Rohheit ist mir fremd, aber für Angelika Mittenbühler und Joachim Oehlert würde ich eine Ausnahme machen. Falls Putin zur Abwechslung mal ein gottgefälliges Raketenziel sucht, empfehle ich „Welt der Verführung“. Ein Versandhaus in Hemel Hampstead, England. Ersatzweise schwebt mir vor, die Geschäftsführerin und den Finanzdirektor öffentlich zu demütigen, assistiert von Fachkräften aus Abu Ghraib.
Ich radikalisiere mich. Pardon, es ist persönlich. In einer früheren Kolumne erwähnte ich die Demenz meiner Schwiegermutter. Monika vergisst viel und schnell. Was leider überhaupt nicht schwinden will, ist ihr Glaube, das große Los gezogen zu haben. Selbiges verheißen ihr Gewinnbescheide, die ständig mit der Post kommen. Monika rechnet täglich mit dem Geldboten. Die ihn angeblich schicken, nennen sich „Bela Vita“, „US Bosten Institute“, „Aqua Vitalis“ oder eben „Welt der Verführung“.
Vor mir liegt eine Massenaussendung der Verführer Mittenbühler und Oehlert: ein „Gewinn-Freigabe-Dokument“ mit dem Siegel „Bestätigter Gewinner“, der Mahnung „Antwort erforderlich“ und der Warnung „Wenn Sie nicht antworten, müssen wir annehmen, dass Sie kein Interesse an dem € 8700,00-Gewinn haben“. Monika hat alles angekreuzt, wo „JA“ steht. Wer ankreuzt, bestellt kein Geld, sondern verschleudert es für Plunder zu Mondpreisen: Fußsalben, Grützkonfekt des Grauens, „Sekt“ mit Blattgoldkrümeln. Dreck, für den sich jede Mülltonne zu schade sein sollte. Im Haus stapeln sich Pakete. Dazu Rechnungen, Mahnungen. Es geht um Unsummen, bei Fortsetzung Privatinsolvenz.
Es gibt spektakulärere Storys. Etwa die von den Trickbetrügern, welche sich bei einem alten Herrn telefonisch als Polizisten ausgaben: „Einbrecher haben Ihre Wohnung im Visier. Legen Sie schnell alle Wertsachen vor die Tür, unsere Beamten bringen die dann in Sicherheit.“ Das wirkt kurz komisch, ist aber nicht lustig. Monikas Lieferanten spielen in derselben Liga. Sich an Wehrlosen zu vergreifen, definiert den Begriff der Erbärmlichkeit. In Gesprächen mit Freunden hören wir regelmäßig: „Ach, das kenne ich von meinen Eltern.“ Verbraucherzentralen führen zwar schwarze Listen, doch Behörden reagieren langmütig. Die de facto oft geschäftsunfähigen Opfer bleiben auf private Hilfe angewiesen, von jemandem, der Zeit, Nerven und im Idealfall einen Anwalt hat.



