Verkehrshölle Innenstadt

„Nimm den Radweg, du Sau“: Das sind Berlins schlimmste Fahrradstrecken 2021

Wer als Radfahrer in der Stadt unterwegs ist, steht täglich Angst und Ärger aus. Zwölf Strecken, die wir besonders fürchten – und Ideen für mehr Sicherheit.

Hauptsache überleben: Dichter Verkehr mit Bussen, Autos und LKW ist eine gefährliche Situation für Menschen auf dem Rad.
Hauptsache überleben: Dichter Verkehr mit Bussen, Autos und LKW ist eine gefährliche Situation für Menschen auf dem Rad.imago/Sabine Gudath

Berlin-Ja, es gibt inzwischen mehr Radwege in Berlin, die durch feste Poller vom Autoverkehr getrennt und dadurch sicherer geworden sind. In der Innenstadt, auf Straßen, die doch immer den Autos allein vorbehalten schienen wie der Skalitzer Straße in Kreuzberg, fallen die neuen Absperrungen auf. Trotzdem bleibt es lebensgefährlich, sich mit dem Rad durch die Stadt zu bewegen. Im vergangenen Jahr sind 17 Radfahrer in Berlin gestorben. In diesem Jahr starb die erste Radfahrerin in Berlin im März, seitdem kamen drei weitere Frauen und ein Mann nach Fahrradunfällen ums Leben.

Wer viel Rad fährt, kennt die Angst – und die Horrorstrecken in der Stadt. Wie können diese sicherer werden? Und welche Kreuzungen oder Straßenabschnitte fürchten Sie, liebe Leserinnen und Leser, beim Radfahren besonders? Wir freuen uns ausdrücklich auch über Hinweise auf Problemstrecken außerhalb der Innenstadtbezirke! Oder fährt es sich da sicherer?

Schreiben Sie uns an leser-blz@berlinerverlag.com! Wir werden in den nächsten Wochen weiterrecherchieren, wie Berlin fahrradfreundlicher werden kann. (alm./who.)

Andrang auf der Buckelpiste: Skalitzer Straße.
Andrang auf der Buckelpiste: Skalitzer Straße.imago/Anthea Schaap

Kreuzberg

Auf der Buckelpiste: Ein Gutes hat der Radweg an der Skalitzer Straße zwischen Kottbusser Tor und Görlitzer Bahnhof: Man wird so richtig schön wach, wenn man auf der Höhe des Farbfernsehers über die erste Baumwurzel hüpft, die sich durch den Asphalt drückt. Manchmal hat man Glück, und es ist gerade mal wieder Ersatzverkehr auf der Strecke der U1, dann wird man schon vorher von den Fahrgästen ausgebremst, die der Bus direkt auf den Radweg spuckt. Meistens aber holpert man ziemlich unversehens über diese Buckelpiste – auf den Bürgersteig ausweichen bringt nichts, dort ist es genauso schlimm.

Da hilft also nur gut festhalten und das Tempo drosseln. Diese Strecke ist sowieso nichts für Radfahrer, die hoffen, schnell von A nach B zu kommen. Am Kotti erwartet einen eine der blödesten Ampelschaltungen für Radfahrer der Stadt: Rot an der Fußgängerampel, dann Rot an der ersten Ampel im Kreisverkehr, dann wieder Rot, wenn man die erste Ausfahrt nehmen will. 200 Meter, die einen mindestens sieben Minuten kosten. (alm.)

So wird’s besser: Radweg erneuern, Ampelschaltung optimieren, Grüner Pfeil für Radfahrer.

„Nimm den Radweg, du Sau!“: Radfahrer sind ja viel Kummer gewöhnt. Auf der Alexandrinenstraße in Kreuzberg, einer schmalen, freundlichen Straße mit viel Grün an der Seite, sind in beiden Richtungen die Fahrradwege nicht benutzbar. Fährt man nach Norden, muss man immer wieder Fußgänger bitten, zur Seite zu treten, weil der Unterschied zwischen beiden Fortbewegungsspuren nicht deutlich genug gekennzeichnet ist. Manche gehen sofort weg, andere beschweren sich, wenn man sie mit „Dürfte ich mal bitte vorbei?“ anredet, anstatt zu klingeln, wieder andere überhören die Klingel. Oder meckern, weil es angeblich gar kein Radweg sei.

Das weiße Fahrrad-Symbol auf dem Weg ist fast nicht zu erkennen. In der Gegenrichtung gibt es weniger Stress mit den Menschen, da kämpfen Radfahrer mit dem Wurzelwerk, das die Fahrt unangenehm holperig macht. Nun, es gibt ja die Autofahrbahn, auf die der kluge Radfahrer ausweicht. Dort kurbelt aber schon mal ein Autofahrer sein Fenster runter und herrscht einen an: „Nimm den Radweg, du Sau!“ (cg.)

So wird’s besser: Radweg asphaltieren, deutliche Kennzeichnung des Radwegs.

Lichtenberg

Der Stärkere gewinnt: Kennen Sie Parklücken-Tetris? Nein? Dann machen Sie doch mal einen Ausflug ins schöne Lichtenberg. Die Gotlindestraße verläuft parallel zur Frankfurter Allee, sie führt zum Zentralfriedhof Friedrichsfelde, dort liegt zum Beispiel Käthe Kollwitz begraben, und zum Landschaftspark Herzberge, wo Rauhwollige Pommersche Landschafe grasen und die Stadtfarm klimafreundlich Welse züchtet. Lohnt sich also.

Und der Weg durch die Gotlindestraße ist ein Abenteuer, garantiert. Am Straßenrand parken Autos, mal rechts mal links, und die Fahrbahn ist so eng, dass der Verkehr nur in eine Richtung fließen kann. Also heißt es, schnell sein und sich rechtzeitig in die nächste Parklücke retten, wenn Gegenverkehr kommt. Denn beim Parklücken-Tetris gewinnt im Zweifel leider der Stärkere. (alm.)

So wird’s besser: Parkverbot am Straßenrand.

Friedrichshain

Pop-up-Radweg mit Geisterrad: Das weiß lackierte Rad lehnt am Aufgang der U-Bahnstation Samariterstraße, umgeben von vertrockneten Blumen und Grabkerzen. Vor drei Wochen starb hier eine Radfahrerin. Sie war auf einem dieser Pop-up-Radwege unterwegs, temporäre Streifen, von denen es immer mehr gibt in der Stadt und die eigentlich alles besser machen sollen für Radfahrer: Sie bekommen ein Stück der Fahrbahn, gut sichtbar markiert. Aber hier an der Frankfurter Allee, stadteinwärts, gleich hinterm Ring-Center, geht es vorbei an vielen kleinen Läden, Handyshops, Bäcker, Buchläden, Cafés, besonders morgens heißt das: Lieferverkehr.

Eigentlich steht immer irgendwer auf dem Radweg – Paketdienste, Lieferwagen und die Zweite-Reihe-Parker, die „nur eben mal schnell“ anhalten wollen. So war es auch an dem Tag, als diese Radfahrerin unterwegs war. Sie wich wegen eines Lieferwagens auf die Straße aus und wurde dabei von einem Sattelzug erfasst. Sie starb noch am Unfallort. Einen Tag später stellte der Fahrradclub ADFC das weiße Geisterrad auf. An den Rand eines neuen Radweges, der eigentlich alles besser machen sollte. (alm.)

So wird’s besser: Poller, die den Radstreifen von der Fahrbahn trennen.

Hochrisikospiel am Boxi: Friedrichshain ist rund um den Boxhagener Platz eigentlich insgesamt ein Problem: Kaum eine Straße ohne Kopfsteinpflaster, alles ist eng, während es hier nicht einen einzigen Fahrradweg gibt, gleichsam aber Autos gefühlt immer viel zu schnell und zu dicht an einem vorbeiziehen. Und so fährt es sich als Radfahrer insbesondere von der Warschauer in die Grünberger Straße einbiegend wie in einem Hochrisikospiel. Schlimmer ist nur die Wühlischstraße, in der es die Schienen der Straßenbahn unmöglich machen, ohne hohen Puls an einem Lieferwagen vorbeizuziehen. (kgb.)

So wird’s besser: Deutliche Abgrenzung zwischen Straßen und Radwegen, die endlich gebaut werden müssten, Ladezonen für Lieferwagen.

Neukölln

No-go-Area für Radfahrer: Die Hermannstraße ist eine Radfahrerhölle. Und das ist nicht nur ein Gefühl, die Unfallstatistik beweist es. Selbst, wenn man die Hermannstraße überlebt, ist es eine Qual, dort Rad zu fahren. Hemmungslos wird in der zweiten Reihe geparkt, sodass man Slalom fährt, angehupt, geschnitten oder mit viel zu wenig Abstand überholt wird. Die Autofahrer empfinden es als Störung, wenn ein Fahrzeug, das langsamer ist als sie selbst, auf ihrer Spur unterwegs ist. Dazu die Angst, dass einer der rechts Parkenden die Tür aufreißt. Die Hermannstraße ist für Radfahrer eigentlich eine No-go-Area.

Das „Netzwerk Fahrradfreundliches Neukölln“ kämpfte lange gegen Neuköllner Bezirksamt-Windmühlen. Der Anwohnerinitiative „Hermannstraße für alle“ wurde erklärt, der Hermannstraßen-Radweg habe zwar oberste Priorität, es fehlten aber im Bezirksamt Mitarbeiter, um ihn umzusetzen. Jetzt tut sich was: Vielleicht noch in diesem Jahr soll ein Poller-Radweg entstehen, zunächst zwischen Leine- und Glasower Straße. (suz.)

So wird’s besser: Das „Vielleicht“ aus den Plänen streichen, mehr Pop-up-Spirit beim Planen und Handeln.

Eine Fahrradstraße, die keine ist: Vor ein paar Tagen lag Post im Briefkasten der Bewohner des Reuterkiezes: Der Abschnitt der Weserstraße zwischen Pannier- und Weichselstraße, wird nach Jahren der Planung Fahrradstraße. Eine gute Nachricht? Nicht wirklich. Ein Teil der Weserstraße – zwischen Pannierstraße und Kottbusser Damm – ist schon Fahrradstraße, nur dass die Autofahrer es nicht wissen. Oder es ihnen egal ist. Die Vorschrift lautet: Nur Anlieger dürfen mit ihrem Auto diese Straße benutzen, oder jemand, der einen Termin hier hat. Kontrolliert das einer? Natürlich nicht. Wie auch. Die Weserstraße ist also nur theoretisch eine Fahrradstraße. Praktisch ist sie eine ganz normale Straße, genauso stressig wie alle anderen, sie hat ja nicht mal mehr einen Radweg.

Den gab es früher, jetzt parken hier Autos, während die Radfahrer sich mit ihnen die Straße teilen. Nachdem auch der zweite Fahrradstraßenabschnitt eingerichtet ist, werden sie sich im Bezirksamt und bei den Grünen im Senat auf die Schulter klopfen. Doch die Fahrradstraße funktioniert nicht, und ist letztlich auch nur ein Symptom für die Flickschusterei in Sachen fahrradfreundliche Stadt Berlin. (suz.)

So wird’s besser: Radstadt Berlin insgesamt denken. Und was die Weserstraße angeht: Sie zur Einbahnstraße machen. In immer andere Richtungen. Oder Modalsperren.

Pankow

Schlagloch des Grauens: Kurz hinterm U-Bahnhof Vinetastraße. Hier ist die Mühlenstraße über Jahre mit Teerpflastern geflickt worden, und immer noch ist sie voller Schlaglöcher – kleine, große, tiefe, weniger tiefe. Dass es nicht besonders angenehm ist, da mit dem Fahrrad drüber zu holpern, gut, kann man verschmerzen. Gefährlich wird es aber spätestens dann, wenn es dunkel ist und oder geregnet hat und man dann doch noch nicht alle Löcher auswendig kennt, also auch nicht sicher weiß, wo unter der Wasseroberfläche das nächste lauert. Kopfkino. Was, wenn man ins nächste Schlagloch gerät, zur Seite kippt, und dahinter gerade eine Reihe von Autos kommt?

Außerdem gibt es in Richtung Pankow neuerdings eine Baustelle, für die Räder ist eine kleine Ausweichschneise neben der Fahrbahn eingezogen worden. Nur: Genau am Anfang dieser Schneise, in einem Kurvenstück, fehlt wieder ein Stück Fahrbahn. Wenn man es nicht schafft, in einem scharfen Winkel dieses Loch zu umfahren, muss man abbremsen. Und wenn dann einer, der die Stelle nicht kennt, hinter einem fährt … Ist noch nicht passiert. Womöglich bleibt dafür aber noch viel Zeit. (jro.)

So wird’s besser: Schlaglöcher reparieren.

Wo sich die Radfahrer drängeln: Das Nirvana zwischen den Restrealitäten Prenzlauer Bergs und jenen ersten Pankower Grenzstraßen Richtung Wedding, hier gibt es keine Falafel, sondern Döner für 2,50 Euro. Gleich um die Ecke liegt jene Kreuzung, die eine der gefährlichsten der Stadt ist. Statistisch betrachtet werden hier mit die meisten Unfälle in Berlin verzeichnet. Eine schnelle Google-Recherche lässt viele schreckliche Straßenbahnszenen erahnen. Dort, wo die Schönhauser Allee die Bornholmer Straße quert, sind die Fahrbahnen so unübersichtlich angelegt, dass man als Verkehrsteilnehmer sehr genau wissen muss, wann und wie man nach links abbiegen will.

Radfahrer drängeln sich wie an allen großen Kreuzungen Prenzlauer Bergs vor allem zu den Kitaöffnungsstoßzeiten. Die meisten der hier Radelnden sind auf sogenannten Citybikes unterwegs, behelmt, mindestens mit einer Fahrradtasche oder dem Römer-Kinderstandardsitz. Gefährlich wird’s hier vor allem, wenn es mal wieder kein Vorbei an Lastenrädern gibt und die auf dem Weg zum Job Gestressten zum Überholmanöver aus der Spur ziehen. (kgb.)

So wird’s besser: Ein breiterer Fahrradweg, eine Ampelschaltung, die Radfahrer mehr Zeit als Autofahrern einräumt.

Gewusel, in dem man besser absteigt: Torstraße.<br>
Gewusel, in dem man besser absteigt: Torstraße.
Berliner Zeitung/Markus Wächter

Mitte

Neapolitanisches Chaos: Auf einer Karte mit Bauvorhaben für die Rad-Infrastruktur endet die blaue Line des Panke-Trails genau dort, wo es brenzlig wird: an der Kreuzung Torstraße Ecke Rosa-Luxemburg-Straße nämlich. Da ist man dann, wenn der Radweg irgendwann zur Superkomfortstrecke ausgebaut ist, echt schnell von Norden durch Prenzlauer Berg in Richtung City gebraust, so mit Flow und Wind im Haar und Lächeln auf den Lippen. Und dann kommt sie, die Stelle des Schreckens. An der Kreuzung treffen rechtsabbiegende Autos  auf einen Pulk Radler, der geradeaus will. Blick nach hinten, Hand raus, Achtung, da sind Schienen, einhändig drüber kurven, um auf die Max-Beer-Straße, eine ausgewiesene Fahrradstraße, zu gelangen.

Da kommen einem Radfahrer entgegen, Touristen und Omis stehen ungläubig inmitten des ungeordneten Gewusels, im schlimmsten Fall versuchen auch sie noch an der Alten Schönhauser Straße über die Fahrbahn zu gelangen. Schon öfter hat sich hier ein Neuling mit dem Rad in den Schienen verfangen, regelmäßig hört man lautes Fluchen. Wenn dann noch ein Lieferwagen im Weg steht, ist das Chaos neapolitanischen Ausmaßes perfekt. (shi.)

So wird’s besser: Breiterer Radweg mit Extra-Spuren für unterschiedliche Richtungen. Ampelschaltung, die die Verkehrsteilnehmer voreinander schützt.

Herzinfarkt am Roten Rathaus: Nicht, dass man  morgens schon adrenalinsüchtig wäre, aber als Radfahrer in Berlin braucht man um die tägliche Dosis nicht lange zu betteln. Zehn Kilometer von Pankow bis nach Kreuzberg zum Beispiel halten allerlei Herzinfarkt-Potenzial bereit, die stärkste Stelle ist allerdings der Abschnitt Grunerstraße/Mühlendamm/Gertraudenstraße, also der Teil der B1 zwischen Rotem Rathaus und Spittelmarkt. Gut, es wird gebaut, aber im Verkehrswende-Berlin heißt das, dass für Autos zwei Spuren zur Verfügung stehen, der Radfahrer sich aber doch bitte in einem aufgemalten Pseudostreifchen vorbeidrängeln soll.

Auf Höhe des Rathauses, wo sich auch Lkws einfädeln müssen, kann man mit den Lastern auf Tuchfühlung gehen und muss froh sein, wenn man nicht unter die Räder kommt. Wenn an späterer Stelle die breite Busspur endlose Weiten verspricht, hält die Freude gerade so lange, bis ein entnervter Pkw-Nutzer die Radler ab- und auf die Spur drängt. Hier liegen die Nerven blank, bei allen Beteiligten. Gut, dass der Bau- und Verkehrslärm die meisten Tiraden übertönt – es wäre nicht auszuhalten. (avo.)

So wird’s besser: Das zweite Quartal 2024 herbeisehnen, dann soll der Umbau des Molkenmarkts fertig sein.

Schöneberg

Einfach kein Platz: Zwischen Kleistpark und Bayerischem Platz, im Herzen von Schöneberg, wohnen viele Menschen mit vielen Autos, die sie beiderseits am Rand der Grunewaldstraße parken. Zugleich sind sehr viele Pkw und Lkw unterwegs, die sich in der Eile nur ungern mit Radfahrern die Fahrbahn teilen. Auf dem Stück von der Hauptstraße zur Apostel-Paulus-Kirche und umgekehrt passen sie nicht nebeneinander. Der Bürgersteig wiederum ist recht schmal, weshalb es unanständig wäre, in der Not darauf auszuweichen. Drängeln und Überholversuche machen schlechte Laune für die einen wie die anderen. (cg.)

So wird’s besser: Platz für eine Radspur schaffen, indem das Parken nur auf einer Fahrbahnseite erlaubt wird.