Das massive Fischsterben in der Oder beschäftigt weiterhin Politik, Wissenschaft und Bevölkerung. Während etliche Helfer entlang der Oder Tonnen von totem Fisch aus dem Wasser geborgen haben, wird die Suche nach den Ursachen für die Katastrophe immer drängender. Genauso wie die Frage nach der Verantwortung für das Massensterben. Zwar ist bislang kaum etwas bekannt, doch allmählich verdichten sich die einzelnen Hypothesen zu einem Bild.
Was sind die Ursachen für das massenweise Fischsterben?
Auch wenn noch vieles unklar ist, so sind sich Forscher in einem Punkt bereits einig: Den einen giftigen Stoff, der für das Sterben verantwortlich ist, gibt es vermutlich nicht. „Wahrscheinlich spielen sogenannte multiple Stressoren eine Rolle“, sagt Tobias Goldhammer, Biogeochemiker am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). „Das heißt: Mehrere für sich genommen noch nicht tödliche Faktoren haben eventuell im Verbund zum Massensterben geführt.“
Zunächst, das ist von verschiedenen Seiten zu hören, ist das Ökosystem der Oder in diesem Sommer ohnehin großem Stress ausgesetzt. Die klimawandelbedingte Trockenheit, die Hitze und die dadurch extremen Niedrigwasserstände – all das setzen dem Fluss stark zu. „Und vermutlich kommt zu diesem Problem noch eine Verschmutzung hinzu“, so Goldhammer. Er verweist darauf, dass dies aber reine Spekulation sei. „Wir kennen die bisherigen Informationen auch nur aus den Medien.“
Welche toxischen Stoffe sind in die Oder gelangt?
Aktuell werden vor allem drei Dinge im Zusammenhang mit einer toxischen Verschmutzung diskutiert. Von Umweltschützern und Wissenschaftlern wird seit Tagen auf den umstrittenen Ausbau der Oder auf polnischer Seite verwiesen. „Es könnte sein, dass durch die dortigen Baggerungen Sedimente aufgewirbelt wurden, die mit Schwermetallen belastet waren“, sagt der Fischökologe Christian Wolter. Dafür sprächen die erhöhten Quecksilber-Werte, die in der Oder festgestellt wurden. Allerdings wirke Quecksilber eher langsam, heißt es von anderer Stelle. Zudem sind die Werte nach den letzten Untersuchungen doch nicht so hoch wie zunächst angenommen.
Daneben schauen alle Beteiligten derzeit vor allem auf hohe Salzwerte im Fluss. Tobias Goldhammer sagt: „Es kann durchaus sein, dass Salze, die in der chemischen Industrie eingesetzt werden, in die Oder geleitet wurden.“ Aber auch das sei reine Spekulation. „Vielleicht ist es auch Kochsalz“, sagt er. Das könne bei ohnehin gestressten Fischen ebenfalls zum Tod führen.
Fast unmöglich, derzeit etwas Sinnvolles zu dem Ganzen zu sagen.
Zu guter Letzt tauchte in den vergangenen Tagen auch der Name eines hochgiftigen Stoffes auf: Mesitylen. Der sei in Polen an zwei Stellen festgestellt worden, hieß es von den dortigen Behörden. Zwar teilte der brandenburgische Umweltminister Axel Vogel (Grüne) mit, Mesitylen habe nicht festgestellt werden können. Christian Wolter, der Fischökologe, aber verweist darauf, dass der Stoff auch schnell verdünnt worden oder zerfallen sein könnte und jetzt an anderer Stelle nicht mehr nachweisbar sei. „Am besten diagnostiziert man so etwas sehr schnell und sehr nah am Eintragungsort. Das können nur die Polen und von dort kam dieser Hinweis“, sagt er.
Doch so lange nicht weitere Labor-Ergebnisse öffentlich sind, wird es bei den Annahmen bleiben. „Es ist fast unmöglich, mit der jetzigen Informationslage etwas Sinnvolles zu dem Ganzen zu sagen“, sagt Tobias Goldhammer.
Wann wird es Gewissheit geben?
Die Wasserproben aus der Oder werden derzeit sowohl in Polen als auch vom Landeslabor Brandenburg untersucht. Bislang ist noch kein toxischer Stoff im Wasser gefunden worden, der das massenweise Sterben in der Oder erklären könnte. In Polen wird derzeit nach 300 Stoffen im Wasser und in den toten Fischen gefahndet, unter anderem gezielt nach Insektiziden. Am Dienstag soll es ein Expertentreffen von Deutschen und Polen in Form einer Taskforce geben und in zehn Tagen werde sich der deutsch-polnische Umweltrat treffen, sagte Umweltminister Vogel am Montag.
Im Nationalpark Untere #Oder bahnt sich mit dem #Fischsterben eine Jahrhundertkatastrophe an. Noch sind die umliegenden Auen nicht betroffen. Aber im Herbst werden sie für gewöhnlich mit Oder-Wasser geflutet. Unterwegs mit einer Rangerin. Reportage 👉https://t.co/KvEMxBuNz9 pic.twitter.com/Lg4fVhlJC6
— Niklas Liebetrau (@NiklasLiebetrau) August 14, 2022
Nach Medieninformationen ist für den Anfang dieser Woche mit der Veröffentlichung weiterer Untersuchungsergebnisse zu rechnen. Doch es könne durchaus noch Tage oder Wochen dauern, so Vogel, bis eine belastbare Diagnose für das Massensterben vorliegt.
Wurden toxische Stoffe bewusst in die Oder geleitet?
Solange nur so wenig über die Stoffe in der Oder bekannt ist, ist es auch schwierig, Mutmaßungen über die Verantwortlichen zu machen. Dennoch gibt es ein paar Indizien, die dafür sprechen, dass Stoffe vorsätzlich in die Oder eingebracht wurden. So hält sich hartnäckig das Gerücht, dass eine Industriefirma Chemie-Abfälle in die Oder geleitet hat. Schon im März bekundeten Anwohner der Stadt Ohlau in der Nähe von Breslau, dass eine dort ansässige Papierfabrik giftige Abwässer direkt in den Fluss gespült habe.
In der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza schreibt die Biologin Marta Jermaczek-Sitak: „Wir haben Industrieanlagen in Schlesien, darunter Bergwerke, die regelmäßig Salzwasser ablassen. Papier- und Chemiefabriken leiten regelmäßig und illegal etwas in die Oder. Je weniger Wasser im Fluss ist, desto schwerwiegender können solche Einleitungen für die Umwelt sein.“
Bisher ungeklärt ist, warum die Pegelstände der Oder am vergangenen Wochenende schlagartig um bis zu 30 Zentimeter anstiegen. Es gibt die Theorie, dass man in Polen Talsperren oder Staubecken geöffnet hat, um mit toxischen Stoffen verunreinigtes Wasser zu verdünnen und möglichst schnell die Oder hinabzuschicken.






