Nach Meldungen von Impfdurchbrüchen warnt die WHO davor, das Impfen als Allheilmittel zu betrachten. Die Weltgesundheitsorganisation betont, dass es dazu noch keine randomisierten, kontrollierten Studien gibt. Die Meldungen legten aber nahe, dass man sich nicht auf den Impfschutz alleine verlassen sollte, sagte die WHO-Affenpocken-Expertin Rosamund Lewis am Mittwoch in Genf.
„Wir haben von Anfang an gewusst, dass dieser Impfstoff kein Allheilmittel sein würde, dass er nicht alle Erwartungen erfüllen würde, die in ihn gesetzt werden“, so Lewis. Impfdurchbrüche würden sowohl bei Menschen gemeldet, die nach einem möglichen Kontakt mit einem Infizierten geimpft wurden, als auch bei solchen, die sich vorsorglich hatten impfen lassen.
Affenpocken-Geimpfte müssten mindestens zwei Wochen nach der zweiten Impfdosis warten, so Lewis, damit der Stoff seine volle Wirksamkeit entfalte, ehe sie sich „riskantem Verhalten“ aussetzen. Über 90 Prozent der Affenpockenfälle werden bei Männern gemeldet, die häufigen Sex mit wechselnden Partnern haben. Die Expertin rief dazu auf, die Zahl der Sexualpartner in der betroffenen Gruppe zu reduzieren und Gruppensex zu vermeiden.
Üblicherweise gibt es zwei Impfungen
Nach Angaben des RKI erfolgt eine Grundimmunisierung für Erwachsene, die in der Vergangenheit keine Pockenimpfung erhalten haben, mit zwei Impfstoffdosen Imvanex im Abstand von mindestens 28 Tagen. Die erste Dosis vermittele einen Basisschutz, die zweite diene dazu, die Dauer des Impfschutzes zu verlängern. Wer schon in der Vergangenheit gegen Pocken geimpft wurde, benötige nur eine weitere Impfstoffgabe, so das Robert-Koch-Institut.
Weltweit wurden der WHO bis Mittwoch 35.000 Affenpocken-Nachweise aus 92 Ländern gemeldet. Zwölf Menschen kamen dabei ums Leben. Innerhalb einer Woche stieg die Anzahl zuletzt auf 7500 Fälle, 20 Prozent mehr als in der Vorwoche. In Deutschland waren laut RKI insgesamt 3213 Affenpockenfälle gemeldet worden.
Um eine weitere Übertragung des Virus zu vermeiden, hat die WHO außerdem Affenpocken-Infizierte dazu aufgerufen, sich von ihren Haustieren fernzuhalten. Rosamund Lewis berichtete in Genf von dem ersten Fall einer Übertragung des Affenpockenvirus vom Menschen auf einen Hund, über den vergangene Woche in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet berichtet worden war.
„Dies ist der erste gemeldete Fall einer Mensch-zu-Tier-Übertragung“, so Lewis. „Wir glauben, dass es der erste Fall ist, in dem ein Hund infiziert wurde.“ Bei dem Fall handelt es sich um zwei in Paris lebende Männer und ihren Hund der Rasse Italienisches Windspiel.
Auch öffentliche Gesundheitsbehörden würden Betroffene bereits darauf hinweisen, dass sie sich von ihren Haustieren fernhalten sollten. Außerdem sei das „Abfallmanagement“ im Infektionsfall wichtig. Um das Risiko zu verringern, dass sich Nage- und andere Tiere außerhalb des Haushalts mit dem Virus infizieren. Betroffene müssten darüber informiert werden, wie sie ihre Tiere schützen können und wie sie mit ihrem Abfall umgehen, „damit Tiere grundsätzlich nicht dem Affenpockenvirus ausgesetzt werden“, sagte Lewis.
Denn wenn Viren auf eine andere Spezies überspringen, besteht die Sorge, dass sie zu einer gefährlicheren Variante mutieren können. Die Sorge der WHO gilt jedoch vor allem Tieren, die nicht mit dem Menschen zusammenleben. Gefährlicher sei es dort, „wo ein Virus in eine kleine Säugetierpopulation mit einer hohen Tierdichte eindringt“, sagte WHO-Notfalldirektor Michael Ryan. „Durch den Prozess, dass ein Tier das nächste und das nächste und das nächste ansteckt, kommt es zu einer schnellen Evolution des Virus.“
In Bezug auf Haustiere gebe es wenig Grund zur Besorgnis, so Ryan. Er gehe nicht davon aus, „dass sich das Virus bei einem einzelnen Hund schneller entwickelt als bei einem einzelnen Menschen.“ Man müsse zwar wachsam bleiben, aber: „Haustiere stellen kein Risiko dar.“
Deutschland ist vergleichsweise gut versorgt, doch in Berlin wird es knapp
Bei den Affenpocken handelt sich um eine weniger gefährliche Verwandte der seit etwa 40 Jahren ausgerotteten Pocken. Ihren Namen erhielten sie, weil das Virus ursprünglich 1958 bei Affen entdeckt wurde. Zu den typischen Symptomen der Krankheit gehören hohes Fieber, geschwollene Lymphknoten und Windpocken-ähnliche Pusteln. Übertragen wird sie durch engen Körper- und Hautkontakt.
Unterdessen sorgen sich deutsche Wissenschaftler weiterhin darum, dass bestellte Impfstoffmengen nicht ausreichen könnten, teilte das Science Media Center (SMC) mit. Unter den über 3000 deutschen Infizierten seien zwar wie bekannt vor allem Männer, nach Mittelung des RKI aber mittlerweile auch elf Frauen, drei Jugendliche und ein Kind. Die Infektion breite sich also auch außerhalb der MSM-Community aus. Zwar würden die meisten Betroffenen nicht schwer erkranken, doch es stehe zu befürchten, dass die Affenpocken endemisch würden, sollte der Ausbruch nicht rasch eingedämmt werden.
Neben einer gezielten Aufklärung sei deshalb die Impfung weiter von zentraler Bedeutung, um das Virus einzudämmen. Ob dafür allerdings zeitnah genügend Impfstoff zur Verfügung stehe, sei weiterhin unklar.
Bislang hat die Bundesregierung dem Gesundheitsministerium zufolge 240.000 Impfstoffdosen bestellt, von denen zunächst 40.000 ausgeliefert wurden. Einige Dosen kamen aus EU-Beständen hinzu, 200.000 weitere sollen bis Ende September folgen. Deutschland ist im EU-Vergleich somit vergleichsweise gut mit Impfstoff versorgt. Laut der Deutschen Aidshilfe würden aber etwa eine Million Impfdosen benötigt, um einer halben Million Menschen mit erhöhtem Infektionsrisiko einen dauerhaften Impfschutz zu bieten.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach hatte deshalb vergangenen Freitag die Bundesländer mit nur wenig Fällen von Affenpocken zur Abgabe von Impfstoff an das Land Berlin aufgerufen. Er würde sich freuen, wenn dieser Impfstoff „in den Brennpunkt Berlin“ verlagert werden könnte, weil hier eine überproportionale Belastung bestehe, sagte Lauterbach. Länder wie Großbritannien und Belgien meldeten ebenfalls einen Mangel an Impfstoff.
Was sind intradermale Impfungen?
Auch die USA fürchten Engpässe, weshalb es die Gesundheitsbehörde FDA nun ermöglicht habe, so das SMC, den Impfstoff mit einer geringeren Dosis nicht wie üblich in den Muskel, sondern in die Haut zu spritzen. Normalerweise werden zwei intramuskuläre Dosen verabreicht. Eine Studie zu dem Modified-Vaccinia-Ankara-Virus (MVA) – einem Kuhpockenvirus, das für verschiedene Impfstoffe verwendet wird, unter anderem nun gegen die Affenpocken – habe jedoch gezeigt, dass ein Fünftel der Standarddosis in die Haut gespritzt zumindest immunologisch nicht unterlegen sei. Weil die Haut große Mengen sogenannte dendritische Zellen aufweise. Diese würden dem Immunsystem besonders effektiv fremde Antigene präsentieren, also jene molekulare Strukturen, an die sich Antikörper und T-Zellen im Zuge einer Immunantwort binden können.
Solche intradermalen Impfungen werden etwa bereits bei der BCG-Impfung gegen Tuberkulose eingesetzt. Auch bei Influenza-Impfungen gibt es immer wieder Überlegungen, im Falle von Engpässen intradermal zu impfen. In einer Studie aus dem Jahr 2004 habe die intradermale Verabreichung von einem Fünftel der intramuskulären normalen Dosis eines Grippeimpfstoffs zu einer vergleichbaren, mitunter gar besseren Immunogenität geführt. Nach Impfungen in die Haut kommt es allerdings meist zu stärkeren Impfreaktionen.
Das SMC hat deshalb Fachleute dazu befragt, inwieweit die bisherigen Mengen des Affenpocken-Impfstoffs mit Blick auf noch steigende Fallzahlen ausreichend sind und ob intradermale Impfungen bei Engpässen eine gleichwertige Alternative darstellen könnten.
Professorin aus München: Heftige lokale Reaktion erschwert Akzeptanz
Dazu sagt Ulrike Protzer als Virologin und Direktorin des Instituts für Virologie an der TUM München: „An der aktuellen Impfstoff-Verfügbarkeit wird man nicht viel ändern können. Der Impfstoff ist leider nicht so ganz einfach zu produzieren und es gibt nur einen Produzenten. Das ist die Firma Bavarian Nordic (BN). Das ist aber keine große Pharmafirma mit extensiven Produktionskapazitäten.“ Es sei deshalb auch die Aus-Lizensierung des BN-MVA-Impfstoffs an andere GMP-Hersteller zu diskutieren. BN-MVA oder Imvanex ist der bisher einzige auch für die Affenpocken zugelassene Impfstoff. Wenn das nicht möglich sei, solle man auf das MVA zurückgreifen, das in den 70er-Jahren in Bayern an mehr als 120.000 Menschen verimpft wurde und das zu dem BN-MVA fast identisch sei, so die Professorin. Der Freistaat Bayern habe diesen Impfstoff noch in kleinen Mengen eingelagert. „Dieses MVA könnte man genauso als Basis für Impfstoffe verwenden, die man angesichts der weltweiten Ausbreitung ja benötigen wird. Nicht nur bei uns, sondern auch in Afrika, wo die Affenpocken ja schon seit fünf Jahren grassieren“, so Protzer.
Die Übertragung des Affenpocken-Virus außerhalb der MSM-Community sei zu erwarten gewesen, so Protzer, „da ein enger Kontakt zu den virus-bedingten Hautläsionen ja ausreicht, egal wer den Kontakt hat. Es ist nur eine Frage des Risikos, das jemand hat, mit Läsionen in Kontakt zu kommen. Und das ist in der MSM-Community halt höher. Aber je länger das Virus zirkuliert, umso größer ist die Gefahr, dass es sich in verschiedenen Gruppen ,festsetzt‘.“ Da das eigentliche Virus-Reservoir in Afrika Nagetiere seien, müsse man auch diese gut im Blick behalten.
Zu intradermalen Impfungen sagt Protzer: „Eine geringere Dosis des Impfstoffs könnte ausreichen, wenn man den Impfstoff direkt in die Haut statt wie man das üblicherweise macht in den Muskel verabreicht. Aber das ist ziemlich schmerzhaft und hat in einer Studie, in der das untersucht wurde, ja bei vielen Impflingen auch zu Hautreaktionen geführt, die mehr als 28 Tage angehalten haben. Auch wenn der Impfstoff sonst sehr gut vertragen wird. Ich befürchte aber, dass eine heftige lokale Reaktion auch für die Akzeptanz der Impfung nicht gut wäre.“
Professor aus Köln: „Ich halte von dieser Idee sehr wenig“
Professor Gerd Fätkenheuer sagt als Leiter der Infektiologie an der Uniklinik Köln: „Die Zahl von Personen, die ein erhöhtes Infektionsrisiko haben und deshalb geimpft werden sollten, ist mir aktuell nicht bekannt. Es werden aber sicherlich wesentlich mehr als 240.000 in Deutschland sein. Von daher wird die Impfung allein nicht ausreichen, um die derzeitige Ausbreitung der Affenpocken vollständig zu unterbinden.“ Es seien deshalb zusätzliche Bemühungen notwendig, die vor allem darauf abzielen sollten, das Ansteckungsrisiko zu vermindern. Da sich die Krankheit bisher fast ausschließlich unter Männern ausbreite, die Sex mit Männern haben, müsse diese Personengruppe noch stärker angesprochen werden, um Basiswissen zur Verhinderung der Infektion zu vermitteln. „Hier ist meines Erachtens noch einiges zu tun“, betont Fätkenheuer.
„Wir wissen, dass es besonders Netzwerke von Männern mit einer stark wechselnden und hohen Zahl von Geschlechtspartnern sind, unter denen sich die Erkrankung ausbreitet. Ohne jegliche Reduktion der Ausbreitung wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch andere Personengruppen infizieren, wobei ich dann allerdings nicht mit einer ebenso starken Ausbreitung rechnen würde wie bei MSM. Aber noch bleibe ich optimistisch und gehe davon aus, dass sich mittels Aufklärungskampagnen, Verhaltensänderungen und Impfungen die Ausbreitung deutlich vermindern lässt.“
Die intradermale Injektion der Impfung halte der Experte zwar grundsätzlich für eine interessante Alternative, allein aus praktischen Gründen aber für nicht umsetzbar: „Der Impfstoff liegt gegenwärtig in Ampullen mit 0,5 Milliliter vor, die zur subkutanen Injektion in eine Spritze aufgezogen werden müssen. Das ist bereits jetzt eine ziemlich geringe Menge. Wenn man daraus fünf Spritzen à 0,1 Milliliter aufziehen will, ist das schon von der praktischen Handhabung her ziemlich schwierig.“






