Die Natur hat ihre Verlockung an der berühmten Flussbiegung, wo inmitten des Rheins der aus dem 14. Jahrhundert stammende Binger Mäuseturm aufragt, nicht verloren. Einen Anlass zur Sorge bot diese Stelle, zumindest für mich, schon immer. Stets beschlich mich ein Unbehagen, wenn ich sie auf Ausflugsdampfern passierte – mehr als einmal –, das wohl vom Namen herrührte. Die gedankliche Verknüpfung des von Wasser umspülten Gebäudes mit der Mäuselegende steigerte sich zu einem phobisch ausgemalten Tiergewimmel, sodass ich jedes Mal erleichtert war, sie ein paar Minuten später Richtung Lorch hinter mir lassen zu dürfen. Der mächtig anmutende, aber ruhig dahinfließende Strom ist wie keine andere deutsche Kulturlandschaft gesäumt von Geschichten, Märchen und Legenden. Die Loreley, Heine, Sie wissen schon.
Die Irritation, die der Abgleich der aktuellen Fernsehbilder und Fotos mit der gewohnten Szenerie auslöst, will nicht verfliegen, obwohl die Veränderungen optisch weniger drastisch sind als die Folgenabschätzungen, die daraus hervorgehen.
Die Wasserbänke sind schmutzig-braun, selbst die in der Ferne steil aufragenden Weinberge, die die Landschaft um diese Jahreszeit in ein sattes Grün tauchen, wirken ausgedorrt. Aus dem Mittelrhein erheben sich kleine Inseln, an einigen Stellen ist der Fluss für die Berufsschifffahrt seit Tagen unpassierbar, selbst größere Ausflugsdampfer können aufgrund ihres zu großen Tiefgangs nicht an- und ablegen. Wo die sacht dahinfließende Wasserstraße ein Symbol für Gleichmaß, Kontinuität und erhabene Anmut war, fasziniert sie nun mit bizarrer Kargheit. Wie kaum jemals zuvor hat die anhaltende Trockenheit eine deutsche Seelenlandschaft aufgewühlt.

