Noch scheint die Nacht so weit weg wie der Herbst: Bunte Girlanden und auch eine goldfarbene Schaukel schwingen im leichten Wind oben auf einer Dachterrasse über dem Holzmarktgelände, das auch den beliebten Technoladen Kater Blau beherbergt. In der Ferne sieht man den Fernsehturm, das Rote Rathaus und die Kuppel des Berliner Doms. Die S-Bahn rauscht vorbei. Hier hauste einst die legendäre Bar 25. Das alternativ-künstlerische, selbst verwaltete Partygelände war Ausdruck von etwas, das wohl nur in Berlin ging: Man nimmt sich ein braches Gelände – und zimmert einen Glitzerort daraus.
Die ruhige Stimme redet sich in Rage
Es ist Donnerstagnachmittag, um 16 Uhr. 32 Grad im Schatten. Die Clubcommission warnt, damit die Clubs in Berlin bleiben. Deshalb hat sie, als Lobbyorganisation der meisten Berliner Clubs, die Presse eingeladen – und zeichnet ein gravierendes Bild. Pamela Schobeß ist Vorstandsvorsitzende der Clubcommission; eine Frau mit vielen Tattoos und einer ruhigen Stimme – die sich aber auch in Rage reden kann. „Wir gehen mit einer riesengroßen Angst in den Herbst“, sagt sie, „weil die Vorzeichen total ungünstig sind.“ Denn die Lage ist die: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat einen 7-Punkte-Plan entwickelt für die kalte Hälfte des Jahres. Und die könnte die Clubs besonders kalt erwischen. Denn was andernorts akzeptabel klingt, es wäre für die Clubs verheerend. Stichwort: Maskenpflicht.
Die könnte laut Lauterbachs Plan ab 1. Oktober von den Bundesländern wieder eingeführt werden für Innenräume. Nicht so schlimm im Supermarkt. Aber wer geht tanzen mit Maske? Vielleicht mit Fetischmaske in Berlin. Aber mit medizinischem Mundnasenschutz vergeht den meisten sicherlich die Laune aufs schwitzige Tanzen. „Das bedeutet für uns: Wir können nichts veranstalten“, sagt Pamela Schobeß. Für so einige Clubs könnte es das Ende bedeuten. Denn, darauf wollen Pamela Schobeß und auch Clubcommission-Pressesprecher Lutz Leichsenring hinaus: Anders als in den letzten zwei Jahren, die auch schon schlimm bedrohlich waren für die Clubs, stehe für 2023 keinerlei Hilfsprogramm mehr in Aussicht. „Niemand spricht über Förderung“, sagt Pamela Schobeß. Während für die meisten Lebensbereiche dieser Corona-Winter also hoffentlich harmloser wird als die vorherigen beiden, könnte er die Clubs noch härter erwischen als in den beiden Pandemiejahren zuvor. Für einige wäre es todsicher das Ende.

Deshalb, so viel ist klar, erhebt die Clubcommission jetzt schon ihre Stimme. Es gibt übrigens noch ein weiteres Problem unter Radar: Während die ganz großen Konzerte wie die von Billie Eilish und von Harry Styles immer volle Hütte (beziehungsweise: volle Arena) haben und den irreführenden Eindruck von Showbusiness as usual vermitteln können, läuft es bei den kleinen oder mittelgroßen Clubkonzerten deutlich schlechter: Durch die vielen immer wieder geschobenen Konzerte aus den letzten beiden Jahren, überhöht das aktuelle Angebot die Nachfrage bei Weitem. Das heißt nicht, dass das Angebot schlecht ist, im Gegenteil. Aber niemand geht pro Abend gleich auf drei Konzerte. Und einige gehen zurzeit auch gar nicht, da sich das für sie immer noch (oder wieder) bedrohlich anfühlt: in einem Raum mit vielen Menschen zu verweilen.
Ohne Überbrückungshilfen der Politik werden die Clubs nicht klarkommen – zumal sie die ersten waren, die in der Pandemie schließen mussten. „In Berlin beschweren wir uns nicht“, sagt Lutz Leichsenring der Berliner Zeitung. „Aber uns geht es um die Bundespolitik. Wo sind die Notfallpläne? Wie gehen wir damit um, wenn die Infektionszahlen steigen? Wir brauchen Planungssicherheit. Kein Tanzverbot oder andere repressive Maßnahmen.“ Leichsenring gibt sich gewiss, dass sichere Veranstaltungen auch in Zeiten hoher Inzidenz möglich seien. „Das beweisen zahlreiche Modellprojekte, wissenschaftliche Studien und präzise sowie kostengünstige Testkonzepte.“ Etwa durch gepoolte PCR-Testung. Darauf solle die Politik nun setzen, „um nicht im Herbst und Winter erneut die gesamte Veranstaltungsbranche stillzulegen“.
Was ist denn mit Berlin los?
Durch diese Stille in den letzten beiden Jahren hat sich auch die Mentalität im Stadtraum verändert. Davon weiß Robin Schellenberg auf der Holzmarkt-Dachterrasse zu berichten. Auf einem anderen spektakulären Dach dieser Stadt, auf den Neukölln-Arcaden, betreibt er den Klunkerkranich. „Die Stadt ist stiller geworden“, sagt er. Deutlich öfter als vor der Pandemie, so sagt er, würde die Polizei von vereinzelten Nachbarn gerufen, denen der Laden nun zu laut sei. Was ist denn mit Berlin los?

Der zweite Teil der Clubcommission-Tour führt einige Hundert Meter weiter, in den Traditionsclub Golden Gate, der sich in einem Pfeiler unter der Jannowitzbrücke befindet. Einer der wenigen verbliebenen Underground-Schuppen alter Berliner Schule. Eine charmant renovierte Ruine. Wie die letzten zwei Jahre gelaufen seien, will jemand vom Betreiber des Golden Gate, Hubertus Graf Strachwitz, wissen. „Scheiße, aber wir haben überlebt“, sagt der abgeklärt. Er wirkt wie jemand, der für Galgenhumor zu haben ist.




