Brutal Berlin

Berliner Buddy Bären: 20 Jahre ästhetischer Super-GAU

Seit über zwei Jahrzehnten quälen uns die Berliner Buddy Bären mit ihrem verkitscht-hässlichen Brutalo-Charme. Das sagt viel über diese Stadt aus. Eine Glosse.

Buddy Bären: 50 Kilo schwer, zwei Meter hoch, aus glasfaserverstärktem Kunststoff gefertigt und in einer Pose gefangen, die sich auch mit viel gutem Willen nicht erklären lässt.
Buddy Bären: 50 Kilo schwer, zwei Meter hoch, aus glasfaserverstärktem Kunststoff gefertigt und in einer Pose gefangen, die sich auch mit viel gutem Willen nicht erklären lässt.Rui Pu für Berliner Zeitung

Unter dem Motto „Hand in Hand für Toleranz“ wurden kürzlich am Wittenbergplatz in Berlin-Schöneberg erneut Bären abgestellt. Im Zentrum der feierlichen Präsentation stand die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und bedankte sich, mit Blick auf die farbigen Tiere, für „20 Jahre Vielfalt, Freiheit und ein friedliches Miteinander“.

Ebenfalls seit 20 Jahren sitzt Giffeys Partei, die SPD, im Roten Rathaus, bedankt hat sich da aber noch niemand. Konsterniert stellt man fest: Zwei Jahrzehnte Regierungsverantwortung in den Händen der Hauptstadt-Genossen sind leider auch 20 Jahre verfehlte Politik des öffentlichen Raumes. Und, fast noch schmerzlicher, auch 20 Jahre sozialdemokratische Anbiederung an das private Kapital.

Da schließt sich der Kreis. Denn die neuerliche Bärenmanie steht exemplarisch für jene Investorengläubigkeit, die weite Teile des Stadtzentrums für Durchschnittsverdiener unbezahlbar gemacht hat. Daher dürften die bunten Skulpturen nicht bei allen Bürgern freudige Assoziationen wecken. Besonders bei jenen nicht, möchte man meinen, die aufgrund von Mietsteigerungen und Verdrängung in die Peripherie weichen mussten und für die Schlagworte wie Diversität und Toleranz hohl klingen müssen in Anbetracht der sozialen Schieflage.

Globalisierungskitsch schlechthin

50 Kilo schwer, zwei Meter hoch, aus glasfaserverstärktem Kunststoff gefertigt und in einer Pose gefangen, die sich auch mit viel gutem Willen nicht wirklich erklären lässt. Das ist unser Buddy Bär. Egal ob Tarnfarben-Buddy vor dem Verteidigungsministerium oder Douglas-Bär in Rudow, vor seiner Omnipräsenz haben die Berliner längst kapituliert. Dabei lohnt es sich, die Entstehungsgeschichte dieser Plage noch einmal Revue passieren zu lassen.

Als der Ausverkauf städtischer Liegenschaften in Berlin um die Jahrtausendwende seinen Höhepunkt fand, kümmerte man sich in der Senatskanzlei lieber um handfestere Probleme. Die Stadt suchte nach Ideen für ihr internationales Marketing. Klaus Wowereits „Arm aber sexy“ war im In- und Ausland ein Hit, aber es fehlte an einer visuellen Entsprechung. Warum also nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und den Kotau vor der neoliberalen Agenda der 90er-Jahre mit dem Geschmack einer westdeutschen Millionärsgattin kreuzen?

Die sendungsbewusste Eva Herlitz, eingeheiratet in die gleichnamige Schreibwaren-Dynastie, ließ sich nicht zweimal bitten. Kurzerhand wurde ein amorphes, seriell herstellbares Tierwesen mit Berlin-Bezug aus der Taufe gehoben. Bühne frei für den Buddy Bär. Das war freilich abgekupfert von der Kuh-Kultur aus Zürich, aber wen störte das schon? Von da an sollte das Prestigeprojekt der Dame aus Solingen den urbanen Raum der bundesdeutschen Hauptstadt prägen.

Banalisierung des Stadtraums

Nun gab es auch vor 20 Jahren schon die ein oder andere Wortmeldung ob des drohenden Unheils. Auch Andreas Siekmanns Riesenklumpen aus gepressten Stadtmarketing-Tieren bei den Skulptur-Projekten steckte den Finger in die Wunde. Aber soll man wirklich auf Ästhetik und Anspruch beharren, wenn doch der Weltfriede so nahe scheint? Zitat Frau Herlitz: „Die Liebe der Bären bringt die Welt zusammen.“ Da man „politisch nichts erreichen“ könne, habe sie jetzt diesen anderen Ansatz gewählt. Die Glasfaser-Teddys sollen „... durch ihre pure Existenz in der ganzen Welt Toleranz und Verständnis schaffen“.

Dass die Privatisierung der halben Stadt ihr skulpturales Pendant in einer sinnentleerten Tiergestalt fand, war sicher wohlüberlegt. Das Kapital hatte gewonnen, und so bekam Berlin, was es verdiente.

Mittlerweile stehen allein in Berlin über 400 Buddy Bears zwischen den Toren der Stadt. Auch international ließen sich Unternehmenserbe Klaus Herlitz und seine Ehefrau nicht aufhalten. Im Bärentempo sandte man 1600 der tumben Kumpel in die ganze Welt.

Flankiert wurde die Offensive von der Entscheidung des Außenministeriums im Jahr 2016, jede einzelne deutsche Botschaft auf dem Erdenball mit einem dieser Steiflinge auszustatten. Seitdem ist der hohle Bär offiziell Staatsräson. Ein kluger Schachzug. In jedem Winkel der Erde wird der bunt bemalte Kunststoff-Teddy „made in Germany“ für eine pluralistische Gesellschaft werben. Selbst Israel wurde nicht verschont. Aber auch krisengeplagte Länder wie Oman, Aserbaidschan, Venezuela und Jemen kamen nicht umhin, sich den deutschen Tatzen zu beugen.

Immerhin gibt es mittlerweile neben Kindergeschirr, Taschen und allerhand Papeterie auch Stehtische und Autoaufkleber im passenden Stil. Dass ein Teil der Einnahmen, laut Selbstauskunft über zwei Millionen Euro, an gemeinnützige Einrichtungen ging: geschenkt. Die Unternehmerfamilie Herlitz hätte den Betrag wohl auch ohne viel Aufhebens anonym spenden können. Dabei hätten sie natürlich auf den Spaß verzichtet, unser aller öffentlichen Raum für Jahrzehnte in Geiselhaft zu nehmen.

Symbolhafter Charakter

Doch am Ende geht es neben dem Charity-Gedanken ja auch um reibungsfreies Stadtmarketing. Was passt da besser als ein sanfter, freundlicher Hohlkörper, der sich je nach Standort durch beliebige Bemalung komplett rekontextualisieren lässt und sich dazu als niedrigschwelliges Angebot keiner Zielgruppe verweigert.

Der symbolhafte Charakter geht aber über die Korrespondenz mit der Privatisierungswelle hinaus. Der Frage der deutschen Identität nach 1990 begegnete man hier mit Heile-Welt-Träumereien und der Infantilisierung des Publikums. Anstatt aus den Widersprüchen der jüngsten Stadtgeschichte zu schöpfen, ging man den einfachen Weg hinein in die mit Kommerz getränkte Beliebigkeit. Dabei gibt es durchaus Narrative, die weder in Belanglosigkeit noch in Nostalgie münden und die die Frage nach Authentizität elegant umschiffen, siehe Volksbegehren Tempelhofer Feld.

Mein Vorschlag an Frau Giffey: Man lässt es einfach sein mit dem Stadtmarketing. Kein „Mir geht’s Berlin!“, kein „Be Berlin“ und keine Buddy Bären. Diese Kampagnen haben keine messbaren Erfolge, sie nerven, sind peinlich und kosten Geld. Stattdessen könnte man die Energie in die Umsetzung des Volksentscheids zur Enteignung großer Wohnungskonzerne oder den Neubau von Sozialwohnungen stecken.

Mit den Bären verhält es sich im Übrigen wie mit dem Verkauf kommunalen Eigentums: Das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen. Und so wird unser Volksmaskottchen wohl auch die nächsten 20 Jahre seinen Platz in der Welt behaupten.