Berlin-Erneut wird versucht, mit farbigen Socken Politik zu machen. Vor fast 30 Jahren hat die CDU mit ihrer Roten-Socken-Kampagne den Einzug der PDS in den Bundestag verhindern wollen. Dieses Mal geht es um blaue Socken – und um die AfD.
Deren Brandenburger Landesverband wurde vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft. Der langjährige Parteichef Andreas Kalbitz ist ein Vertrauter des Hardliners Björn Höcke und war einer der führenden Köpfe des einstigen „Flügels“. Diese parteiinterne Gruppierung ist als „gesichert rechtsextreme Bestrebung“ eingestuft.
Trotzdem könnte die AfD am Sonntag in Cottbus ihren bundesweit größten kommunalpolitischen Erfolg erzielen: Denn dort wird ein neuer Oberbürgermeister gewählt, und der AfD-Kandidat Lars Schieske kann sich Chance ausrechnen, den ersten Wahlgang zu gewinnen. So wie ein AfD-Mann 2019 in Görlitz, doch diese sächsische Stadt ist nur halb so groß wie Cottbus.
Blaue Socken im Mülleimer
Ganz gezielt wirbt die AfD damit, dass sie erstmals in einer Großstadt das oberste Amt erobern könnte. Deshalb macht die Kampagne „Pro Lausitz“ gegen die AfD mobil. In Cottbus hängen Plakate mit Füßen und Socken – in den Farben der Grünen, der SPD, der FDP, der Linken und der CDU. Dazwischen steht ein kleiner Mülleimer, darin zwei blaue Socken. Die Füße stehen auf einer Regenbogenfahne, dazu der Satz: „Wählt Demokrat:innen für den Lausitzer Aufbruch.“
Es gibt keine Umfragen zur Wahl. Aber vieles spricht dafür, dass die AfD zumindest Platz zwei belegen könnte und in die Stichwahl kommt. Die AfD ist seit 2019 stärkste Partei im Stadtparlament, vor der CDU. Sie siegte bei der Landtagswahl 2019, lag bei der Bundestagswahl 2021 auf Platz zwei. Bei der Landtagswahl gewann sie beide Direktmandate. Eines eroberte Lars Schieske, der nun OB-Kandidat ist.

Schieske hat sechs Gegenkandidaten, einen klaren Favoriten gibt es nicht. Amtsinhaber Holger Kelch (CDU) tritt nach acht Jahren nicht mehr an. Er ist ein pragmatischer, wenig charismatischer Sachpolitiker, der zuletzt gesundheitliche Probleme hatte, mehrere Operationen sorgten dafür, dass er monatelang nicht im Dienst war. Der 55-Jährige sagte, er ziehe sich zurück, weil die Lausitz-Metropole eine starke Führung brauche. Nach dem beschlossenen Kohleausstieg droht mit der Schließung von Kraftwerken und Kohlegruben wieder massive Arbeitslosigkeit – und die Politiker pokern um Fördermilliarden.
Zu den aussichtsreichen Kandidaten gehören Thomas Bergner (CDU) und Tobias Schick (SPD). Bergner ist Dezernent für Ordnung und Sicherheit. Damit war er auch der Chef des AfD-Kandidaten. Der arbeitete bei der Feuerwehr, bis er in den Landtag kam. Die CDU wirbt mit Bergners langjähriger Erfahrung in der Verwaltung. Auch die SPD lobt die gute Vernetzung ihres Kandidaten, der Chef des Stadtsportbundes ist. Dazu kommt ein Kandidat von der FDP, die anderen vertreten kleine Gruppen oder sind Einzelkandidaten.
AfD will die Wahl zur „Leuchtturm-Wahl“ machen
Wolfgang Schroeder ist Professor für Gesellschaftswissenschaften und arbeitet für das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Er hat den Wahlkampf in Cottbus beobachtet. „Die AfD versucht, daraus eine Leuchtturm-Wahl zu machen und zu sagen, wir haben die einmalige Chance, in einer mittelgroßen Stadt den Oberbürgermeister zu stellen und zu beweisen: Wir sind in der Lage, zu regieren und zu gestalten“, sagt er.
Der Kandidat gehöre zwar zu einem sehr extremistischen Landesverband. „Aber er sucht den Stil der Verharmlosung und tritt nicht als Extremist auf, sondern als junger Mensch, der sich vor Ort auskennt. Damit könnte er durchaus breitere Wählerschichten ansprechen.“

Schieske ist kein Unbekannter. Das hat mit der jüngsten Geschichte der Stadt zu tun, in der rechtsradikale Kräfte um den Verein „Zukunft Heimat“ versuchen, Cottbus zu einem zweiten Dresden zu machen, zur zweitwichtigsten Protest-Stadt von Pegida & Co. Zu den Demos kamen oft viele Tausend Leute. Bei einer rief Schieske als Feuerwehrmann über den Lautsprecher seines Dienstautos: „Wir grüßen die Patrioten in Cottbus“. Weil er im Dienst politisch neutral sein muss, gab es ein Disziplinarverfahren. So fand er zur AfD.
Sein Wahlslogan lautet: „Damit Cottbus Heimat bleibt“. Er selbst sieht sich nicht als Extremist und sagte der Berliner Zeitung: „Bin ich gegen das Rechts-links-Schema. Wir werden oft an den rechten Rand gestellt. Aber ich war jahrelang CDU-Wähler und stehe noch immer für das, wofür die CDU in den 90er-Jahren stand.“
Schieske hat in den vergangenen Jahren immer wieder Demonstrationen in Cottbus angemeldet – bei denen auch Neonazis gegen Merkels Flüchtlingspolitik oder die Corona-Maßnahmen protestierten. Er sagte zu seinen Wahlchancen: „Cottbus hat ein Bürgertum, das sehr selbstbewusst und bodenständig ist.“ Bei der Landtagswahl bekam er als Direktkandidat 27 Prozent. „Mit ähnlichen Werten rechne ich auch am Sonntag.“

Wahlkampfbeobachter Schroeder sagt: „Er versucht, sich als Mann des Volkes darzustellen, der noch nicht Teil des politischen Establishments ist, der aber als junger Landtagsabgeordneter weiß, was die Regierenden falsch machen. Es ist ein Wahlkampf nach dem Motto: Einer von uns hier unten gegen die da oben.“
Cottbus ist anders als andere Großstädte
Dass die AfD solche Chancen hat, liegt auch an der Schwäche der anderen Parteien. Die Situation in Cottbus – nach der Landeshauptstadt Potsdam zweitgrößte Stadt in Brandenburg – ist dabei ungewöhnlich. Meist sind städtische Milieus nicht so konservativ geprägt wie ländliche Räume. Im CSU-Land Bayern stellt die SPD seit 1948 mit einer kurzen Ausnahme sämtliche Oberbürgermeister.
Brandenburg ist auch das einzige ostdeutsche Land, in dem die SPD seit 1990 immer den Ministerpräsidenten stellte. Doch Cottbus wählte gleich nach der Wende einen CDU-Mann, dann eine Parteilose, dann musste die SPD extra einen Ex-Minister entsenden, um das Amt zu erobern. Der wurde nach einer Amtszeit vom aktuellen CDU-Mann abgelöst. Wie schwach das links-grüne Milieu in Cottbus ist, zeigt sich auch daran, dass Linkspartei und Grüne niemanden ins Rennen schicken.
Der Kreischef der Linken sagt: „Ein Wahlsieg der AfD wäre bundesweit ein fatales Signal.“ Christopher Neumann bezieht das auch auf den Kohleausstieg und das Pokern um die Fördermilliarden. Mit einem AfD-Bürgermeister würden die Verhandlungen schwieriger. „Wer soll uns denn dann noch Geld geben. Und auch die dringend gebrauchten Fachkräfte werden dann nicht kommen.“

Der Politologe Gideon Botsch vom Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum sagt: „Die AfD hat zwar ein gesichertes Stammwählerpotenzial.“ Trotzdem sei der Einzug in die Stichwahl kein Selbstläufer. Auch in der Pegida-Hochburg Dresden sei die AfD gescheitert.
„Die AfD in Cottbus hat es als stärkste Fraktion im Stadtparlament in bemerkenswerter Weise geschafft, sich selbst zu zerlegen.“ Die Partei habe keine kommunalpolitischen Themen gesetzt und auch der Kandidat könne kaum punkten. „Es ist nicht zu erkennen, dass er irgendwo mit großer Erfahrung glänzen kann.“


