In der Netflix-Serie „Totenfrau“ spielt Anna Maria Mühe eine Bestatterin, die den Mord an ihrem Mann rächen will. Bei der Suche nach dem Täter tun sich bald grausige Abgründe unter der schneebedeckten Idylle der Tiroler Berge auf. Blum stellt fest, dass hier diverse Männer in der Hölle nicht schlecht aufgehoben wären, und lässt dieser Erkenntnis Taten folgen.
Liebe Frau Mühe, „Totenfrau“ ist nach „Dogs of Berlin“ die zweite große Netflix-Produktion, bei der Sie eine Hauptrolle spielen. Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit für einen Streaming-Anbieter von der fürs deutsche Fernsehen oder Kino?
Man muss schon sagen, dass zurzeit eigentlich alle großen Streaming-Anbieter eine tolle Plattform für uns Schauspieler:innen sind. Es gibt dadurch gerade schlicht mehr Gelegenheiten, unseren Beruf auszuüben. Das Serienformat ist für mich interessant, weil ich eine Figur von der Pike auf erzählen kann. Bei der Arbeit an sich habe ich aber keine wirklichen Unterschiede gespürt.
Ein großer Unterschied bei der Auswertung ist, dass man sofort ein internationales Publikum und auch die Presse erreicht. „Dogs of Berlin“ kam im Ausland sehr gut an – die deutschen Kritiken waren durchwachsen.
Ich beschäftige mich damit eigentlich nicht so sehr, auch nicht mit Quoten, weil ich das meistens sehr anstrengend finde und auch nie zielführend. Auch nicht im Fernsehbereich, wo ganz viele Projekte nicht weitergedreht werden, obwohl die Quote nach meinem Verständnis eigentlich gut war. Aber klar, wenn man sieht, dass etwas auch im Ausland gut ankommt, und mir plötzlich Menschen aus aller Welt schreiben, freut mich das natürlich.
Haben Sie vor Ihrer Zusage zu „Totenfrau“ die Romanvorlage von Bernhard Aichner gelesen?
Ich habe quergelesen, wollte mich aber nicht zu sehr von den Drehbüchern ablenken lassen, weil es da schon einige Unterschiede gibt.
Was hat Sie an der Rolle der Heldin Blum interessiert?
Sie ist eine sehr facettenreiche Figur, mit der ich Dinge zeigen und Kämpfe führen durfte, die ich vorher noch nie geführt habe. Generell mochte ich diese starke Frau, die auf der Suche nach der Wahrheit durch die Scheiße rennen muss und will.
Blum ist Bestatterin. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Ich war bei einer Bestatterin, die bei zwei Leichen das ganze Prozedere mit mir durchgegangen ist.
Wie kann man sich das vorstellen?
So ein Leichenschauhaus ist an sich schon mal ein merkwürdiger Ort, an den man sich erst mal gewöhnen muss. Dann wurde die Leiche aus der Kühlung gebracht, und die Bestatterin hat tatsächlich, wie Blum, sofort angefangen, mit ihr zu sprechen: „Heinz, das ist die Frau Mühe, sie hilft mir heute.“ Das war gut für mich, weil es mir die Angst vor dem Fremden genommen hat. Ich habe ein paar Minuten gebraucht, um mich zu überwinden, die Leiche anzufassen. Es war ein sehr merkwürdiges und fremdes Gefühl. Schritt für Schritt bin ich der Arbeit dann aber näher gekommen. Zuerst haben wir die Leichenstarre gelöst, was extrem schwer ist, man braucht dazu mehr Kraft als erwartet. Wir sind dann sämtliche Schritte, die wir für die Geschichte brauchten, durchgegangen.

Blum ist keine konventionelle Frauenfigur. Nicht nur, weil sie mordet, sondern auch, weil zum Beispiel ihre Kinder augenscheinlich nicht immer ihre erste Priorität sind.
Mich hat das gereizt, weil ich sie als sehr willensstarke und auch moderne Frau empfunden habe, bei der die Familie eben nicht immer im Mittelpunkt steht.
Sie haben mittlerweile jahrzehntelange Krimi-Erfahrung im deutschen Fernsehen, unter anderem aus diversen „Tatorten“ und als Ermittlerin in „Solo für Weiß“. Darin geht es überproportional häufig um Gewalt gegen Frauen und Kinder, so auch in „Totenfrau“. Wie stehen Sie dazu?
Da gibt es zwei Seiten. Zum einen das Schauspielerinnenherz in mir, das gerne an die Grenzen des Unerträglichen geht, weil es interessant ist, um Dinge auszuprobieren. Dann gibt es aber den moralischen Teil in mir, der es sehr schwierig findet, die Gewalt an Frauen auf eine bestimmte Art zu zeigen und dem dann auch so eine große Plattform zu geben. Insofern war ich recht froh, dass es bei „Totenfrau“ zwar auch um Gewalt gegen Frauen, noch mehr aber darum geht, wie sich eine Frau dagegen wehrt.
Hat sich da in Ihrer Wahrnehmung in den vergangenen Jahren etwas verändert? Sowohl was die Geschichten angeht, die man erzählt, als auch die Art, wie sie inszeniert werden?
Ich bin mir nicht sicher, ob sich die Geschichten verändert haben, aber der Umgang damit schon. Es gibt mittlerweile immer einen Coach am Set, der uns bei solchen Szenen schützt. Das geht schon bei Kussszenen los. Da wird vorher genau besprochen, ob sich die Beteiligten wohlfühlen und wie weit sie gehen wollen. So liegt automatisch immer die Aufmerksamkeit darauf, dass gewisse Dinge beim Dreh eben nicht für alle gleich leicht sind oder gleich schwer, sondern jeder einen anderen Umgang damit hat.
Das Thema „Intimacy Coaching“ haben Sie auch schon ausführlich in Ihrem Podcast mit den Kolleginnen Cristina do Rego und Jasna Fritzi Bauer besprochen. In einer anderen Folge ging es ums Älterwerden als Frau in der Film- und Fernsehbranche. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?
Ich habe zum Glück noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Vielleicht müssten wir darüber in zehn Jahren noch mal sprechen. Aber ich kenne viele Kolleginnen, bei denen das anders ist. Ich glaube, es gibt zwei kritische Punkte in der Karriere von Schauspielerinnen. Der erste mit Anfang 30, wenn man meistens noch nicht für Mutterrollen besetzt wird, aber auch keinen Teenie mehr spielen kann. Das ist eine Hürde, die man schaffen muss. Die nächste kommt dann mit 40 oder 50. Weil ich zum Beispiel recht jung aussehe, habe ich lange Teenager gespielt und spiele auch jetzt, mit 37, noch manchmal Figuren, die Anfang 20 sind. Das ist einerseits ein nettes Kompliment, aber natürlich spiele ich auch total gerne eine Frau in meinem Alter.
Im Fall von „Solo für Weiss“ war es andersrum. Da haben Sie mit 29 angefangen, eine Zielfahnderin zu spielen.
Das stimmt. Das war knapp an der Grenze zum Unrealistischen. Tatsächlich nehme ich seit ein paar Jahren den Trend wahr, dass junge Schauspielerinnen sehr gefördert werden. Was einerseits schön ist, für die Älteren aber wiederum weniger Rollen bedeutet. Frauen mit Mitte 40 sind aber genauso spannend wie Frauen mit Mitte 20. Deshalb würde ich mir wünschen, dass deren Geschichten genauso häufig erzählt werden.
Woher kommt dieser Trend?
Ich glaube, es liegt daran, dass sich viele Produktionen jetzt mit vielen Frauenfiguren schmücken wollen. Aber das tun sie eben überwiegend mit jüngeren Frauen.
Wie hat sich Ihr persönliches Medienkonsumverhalten in den vergangenen fünf Jahren verändert?
Ich habe tatsächlich lange gebraucht, um an den Serienhype anzuschließen. Als mir schon lange alle gesagt haben, was ich alles gucken muss, hatte ich immer noch das Gefühl, dass ich nicht genug Zeit dafür habe. Auch weil ich mit kleinem Kind abends einfach müde war und früh geschlafen habe. Mittlerweile nehme ich mir aber immer öfter den Raum und die Zeit dafür. Ich gehe aber nach wie vor gern ins Kino, am liebsten allein um 17 Uhr, und sitze dann da wie eine Oma, ohne Popcorn, und freue mich.
Wieso allein?
Weil ich mich dann am besten auf einen Film einlassen kann. Ich rede jetzt natürlich nicht über einen „James Bond“. Aber alles, was Einfühlungsvermögen erfordert, schaue ich lieber in Ruhe.

Für ihre Darstellung einer Mutter, die ihren in der DDR zurückgelassenen Säugling sucht, wurde sie 2008 für den Deutschen Filmpreis nominiert, 2012 ernannte man sie bei der Berlinale zum „Shooting Star“ als eine der aufstrebenden Jungschauspielerinnen Europas.
Seit November 2016 gibt Mühe die titelgebende Zielfahnderin in der ZDF-Krimireihe „Solo für Weiss“. In dem dreiteiligen Doku-Drama „Mitten in Deutschland: NSU“ spielte sie Beate Zschäpe. Mühe lebt mit ihrer Tochter in Prenzlauer Berg.





