Virales TikTok-Video

Darf ein Café in Charlottenburg noch immer stolz den Namen „Rossiya“ tragen?

Auf TikTok und YouTube hat ein Video für Aufsehen gesorgt, in dem sich eine Ukrainerin über den Namen eines Cafés ärgert. Dabei ist die Besitzerin selbst Ukrainerin.

Ilona Stinska vor dem Café Rossiya in Charlottenburg.
Ilona Stinska vor dem Café Rossiya in Charlottenburg.Benjamin Pritzkuleit

Eine Ukrainerin kommt in ein Café und beschimpft die Inhaberin wegen des Namens der Einrichtung: Rossiya. „Schämen Sie sich nicht, dass Sie ein Café mit so einem Namen betreiben?“, fragt die Frau. Die Eigentümerin, die während des ganzen Gesprächs ihr Baby in den Armen hält, antwortet, sie unterstütze die russisch-ukrainische Freundschaft; sie sei selbst Ukrainerin. Außerdem heiße das Café seit Jahrzehnten so, sie würde es jetzt nicht umbenennen. Dann droht die Frau hinter der Kamera: „Wenn Sie das nicht ändern, werden andere kommen und alles hier in Ihrem Scheißladen verwüsten.“

Nun sind das Café Rossiya und sein angrenzender Laden am S-Bahnhof Charlottenburg seit Langem eine Institution im Kiez; sie bieten einen Treffpunkt für russischsprachige Communitys im sogenannten Charlottengrad. Die Frau, die in dem Video auf der Plattform TikTok mit ihrem Baby hinter der Theke steht, heißt Ilona Stinska. Sie ist 30 Jahre alt, Mutter zweier Kinder, seit sechs Jahren wohnt sie in Berlin. Sie kommt ursprünglich aus der ukrainischen Stadt Berdytschiw in der nördlichen Oblast Schytomyr.

Der Berliner Zeitung erzählt sie, dass sie und ihre Kollegen seit dem 24. Februar mehrfach von Passanten sowie von ukrainischen Stammkunden gefragt worden sind, warum das Café immer noch so heiße. Die Erklärung, eine Aufhebung des langjährigen Markennamens Rossiya würde nichts an der aktuellen Situation ändern, können einige akzeptieren, andere nicht. „Aber niemand ist so aggressiv auf uns zugekommen wie diese Frau“, sagt Stinska.

Stinska schätzt, dass es vor ungefähr drei Wochen zu dem Vorfall gekommen sei. Inzwischen ist das Originalvideo des Gesprächs von TikTok verschwunden, sowie das Konto „tori1.8“, das es veröffentlicht hat. Es wird aber immer noch instrumentalisiert: so von russischen Medien und Bloggern, die behaupten, das Video sei ein Beispiel von Russophobie in Berlin, sowie von einigen ukrainischen Medien, nach denen das Video die Antipathie und Unwissenheit gegenüber russischer Gräueltäten in der Ukraine veranschauliche.

Ein Ausschnitt aus dem viralen Video zeigt Ilona Stinska. „Wie konnte man es zulassen, [das Café] überhaupt zu eröffnen?“ fragt sich der Zuschrift.
Ein Ausschnitt aus dem viralen Video zeigt Ilona Stinska. „Wie konnte man es zulassen, [das Café] überhaupt zu eröffnen?“ fragt sich der Zuschrift.Screenshot/TikTok/tori1.8

Die Frau wurde nie wieder im Café gesehen

Kopien des Videos machen immer noch die Runden auf TikTok und YouTube, werden kommentiert von anderen Nutzern. Einige dieser Videos sind nahezu 90.000 Mal aufgerufen worden. Viele behaupten, die Frau hinter der Kamera sei Geflüchtete: „Warum benehmen sich Geflüchteten so?“, so der Titel eines der Videos. Ilona Stinska kann dies nicht bestätigen. Ob die Frau geflüchtet sei, kam im Gespräch nicht vor. Die ukrainische Nachrichtenseite 24tv.ua berichtet, die Nutzerin hinter dem Konto tori1.8 sei eine in Berlin wohnende Ukrainerin namens Polina, die seit der Veröffentlichung ihres Videos in den sozialen Medien von Russen beschimpft worden sei. Die Seite wirft Stinska auch Naivität und Ignoranz vor, vor allem wegen ihrer Aussagen in dem Video über die „Freundschaft“ zwischen der Ukraine und Russland und ihrer Äußerung, „Russland war vor einem Jahr noch ein normales Land“.

Stinska sagt, sie habe die Frau konfrontiert, nachdem eine Mitarbeiterin sie darauf aufmerksam machte, dass die Frau sie mit dem Handy gefilmt hat; das war ihr zuvor nicht aufgefallen. Die Frau habe dann das Café schnell verlassen, seitdem hat man sie dort nicht wieder gesehen. Auch heute versucht Stinska, ihre Herangehensweise zu erklären. „Ich weiß nicht, was sie im Kopf hatte“, sagt sie. „Vielleicht wurde ihre Familie bombardiert, vielleicht deswegen war sie so aufgeregt.“

Auf seiner Speisekarte sieht man neben russischen Pelmeni und ukrainischem Borschtsch auch georgisches Khatschapuri oder zentralasiatische Manti. Der Name Rossiya beziehe sich darauf, dass Russisch dort noch Amtssprache oder weitverbreitet ist. Russland sei auch in Deutschland einfach mehr bekannt. Auch sein Geschäftsführer, Joachim Rünzi, hat schon Erfahrung mit Beschimpfungen machen müssen. Ein Deutscher habe ihn am vergangenen Freitag auf der Straße angeschrien. „Er sagte mir, ich solle mich als Deutscher auch schämen“, sagt er der Berliner Zeitung, „mit so einem Laden im Zusammenhang zu stehen.“

Für Stinska selbst sei der Krieg ein „Albtraum“ – ihr Vater und Bruder dürfen die Ukraine nicht verlassen, ihre Mutter bleibt auch dort. Ehemalige Klassenkameraden von ihr kämpfen jetzt an der Front; einige seien dabei getötet worden, sagt sie. Stinska ist davon überzeugt, dass nur eine Minderheit der russischen Bevölkerung den Krieg unterstütze. „Seit dem 24. Februar haben unsere Kunden ausschließlich gesagt, dass sie gegen den Krieg sind“, sagt sie. „Niemand ist reingekommen und hat gesagt, dass er den Krieg unterstützt, schon gar nicht wegen des Namens.“ Das Café Rossiya behält seinen Namen. „Wer wissen will, warum dieser Krieg noch andauert, muss die russische Regierung fragen, aber mich nicht.“