Berlin-Bei jeder Umfrage auf dem Schulhof, was denn das Schönste an der Schule ist, gibt es fast immer nur eine Antwort: die Ferien. Kinder finden Ferien toll. Endlich mal morgens ausschlafen und abends länger wach bleiben, endlich nicht im Klassenzimmer hocken, sondern draußen rumstromern. Endlich Urlaub und Abenteuer. Endlich kein Leben mehr im Takt des Stundenplans und der Prüfungen, sondern abhängen.
Das ist die Sicht der Kinder, doch etliche Erwachsene sagen: Die Ferien sind zu lang. Sechs Wochen Sommerferien seien doch nur erfunden worden, weil die Kinder früher noch bei der Ernte helfen mussten. Heute hängen sie sechs Wochen am Handy. Die Debatte flammt meist am Sommerende auf. Sie ist nachvollziehbar, denn in Berlin verteilen sich 2022 die sechs Ferien der Schüler auf 64 Tage. Eltern haben aber bestenfalls 30 Tage Urlaub. Was also tun? Ab mit den Kindern in den Hort? Selbst unbezahlt frei nehmen? Drei Wochen nur halbtags arbeiten? Mehr Homeoffice? Großeltern?
Für viele Eltern ist der Sommer eine finanzielle Herausforderung und organisatorischer Dauerstress – gerade für Alleinerziehende. Selbst wenn Eltern rechtzeitig drei Wochen Überstunden angehäuft hätten, dürften sie die sicher nicht an den Sommerurlaub hängen. Dazu kommt, dass Berlin auch eine Art Durchlauferhitzer mit vielen Zugezogenen ist. Die können ihre Kinder nicht einfach von 8 bis 14 Uhr zur Oma bringen, weil Oma eine halbe Tagesreise entfernt wohnt.
Die Debatte hat durch die Pandemie neuen Auftrieb bekommen. Es gab monatelange Schulschließungen, die von den oft erfolglosen Homeschooling-Versuchen der pädagogisch meist überforderten Eltern nicht ausgeglichen werden konnten. Es gibt gravierende Lernrückstände, viele Kinder haben soziale Defizite, weil sie sich beim wochenlangen Zwangsstubenhocken wieder entfreundet haben. Von psychischen Problemen ist die Rede. Deshalb sagen einige: Die Schüler müssen viel nachholen, da sind sechs Wochen Ferien doch kontraproduktiv, weil sie so viel vergessen?
Kinder haben ein Recht auf Langeweile
Da gibt es gewichtige Gegenargumente. So ist die Daueranwesenheit von Eltern nur für eine bestimmte Zeit in der Grundschule nötig. Schon bald hängen viele Kinder ein Bitte-nicht-stören-Schild an ihre Türen. Nicht zu vergessen: Helikopter-Eltern neigen dazu, ihre Kinder nicht nur ständig zu kontrollieren und ihnen zu helfen, sie sorgen auch für ständige Beschäftigung. Dabei ist das Ziel jeder guten Erziehung doch, dass die Kinder selbstbewusst und selbstständig werden. Selbstständigkeit lernt sich am besten allein – durch Scheitern und Langeweile.
Kinder haben ein Recht auf Langeweile, geradezu eine Pflicht. Nur so lernen sie, sich selbst zu beschäftigen. Langeweile ist die beste Initialzündung für Kreativität. Und lange Ferien sind der beste Nährboden. Effektiv müssen Kinder noch früh genug sein, wenn sie erwachsen sind.
Statt über die Länge der Ferien zu diskutieren, wäre es viel besser für eine tolle Ferienbetreuung zu kämpfen, die spielerisch anspruchsvoll und pädagogisch interessant ist. Und die so finanziert wird, dass auch alleinerziehende Eltern mit ihrem geringeren Einkommen den Stress der Sommerferien überstehen. Und die Kinder würden bei einer tollen Betreuung sicher nicht verdummen.
Überhaupt sind Ferien nicht nur eine Zeit des kreativen Abhängens, sondern des permanenten Lernens. Nur werden nun eben keine Vokabeln gebüffelt und keine Mathe-Gleichungen. Die Kinder lernen, Rad zu fahren oder zu angeln. Im Urlaub lernen sie, im Pool zu tauchen. Im Urlaub lernen sie erste Worte in Schwedisch oder Schwäbisch. Sie lernen bei ihren Großeltern, dass es auch toll sein kann, längere Zeit mit alten Leuten zu verbringen. Sie lernen, ihre Freunde zu vermissen und sich auf die Schule zu freuen. Deshalb sollte nicht ein einziger Ferientag gestrichen werden, sondern bestenfalls auf andere Ferien verteilt werden.
Heute wird die Teilhabe immer wichtiger, das Mitbestimmen. Deshalb wird die Debatte auch etwas falsch geführt. Es reden Eltern, Lehrer, Fachleute. Aber nicht die Kinder. Würden sie gefragt werden, wäre die Antwort ganz sicher: „Wir wollen lieber zwei Wochen mehr Ferien als zwei Wochen weniger.“
Außerdem sind sechs Wochen Sommerferien in Deutschland ein echtes Luxusproblem. Was sollen Eltern in Estland sagen, in Bulgarien, Rumänien oder Albanien. Dort dürfen die Kinder gleich 13 oder 14 Sommerwochen lang die schönste Sache an der Schule genießen.






