Die letzte Frage an den aus der Türkei zugeschalteten Zeugen ist ungewöhnlich und zugleich eine, die den Mann etwas verlegen macht. Die Sachverständige am Gericht möchte von Veysel K. wissen, wie er denn einen der vier Angeklagten so erlebt habe. Schließlich waren sie lange befreundet. Der 41-Jährige überlegt kurz. „Er war sympathisch und faul“, sagt Veysel K. über Yasser Abou-Chaker. Sie fragt nach: „Vermissen Sie ihn?“ Er sagt: „Ich vermisse seine dumme Art. Ich würde gern einmal wieder mit ihm Bowling spielen gehen.“ Yasser schaut vor sich hin, als ginge es gerade hier nicht um ihn.
Am 88. Verhandlungstag des Rappers Bushido gegen seinen ehemaligen Geschäftspartner Arafat Abou-Chaker wurde im Saal 500 unter hohen Sicherheitsvorkehrungen wieder das Ende einer großen Freundschaft verhandelt. Dieses Mal die Freundschaft zwischen Veysel K. und Yasser Abou-Chaker. Beide kennen einander seit der Grundschule und waren lange unzertrennlich, sie haben sich jeden Tag gesehen, so sagt es K. während seiner Aussage vor der 38. Strafkammer am Mittwochmorgen. Er sitzt nicht, wie alle anderen Zeugen vor ihm, im Zeugenstand, sondern wird per Videotelefon zugeschaltet. Er wurde vor eineinhalb Jahren in die Türkei abgeschoben.
Am interessantesten an der Aussage Veysel K.s ist vor allem, dass sie stattfindet. Schließlich habe er noch vor seiner Abschiebung immer wieder gesagt, er wolle die Aussage verweigern. Auf die Frage, warum er jetzt seine Meinung geändert habe, sagte er: „Ich will aufklären, was Sache ist, ich will was Gutes tun.“
Der Richter erhoffte sich von diesem Gespräch mehr Details über die Hauptsache in diesem Verfahren: ein Streitgespräch zwischen Arafat Abou-Chacker und Bushido, der Nebenkläger im Verfahren ist. Am 18. Januar 2018 sollen der mutmaßliche Clanchef und seine drei Brüder Nasser, Rommel und Yasser den Musiker Bushido beleidigt, eingesperrt, erpresst, genötigt und verletzt haben. Unter anderem soll der Rapper mit einer Flasche und einem Stuhl beworfen worden sein. Der Grund des Streits war, dass der Rapper Bushido seine geschäftlichen Beziehungen zu seinem Manager Arafat Abou-Chaker auflösen wollte.
„Ich hab ihm gesagt: Ich bin kein Kind“
Doch obwohl Veysel K. bei dem Treffen teilweise anwesend war, kann er sich erstaunlich wenig an Details dieses Streits erinnern und wenn doch, dann nur an solche, die Arafat Abou-Chaker helfen. Er sei dort vorbeigefahren, weil Bushido ihn gerufen habe, ja. Nein, es habe „nicht dringend“ gewirkt. Und wörtlich: „Bushido saß gemütlich in einer Ecke, er hat lässig gewirkt.“ Die Tür sei nicht abgeschlossen gewesen. Im Laufe seines Besuchs im Büro sei es zwar laut geworden, aber nur zwischen Arafat Abou-Chaker und dem Zeugen K. „Er hat mir gesagt, ich solle den Kontakt zu Bushido abbrechen, da habe ich ihm gesagt: ‚Ich bin kein Kind‘.“
Bushido, bürgerlich Anis Ferchichi, hatte in seiner mehrtägigen ausführlichen Zeugenaussage den Streit in jener Nacht als traumatisch beschrieben. Er sei danach nach Hause gefahren und habe mit seiner Frau darüber gesprochen. Auch seine Frau Anna-Maria Ferchichi bestätigte, dass ihr Mann vollkommen außer sich gewesen sei. Sie erzählte, wie sie ihren Mann nach jenem Abend mehrfach weinen sah, auch deshalb habe sie ihn erst einmal in den Urlaub geschickt. Dann erst sei sie zur Polizei gegangen. Bei der ersten Aussage allerdings habe sie nicht erwähnt, dass ihr Mann bedroht und eingesperrt worden sei.
Veysel K. sei an jenem Abend später auch zu den Ferchichis gefahren. „Ich wollte wissen“, sagt er in die Kamera, „ob Arafat Anis auch blöd angemacht hat.“ Gleichzeitig habe er aber nicht das Gefühl gehabt, dass Bushido sich in einer Bedrohungslage befunden habe. Die Urlaubsreise soll Bushido schon länger geplant haben. Und von der Wasserflasche und dem Stuhl habe Veysel K. dann an jenem Abend erfahren, nur um zehn Minuten später zu behaupten, dass er von der Wasserflasche „aus den Medien“ weiß. In jedem Fall gibt er eine Interpretation der Ereignisse gleich mit: „Das sind alles Dinge, die nicht stimmen“, sagt er über die Vorwürfe der Bedrohung und Körperverletzung. „Ich mag Arafat nicht, aber ich will nicht für Bushido lügen.“
Es ist ein kompliziertes Gespräch über die Videoanlage. Zum Teil müssen Fragen wiederholt werden, Veysel K. gibt sich betont entspannt, ein Arm hängt über die Stuhllehne, er liegt mehr, als dass er sitzt, sein Bauch wölbt sich unter dem weißen Shirt. Er wechselt immer wieder zwischen Hochsprache („sehr geehrter Herr Vorsitzender“) und Umgangssprache („er hat Scheiße gelabert“). Veysel K. widerspricht sich und überhaupt, so bemerkt auch der Vorsitzende Richter irgendwann: Wenn Veysel K. nicht anwesend war während des Streits, warum ist er sich dann so sicher, dass Bushido lügt? Dies ist eine Frage, die bis zum Ende ungeklärt bleibt.
„500 Euro pro Nacht, manchmal das Doppelte“
Im Laufe der Zeugenaussage geht es immer wieder um Männerfreundschaften – ein Thema, dass sich durch den gesamten Prozess zieht. Veysel K. habe als Kind mit den Abou-Chakers Fußball gespielt, sie waren schwimmen und irgendwann gingen sie ins Café. Dann kam Bushido um das Jahr 2005 in das Leben dieser Clique, und Veysel begann, sich um den Bühnenaufbau bei Konzerten zu kümmern. 500 Euro pro Nacht, manchmal das Doppelte.
Doch als er 2013 ins Gefängnis kam, hielten sowohl Arafat als auch Bushido beide ihre Versprechen nicht, sich um K.s Familie zu kümmern. Oberstaatsanwältin Petra Leister fragt Veysel K.: „Haben Sie den beiden vergeben?“ Er sagt: „Bushido eigentlich ja, aber Arafat bis heute nicht.“ Hat sich sein Verhältnis zu den Abou-Chakers gebessert? K. sagt, es sei eher schlechter geworden.
Das wiederum hängt mit Versuchen der Abou-Chakers zusammen, ihn auf ihre Seite zu ziehen: So seien Instagram-Bilder aufgetaucht, auf denen Veysel K. mit Arafat Abou-Chaker zu sehen sei. K. sagt, das seien Fake-Profile. Er selbst habe die nie gepostet. Auch ein Telefongespräch zwischen Arafat und ihm sei zwar im Internet gelandet, aber er habe damit nichts zu tun. Nasser Abou-Chaker habe ihn einmal angerufen, nach dem er abgeschoben worden war, um sich nach ihm zu erkundigen. Sonst gab es keinen Kontakt mehr, vor allem nicht mit seinem ehemals besten Freund Yasser.






