Vor dem Roten Rathaus haben sich Fotografen und Kameraleute versammelt. Eine mittlerweile alte Tradition wird heute, an diesem regnerischen Donnerstag, fortgeführt: Franziska Giffey, die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, hisst, anlässlich der Pride Week vor dem Christopher Street Day, vier Regenbogenfahnen.
Es sind die Tage der Tradition für Giffey, könnte man sagen. Vor wenigen Tagen erst lud sie das Who’s who der Stadtgesellschaft zum Hoffest ein. Zum ersten Mal in ihrer Funktion. Und diese Regenbogenfahne – das ist noch so ein Termin, der bei jedem Regierenden Bürgermeister seit etlichen Jahren im Sommer auf der Agenda steht.
Und doch ist heute einiges anders als sonst. Giffey, die zu ihrem gewohnt schwarzen Trenchcoat ein Tuch in Regenbogenfarben trägt, spricht das gleich zu Beginn selbst an. Man habe eine besondere Ausnahme machen müssen. Denn für die Regenbogenflaggen mussten die vier ukrainischen Fahnen weichen, die hier auf dem Rathausvorplatz seit Beginn des Krieges wehten. „Aber als Zeichen für eine vielfältige, offene, freie Stadt ist das ein ebenso wichtiges Signal“, sagt sie in die Kameras. Eine der ukrainischen Fahnen wehe für die Zeit aber trotzdem noch.
Nachdem noch der Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbands und die Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe ein paar Worte gesagt haben, hisst Giffey eine der vier mal zwei Meter vierzig großen Flaggen aus Polyester.
165 Euro kostet eine davon. Gekauft wurden sie in einem kleinen Geschäft mit blauem Teppichboden gleich um die Ecke: dem Flaggenhaus. Dort sitzt zur selben Zeit Thomas Lünser, der das Geschäft schon seit 30 Jahren führt. Man habe den Standort strategisch gewählt, erzählt er. Nicht nur das Rote Rathaus kaufe bei ihm Flaggen, sondern auch das Auswärtige Amt, das Kanzleramt, der Reichstag. „Wir haben sie alle“, sagt er. Sensible Kunden seien das, mit hohen Ansprüchen.
Eine Regenbogenflagge sei teurer als andere, sagt Lünser, wegen der vielen Streifen. Genäht werden sie hier in Berlin bei einer Näherei in Marzahn. Den genauen Namen will Lünser nicht verraten, Geschäftsgeheimnis, wie er sagt. Doch, dass das Geschäft mit den Flaggen gut läuft, daraus macht er keinen Hehl. Schließlich würden dauernd Flaggen und Fähnchen gebraucht. Ob für den Sportverein, für die Käsehäppchen bei der Party, oder eben Nationalflaggen bei Staatsbesuchen.
Und an Flaggen könne man auch sehr gut gesellschaftliche Entwicklungen ablesen, so Lünser. In letzter seien vor allem ukrainische Flaggen gekauft worden. „Egal, wo es auf der Welt brennt, wir merken das bei uns im Laden, wie bei einem Seismografen“, sagt er. Und so sehe man auch, dass die Schwulen- und Lesbenszene sich immer weiter aufspalte. Die Regenbogenfahne habe Konkurrenz bekommen. Es gebe jetzt auch eine progressive Fahne und noch viele weitere, die die unterschiedlichen Splittergruppen repräsentierten.



