liegt noch der Spreewald. Ein großes Feuchtgebiet, wo sehr viel Wasser durch Verdunstung verloren geht. Wenn da an heißen Tagen, wie in den vergangenen Wochen, zehn Kubikmeter Wasser pro Sekunde reinfließen, kommen nur noch zwei Kubikmeter raus.

Was bedeutet es konkret, wenn so viel weniger Wasser hier ankommt?

Vor ein paar Jahren war es noch so: Unter der Woche gab es einen hohen Wasserbedarf, am Wochenende fuhren viele Berlinerinnen und Berliner raus und Berlin hatte einen Wasserüberschuss. Da waren die Speicher so voll, dass diskutiert wurde, damit die Versorgung des Speckgürtels zu unterstützen. Mittlerweile sind die Berliner Wasserbetriebe froh, dass am Wochenende der Bedarf sinkt. Da können sie die Speicher wieder so weit auffüllen, dass sie durch die Woche kommen. Der Speckgürtel kann vom Berliner Wasser nichts mehr abbekommen.

Was folgt daraus, wie müsste aus Ihrer Sicht ein richtig gutes lokales Wassermanagement jetzt aussehen?

Es müsste langfristig ausgerichtet sein. Es müsste die Nutzer, also Industrie, Landwirtschaft, Bevölkerung miteinbeziehen. Auch wenn es altmodisch klingt: In der DDR gab es Kampagnen zum Energiesparen, über Fernsehen, Radio und so weiter. Man muss den Menschen noch stärker bewusst machen, dass sie zum Wassersparen einen wichtigen Beitrag leisten können und müssen.

Das klingt ziemlich dramatisch.

Ja, aber so ist die Situation. Wir haben mit 120 Litern pro Tag vielleicht keinen riesengroßen Pro-Kopf-Verbrauch, aber wir haben eben fast vier Millionen Menschen, die hier leben und Wasser nutzen. Verbrauch von Industrie und Landwirtschaft ist hier dagegen eher gering. Und wenn wir weiter einen solchen Bevölkerungszuwachs haben, dann wird irgendwann der Punkt erreicht sein, wo die Wassernutzung eingeschränkt wird.

Was meinen Sie damit?

Zum Beispiel könnte man das Gartensprengen untersagen. Unter anderem in Potsdam und Cottbus wurde das ja auch schon mal gemacht.

Darunter würden wiederum die Blumen, das Obst und das Gemüse im Garten leiden.

Es steht dann mehr im Vordergrund, dass die Menschen hier versorgt werden. Und nicht, dass ihr Rasen schön grün ist.

Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass wir auf eine Mangelsituation zusteuern?

Schon vor 20 Jahren. Bei den warmen Jahren 2003 und 2006 hat man schon gesehen, dass die niedrigen Grundwasserstände in den „normalen“ Jahren danach nicht mehr ausgeglichen wurden. Das hat sich in mehreren Jahren, insbesondere 2018, wiederholt.

Frustriert es Sie, dass wir erst heute über das Problem so richtig sprechen?

Ja, das frustriert mich sehr. Ich habe vor über 20 Jahren angefangen, in dem Gebiet zu arbeiten. Damals wurde man eigentlich immer nur als komischer Kauz beäugt. Wenn wir unsere Ergebnisse vorgestellt haben, hieß es oft: Na ja, macht mal eure Spielereien mit dem Klima. Aber damals haben wir relativ genau das abgeschätzt, was in den letzten Jahren eingetroffen ist.