Bei der Aufklärungsquote von Straftaten liegt Berlin bundesweit auf dem letzten Platz – mit gerade einmal 45,3 Prozent. Und im Berliner Landeskriminalamt stapeln sich Tausende Aufträge für DNA-Analysen, mit deren Auswertung die Polizei seit Jahren nicht hinterherkommt. Doch manche Fälle sind den Berliner und den bundesdeutschen Behörden besonders wichtig: zum Beispiel, wenn jemand die Polizei und die Bundeswehr beleidigt. Oder sie mit verfremdeten politischen Botschaften lächerlich macht. Dann kann es passieren, dass die Staatsgewalt mit voller Härte zuschlägt.
Seit einigen Jahren öffnen Akteure aus linken Gruppen immer wieder mal Schaufenstervitrinen und Werbetafeln, und verändern die Plakate von Unternehmen und Sicherheitsbehörden. So gab es die Werbekampagne der Berliner Polizei unter dem Motto „Da für Dich – Polizei Berlin“. Unbekannte machten daraus „Da für 5003 Schlagstockeinsätze und die beste G-20-Party“.
Auch ein Plakat der Bundeswehr, die IT-Leute suchte, wurde verändert. Aus „Geht Dienst an der Waffe auch ohne Waffe?“ wurde „Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe!“ Mitunter liest man auch ein Bundeswehrplakat: „Diversität beginnt bei uns ganz rechts“. Adbusting heißt diese Aktionsform, bei der Plakate verändert oder ausgetauscht werden, um das werbende Unternehmen beziehungsweise die werbende Behörde ins Lächerliche zu ziehen. Die Erfolge werden dann regelmäßig auf linken Internetseiten gefeiert.
Doch die Polizei findet solche Aktionen überhaupt nicht lustig und leitete zahlreiche Strafverfahren ein. Sie durchsuchte Wohnungen und nahm auf den beschlagnahmten Plakaten DNA-Proben. Sogar das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum und das Bundesamt für Verfassungsschutz haben sich damit befasst.
Weil Wohnungsrazzien und DNA-Abgleiche allerdings für die Verfolgung schwerer Straftaten vorgesehen sind, und weil nach Ansicht von Kritikern mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird, beschäftigt sich jetzt auch das Bundesverfassungsgericht mit dem Thema.
Eingestellt wegen Geringfügigkeit
Denn eine Jura-Studentin, die sich Frida Henkel nennt, hat gegen die Durchsuchung ihrer Wohnung Beschwerde in Karlsruhe eingelegt, gemeinsam mit den Rechtswissenschaftlern Mohamed El-Ghazi von der Universität Trier und Andreas Fischer-Lescano von der Universität Bremen.
2019 hatte die Studentin in Tempelhof ein Bundeswehrplakat durch ein verändertes Plakat ersetzt und das eingerollte Original in der Vitrine deponiert. Dabei wurde sie von einer Zivilstreife der Polizei erwischt. Im September desselben Jahres durchsuchten Beamte des Staatsschutzes in Berlin drei Wohnungen, darunter auch die von Frida Henkel.
Um die Durchsuchung und die DNA-Abgleiche zu rechtfertigen, wurden ihr und ihren Mitstreitern unter anderem Sachbeschädigung und besonders schwerer Diebstahl vorgeworfen. Allerdings stellte die zuständige Staatsanwältin das Verfahren rund drei Monate nach den Wohnungsdurchsuchungen ein – wegen Geringfügigkeit.
Strafrechtsprofessor hält Grundrechtseingriffe für unverhältnismäßig
In einem anderen Fall wurde wegen des Tatvorwurfs der „Störpropaganda gegen die Bundeswehr“ ermittelt, worauf bis zu fünf Jahre Haft stehen. Das Verfahren wurde ebenfalls eingestellt, weil kein Täter ermittelt wurde.
Bei den Adbustings entstand kein Sachschaden, wie auch die Berliner Innenverwaltung in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage einräumte. Bekleidet mit gelben Westen, um offiziell zu wirken und damit „unsichtbar“ zu sein, öffnen die Akteure mit einem Sechskantschlüssel die Schaukästen.
Entweder verändern sie die Plakate dann mit ablösbaren Klebestreifen. Oder sie hängen ein neues Plakat auf und lassen das Original zusammengerollt in der Vitrine, um dem Vorwurf des Diebstahls zu entgehen – so wie es die Jura-Studentin getan hat. Strafrechtsprofessor El-Ghazi hält deshalb auch das Vorgehen der Polizei mit Grundrechtseingriffen wie Durchsuchungen und DNA-Analysen für unverhältnismäßig, angesichts der geringen Schwere der Taten.
Berliner Justizsenatorin verzichtet auf Stellungnahme in Karlsruhe
Ob das Bundesverfassungsgericht die bereits 2020 eingereichte Beschwerde annimmt, ist nach Angaben eines Sprechers noch nicht entschieden. Nur ein geringer Prozentsatz von Tausenden Beschwerden wird in Karlsruhe zur Verhandlung überhaupt zugelassen. Allerdings ist El-Ghazi in diesem Fall äußerst optimistisch. Denn inzwischen gab das Gericht in dem Fall Gelegenheit zu Stellungnahmen – was in der Regel nicht passiert, wenn sich abzeichnet, dass eine Klage nicht angenommen wird.
Während El-Ghazi als Rechtsbeistand für die Studentin und auch die Bundesanwaltschaft ihre Bewertungen abgaben, verzichtete Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) auf die Abgabe einer Stellungnahme. „Dass Stellungnahmen eingeholt worden sind, ist für die Beschwerdeführerin ein sehr gutes Zeichen“, sagt El-Ghazi.




