Berlin rechnet mit einem weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen aus der Ukraine. „Wir sind erst am Beginn einer Entwicklung“, sagte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Dienstag nach einer Senatssitzung. Täglich kämen derzeit im Schnitt 10.000 Menschen aus der Ukraine in Berlin an. Giffey appellierte erneut an die „föderale Solidarität“ der anderen Bundesländer.
Nach einem Lagebericht des Senats kamen am Montag rund 5200 Personen in Berlin an. Das ist etwa eine Halbierung der Zahlen der vergangenen Tage. Gleichzeitig bleiben die Unterbringungszahlen hoch. So sind nach Giffeys Angaben in der Nacht zu Dienstag 1200 Geflüchtete vom Land Berlin untergebracht worden. Laut Lagebericht blieben 1300 Betten frei. Feldbetten stehen unter anderem in der Messe Berlin und im ehemaligen Flughafen Schönefeld.
Eine Entspannung ist aber laut der Regierenden Bürgermeisterin nicht in Sicht. Es müsse damit gerechnet werden, dass bis zu einem Viertel der ukrainischen Bevölkerung ins Ausland flieht, also rund zehn Millionen Menschen. Bislang sind laut UN drei Millionen aus dem Land geflüchtet.
Ab dem Wochenende soll am ehemaligen Flughafen Tegel ein Ankunftszentrum in Betrieb gehen – auch dort sind Schlafplätze eingerichtet worden. Geplant sind darüber hinaus bis zu 100 Schalter zur Registrierung und weiteren Verteilung der Geflüchteten in andere Bundesländer. Bis zu 200 Busse sollen dort pro Tag abgefertigt werden können.
Dazu sucht der Senat aktuell Personal. Benötigt würden für den 24-Stunden-Betrieb etwa 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Giffey baut dabei auf Freiwillige aus der Landesverwaltung, Unterstützung von Polizei und Feuerwehr, Personaldienstleister, Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie Angehörige von Bundespolizei und Bundeswehr.
In einem Brief an die öffentlichen Bediensteten schreibt sie: „Wir brauchen dringend freiwillige Helferinnen und Helfer aus den Dienststellen des Landes Berlin, die für einen Zeitraum von jeweils drei Wochen beginnend am 18. März ihre Bereitschaft erklären, im Ankunftszentrum Tegel mitzuhelfen.“ Der 18. März ist der Freitag.
Mit solchen und anderen Maßnahmen will die Regierende Bürgermeisterin die Ausrufung des Katastrophenfalls aufschieben. Das Berliner Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz biete bislang alle Möglichkeiten, von der Einrichtung von Krisenstäben über Amtshilfeersuchen bis hin zu Beschlagnahmungen, wenn nötig.
Unterstützung erhält Franziska Giffey dafür selbst von der oppositionellen FDP. „Ich finde es richtig, dass Berlin versucht, kreative Lösungen zu suchen“, sagt deren innenpolitischer Sprecher Björn Jotzo.
Zu diesen kreativen Lösungen gehört aus Sicht des Senats, dass die Sozialämter in den Bezirken den Ukrainern Nothilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auszahlen sollen. Damit geht das Land Berlin in Vorkasse, ehe der Bund die Auszahlung über die Agentur für Arbeit übernimmt.
An einem Prinzip soll sich durch den Auszahlungstrick jedoch nichts ändern: Den Ukrainern wird weiterhin empfohlen, kein Asyl zu beantragen. Für sie wird ein Flüchtlingsstatus angestrebt.
Berliner Senat trickst bei Auszahlung von Überbrückungsgeld für Ukrainer
Doch einfach ist deswegen nichts. Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) berichtete am Dienstag von ersten ukrainischen Antragstellern im Sozialamt Wedding, nicht allzu weit entfernt vom Hauptbahnhof, wo nach wie vor Tag für Tag die meisten Menschen aus den Kriegsgebieten eintreffen. Schon fürchtet das zuständige Sozialamt Personalengpässe.
Ähnlich wie bei der Nothilfe in den Sozialämtern nimmt der Senat auch bei der Verteilung der Flüchtlinge auf andere Bundesländer eine Anleihe beim Asylsystem vor. Dort kommt EASY zum Einsatz, die Erstverteilung der Asylbegehrenden. Im konkreten Fall ersetzt dieses System den eigentlich dafür gedachten Königsteiner Schlüssel, der die Aufteilung von Lasten auf die Länder regelt. Da die Ukrainer aber als Touristen gelten, können ihnen bisher keine Vorgaben zum Aufenthaltsort gemacht werden – der Königsteiner Schlüssel ist also unwirksam.
Die Verteilung der Flüchtlinge auf andere Bundesländer bleibt mühsam
Trotzdem verteilt Berlin nach Absprache mit anderen aufnahmebereiten Bundesländern die Menschen nach EASY. Ziel ist dabei weiterhin, alle reisefähigen Menschen weiterzuschicken, die keine Familie, Freunde oder sonstige Unterkunft in Berlin vorweisen können oder besonders schutzbedürftig sind. Wohl wissend, dass die Ukrainer sich oft mithilfe der kostenlosen Tickets der Deutschen Bahn wieder auf den Rückweg nach Berlin machen.
Eine Einigung bahnt sich bei der Frage nach der ins Stocken geratenen Registrierung an. Wer bereits eine Meldebescheinigung oder ein entsprechendes Papier des Wohnungsgebers habe, könne vom Landesamt für Einwanderung (LEA) einen Aufenthaltstitel bekommen, so Kipping. Wer all dies nicht habe, könne sich beim Landesamt für Flüchtlingsfragen (LAF) registrieren lassen. Ein Registrierung ist unter anderem dafür notwendig, um etwa umfassende medizinische Versorgung, psychosoziale Betreuung oder auch eine Anmeldung in Kita oder Schule in Anspruch nehmen zu können.


