Anno 1954 sind die ersten Fernsehgeräte noch eine Sensation, die blonden Wasserwellen-Frisuren wippen im Rock-’n’-Roll-Takt und die Autos haben schöne runde Formen. Die bundesdeutschen „Wirtschaftswunderjahre“ machen im Fernsehen optisch einiges her – ARD und ZDF haben es in den letzten Jahren bewiesen. Das ZDF startete 2016 mit „Ku’damm 56“ eine erfolgreiche Reihe über eine Berliner Tanzschule, eine vierte Staffel ist in Planung. Die ARD zog 2020 mit dem Mehrteiler „Unsere wunderbaren Jahre“ nach, eine zweite Staffel über die 1960er-Jahre wird bereits gedreht. Auch in der ARD-Serie „Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“ werden die 1950er-Jahre aufwändig rekonstruiert: 700 Kostüme, 150 Hüte und 100 Mäntel trug die Kostümabteilung zusammen, rund 500 Lockenwickler und viele Kilo Haarnadeln steuerten die Maskenbildnerinnen bei.
Politische und private Konflikte um Verdrängung und Aufarbeitung
Die aktuelle Serie verschiebt den Schwerpunkt deutlich vom Privaten ins Politische. Erzählt wird aber, wie bei „Ku’damm“ und „Unsere wunderbaren Jahren“, aus der Sicht einer jungen Frau, die sich nicht von den vorgegebenen Konventionen einengen lässt. Die 20-jährige Toni Schmidt (Mercedes Müller) kehrt nach einem Au-pair-Jahr in London zu ihrer Familie zurück. Doch sie will nicht in den boomenden Fernseh-Laden ihres Verlobten einsteigen, sondern eigenes Geld verdienen. Ihr Vater, ein gut beschäftigter Bauunternehmer (Juergen Maurer) und früherer Wehrmachtsoffizier, bringt sie als Fremdsprachenkorrespondentin bei einem alten Kameraden unter. Es ist der frühere Spionage-General Reinhard Gehlen (Martin Wuttke), der sich mit seinem Geheimwissen über die Sowjetarmee den Amerikanern angedient hat und nun mit alten Freunden aus der Nazizeit gegen die neuen Feinde arbeitet: die Russen und die Kommunisten.
Schon in London war Toni einem Gegenspieler von Gehlen begegnet: Der Jurist Otto John (Sebastian Blomberg) gehörte 1944 zu den Mitwissern des Attentats auf Hitler, ist seit 1950 Chef des Amtes für Verfassungsschutz und jagt untergetauchte Nazi-Größen. John und sein Spezialagent Wolfgang Berns (Max Riemelt) versuchen, über Toni an Informationen aus dem Gehlen-Lager zu kommen. Auch familiär wird die selbstbewusste Zwanzigjährige in die Konflikte um Verdrängung und Aufarbeitung hineingezogen: Ihr Bruder war 1944 als Überläufer erschossen worden. Weder die Mutter (Katharina Marie Schubert) noch der autoritäre Vater wollen diesen Tod wahrhaben, jeder auf seine Weise.
Nazi-Größen zurück in der Politik
Die Verbindung von Spionage-Thriller und Familiendrama ist auf elegante Weise gelungen und bleibt so spannend wie abwechslungsreich. „Bonn“ erzählt viel über das Fundament, auf dem die Bundesrepublik in jenen Jahren errichtet wurde – und längst nicht alles war damals bekanntlich „wunderbar“. Dabei kann es sich Regisseurin Claudia Garde, die auch als Headautorin fungierte, sogar leisten, ein Ereignis wie den Sieg bei der Fußball-WM einfach außen vor zu lassen – das „Wunder von Bern“ ist ja schon genug gefeiert worden. Wie die Frauen darum kämpften, gegen die vom Krieg geprägten Männer ihre neue Rolle zu behaupten, das wird ebenso schlüssig erzählt wie die Rückkehr von Nazi-Größen an Schaltstellen in Verwaltung und Politik.
Eine Figur wie Hans Globke, im Dritten Reich an der Umsetzung der Nürnberger Rassegesetze führend beteiligt und nun unter Adenauer Chef des Bundeskanzleramtes, tritt hier als Nebenfigur auf. Viel prägender für den Film ist natürlich Martin Wuttke als jovialer Geheimdienstler Reinhard Gehlen (auch wenn er mit Hut und Sonnenbrille wie der späte Udo Lindenberg aussieht). Er spielt nicht einfach einen Schurken, sondern einen schillernden Opportunisten, der durchaus einnehmende Züge hat, aber hart zuschlagen kann. Ebenso facettenreich agiert Sebastian Blomberg als Otto John, ein Patriot, der auf verlorenem Posten steht. Die Experten in der Begleitdoku der ARD zeigen auf, dass er 1954 schon kein wirklicher Gegner für den künftigen BND-Chef Gehlen war und dass seine seltsame Reise nach Ost-Berlin im Sommer 1954 „politisch naiv“ war – zu deutlich waren die Weichen der BRD Richtung Westen gestellt, seine Träume vom friedlichen Gesamtdeutschland längst eine Illusion. Die Doku enthält viele aufschlussreiche Interviews aus dem Archiv, unter anderem mit Otto John selbst.
Doch getragen wird der fünfstündige Mehrteiler vor allem von Mercedes Müller. Ihre Toni Schmidt macht nicht nur auf dem Tanzboden und im Ballsaal eine ausgesprochen gute Figur, sondern sorgt bei ihren versteckten Recherchen für die Spannungsmomente. Ihre Londoner Zeit ist eine plausible Erklärung dafür, dass sie als Zwanzigjährige so energisch den deutschen Abgründen in Politik und Familie nachgeht. Katharina Marie Schubert und Juergen Maurer überzeugen als Tonis Eltern, die stark unter Druck stehen. Auch der Spezialagent von Max Riemelt, der mit Toni eine Affäre beginnt, ist schwer belastet vom Krieg – und bis zum Schluss weiß man nicht, auf welcher Seite er eigentlich steht. Doch nicht nur in den Figuren steckt die Zerrissenheit jener Jahre. Regisseurin Claudia Garde findet immer wieder beredte Szenen: So recken die Teilnehmer einer Karnevalsgesellschaft zum Ruf „Kölle Alaaf“ wie entfesselt den rechten Arm – es sieht aus, als grüßten die Narren den „Führer“ mit „Sieg Heil!“




