Der Name Exquisit lässt die Augen von in der DDR sozialisierten Menschen leuchten. Viele schöne Erinnerungen verbinden sich mit der schicken Bekleidungsmarke, bei der ein Kleidungsstück durchaus einen Monatslohn teuer war. Der aktuelle Film „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ beschreibt die Modeszene der DDR. Die Geschichte von Exquisit erforscht Grit Seymour, Professorin für Modedesign an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
Frau Seymour, wie groß war die Firma Exquisit?
Bei der Gründung 1970 arbeiteten für den VHB (volkseigener Handelsbetrieb; Anm. d. Red.) eine Handvoll Designerinnen; der Betrieb wuchs explosionsartig am Ende auf ein dreißigköpfiges Designerteam heran. Dazu kamen Hunderte von Mitarbeitern, dabei waren auch Verkäufer und Verwaltungsangestellte, das Ferienobjekt an der Ostsee. Artur Winter, an der Berliner Kunsthochschule Weißensee Professor, war der charismatische Visionär und Macher. Rund 100 Exquisit-Läden waren in allen Kreisstädten der DDR vertreten. Dreißig bis vierzig Betriebe in der DDR, einer davon Plauener Spitze, produzierten für die Kollektionen.
Die Damen- und Herren-Bekleidung war teuer, eine Nappalederhose lag bei 1000 DDR-Mark, Herrenhemden kosteten rund 140 DDR-Mark. Das Durchschnittsgehalt betrug 800 bis 1000 DDR-Mark, Rentner und Studenten verfügten über monatlich rund 200 DDR-Mark. Wie konnte man sich das leisten?
Man hat monate- und jahrelang auf sein Traumobjekt hingespart. Ohnehin hatte die Bevölkerung viel Geld gespart, den Kaufkraftüberschuss wollte die Regierung abschöpfen. Die Ersparnisse waren durch die geringen Lebenshaltungskosten entstanden. So etwas wie Inflation gab es nicht, die Grundbedürfnisse wurden staatlich hoch subventioniert. Die Miete für einen Quadratmeter Wohnraum lag bei etwa einer DDR-Mark, ein Brötchen kostete fünf Pfennige. Parallel dazu wurde das vorhandene Angebot an Bekleidung in der DDR von der Bevölkerung nicht angenommen. Exquisit importierte als einziger Handelsbetrieb auch westliche Mode von Steilmann, Daniel Hechter, Georges Rech, Schuhe von Charles Jourdan in die DDR. In den Export kam nichts, sonst war das üblich für hochwertige DDR-Produkte, weil der Staat damit Devisen einnahm.

Was machten die Exquisit-Designerinnen anders? Warum waren die zwei Kollektionen pro Jahr so beliebt? Selbst heute wird ein Exquisit-Kleid aus den 80ern bei Ebay für 95 Euro angeboten.
Der zeitlose Exquisit-Stil stand für Nachhaltigkeit, Werte, Langlebigkeit und Haltbarkeit. Es war eine gewisse Nonchalance, ein Understatement darin. Höchste Qualität vom Entwurf über den Stoff bis zur Fertigung waren die strengen Bedingungen, unter denen gearbeitet wurde.
Teure Produktionsbedingungen – wie wurden sie realisiert?
Regelmäßig gab es Präsentationen vor dem DDR-Wirtschaftsfunktionär Schalck-Golodkowski, um Devisen zu erhalten. Bei den Stoffmessen in Frankfurt am Main wurde für die Exquisit-Einkäuferinnen der rote Teppich ausgerollt. Denn sie tätigten riesige Aufträge, bestellten bis zu Zehntausende Meter italienische und französische Stoffe. Doch die Ausgaben lohnten sich, Exquisit hatte am Ende vier Milliarden DDR-Mark Umsatz, deckte 20 Prozent des Bevölkerungsbedarfs, war das einzige Unternehmen der DDR, das marktwirtschaftlich geführt wurde.
Die Preise und die edle elitäre Ausstrahlung, das besondere herausgehobene Flair der Kleider – widersprachen sie nicht dem Ziel des Kommunismus, in dem jeder gleich sein soll?
Exquisit war elitär. Durch das Sehnsuchtspotenzial widersprach es dem sozialistischen Gedanken. Exquisit war aber auch so erfolgreich, weil es keine Konkurrenz hatte, das darf man nicht vergessen.
Die Stückzahlen der Kollektion lagen bei 10.000 und mehr, das ist ungewöhnlich hoch für Konfektionsmode. Traf man da nicht öfter andere Frauen im Café, die das gleiche Kleid trugen?
Das kam schon mal vor, aber es gab dann eher ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Überhaupt war das Zusammensein mit anderen Menschen in der DDR ein völlig anderes. Bei der Arbeit gab es kein Ego-Gerangel. Es ging immer um die gemeinsame Sache, jeder wollte sein Bestes geben. Es war für mich anfangs im Westen befremdlich und hat eine ganze Weile gedauert, den Konkurrenzgedanken zu verstehen.
In Maxie Wanders Kultbuch „Guten Morgen, du Schöne“ von 1977 erzählen Frauen über ihr Leben in der DDR. Exquisit als Symbol für Wunschträume kommt darin mehrfach vor. Doris L., 30, Unterstufenlehrerein, sagt: „Glücklich war ich, als ich ein Paar Stiefel im Exquisit bekommen habe. Das sind Momente, die wichtig sind für eine Frau.“ Wer war die Kundschaft von Exquisit?
Frauen und Männer, die aktuelle Mode in zeitlosem Stil wollten. Man wusste, da kauft man was fürs Leben. Eine Stammkundin bei Exquisit war Margot Honecker. Aber es kauften alle Bevölkerungsschichten, Fabrikarbeiterinnen genauso wie Intellektuelle.
Sie selbst haben Ihre Ausbildung Mitte der 80er bei Exquisit gemacht und als Mannequin gearbeitet. Sie waren Teil der oppositionellen Bewegung, wurden deshalb von der Kunsthochschule Weißensee exmatrikuliert und zur Bewährung in die Produktion verbannt. Da Sie sich weigerten, Ihre Mitmenschen für die Stasi zu bespitzeln, waren Sie im beruflichen Aus. 1988 wurde Ihr Ausreiseantrag bewilligt. Schwierige Erfahrungen. Gibt es dennoch Positives in der DDR, an das Sie sich erinnern?
Der Geist der Arbeit im Kollektiv, im Team. Ich versuche das heute meinen Studierenden zu vermitteln: Erarbeitet das Projekt gemeinsam, alles muss gut miteinander funktionieren. Teamarbeit ist meist eine Herausforderung, hinterher sind sie überrascht und begeistert.

Nach ihrer Ausreise aus der DDR und einem Studium in London war sie Chefdesignerin und Kreativdirektorin bei internationalen Firmen wie Max Mara, Hugo Boss, Donna Karan und Wolford.
Für den Film „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ haben Ihre Studierenden die Kleidungsstücke der Schluss-Show erarbeitet. Wie haben sie bei der ersten Begegnung auf die jahrzehntealte Exquisit-Mode reagiert?
Ihnen habe ich Fotos von damals gezeigt und ein Fashion-Video von 1984. Die Studierenden waren total begeistert. Ihre Entwürfe für den Film sind noch bis Mitte Dezember in den Schaufenstern des Quartier 206 an der Friedrichstraße in Mitte zu betrachten.
Für Ihre Forschungen haben Sie die 14 Aktenordner über Exquisit im Bundesarchiv in Lichterfelde durchgeschaut. Was ist Ihr Eindruck, was geschah damals in der Treuhandanstalt?
Der Wert der Marke interessierte nicht. Es ging um Immobilienschacher. Die Läden, Lager- und Bürogebäude befanden sich in zentralen besten Lagen.
Was wurde aus den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Exquisit?
Die Abwicklung war für viele ein harter Schlag, aber sie haben alle ihren Platz gefunden, ob in westdeutschen Modeinstitutionen oder in der Lehre. Einige haben sich selbstständig gemacht. Für die neuen Verhältnisse waren wir gut gerüstet. Die Arbeit für Exquisit war extrem selbstständig und eigenverantwortlich – gute Voraussetzungen, um sich im Westen zurechtzufinden.
Welche Erinnerungen haben Sie an Exquisit und die DDR? Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften: susanne.duebber@berlinerverlag.com












