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Jella Haase in „Kleo“: Das Töten beherrscht sie, aber nicht den DDR-Pioniergruß

Als Doku, Melodram und Komödie haben wir die Stasi durchgearbeitet. Fehlt noch das Genre der schwarzen Vendetta-Komödie: Die Netflix-Serie „Kleo“ geht voran.

Jella Haase spielt die Titelrolle in „Kleo“, einer Stasi-Thriller-Serie auf Netflix.
Jella Haase spielt die Titelrolle in „Kleo“, einer Stasi-Thriller-Serie auf Netflix.Netflix/Julia Terjung

Wenn die Stasi für eins von Nutzen war, dann als Plot-Lieferant: die DDR, ein Land der archaischen Konflikte, der Tragik und des Slapsticks. Der Verrat war institutionalisiert. Inoffizielle Mitarbeiter statteten sich mit Legenden aus und pfuschten in die Biografien ihrer Zielpersonen hinein. Und die Bürgerinnen und Bürger hielten mehr oder weniger um des lieben Friedens willen an einer längst zur Fiktion gewordenen Ideologie fest. Als dieses Lügengebäude, in dem man sich gut arrangieren und ein erfülltes Leben führen konnte, dann einstürzte, bekamen all die Biografien einen fulminanten Wendepunkt, an dem die Werte und Gewissheiten durcheinandergewürfelt wurden. Entlang dieser Fallhöhe lassen sich Geschichten aller Genres erzählen, warum nicht auch ein brutaler, schwarzhumorig überdrehter Thriller um eine Stasiagentin mit der Lizenz zum Töten, die nach besagtem Wendepunkt zur racheengelhaften Identifikationsfigur wird? Die neue Netflix-Serie „Kleo“ versucht das.

Jella Haase spielt die Titelrolle mit geradem, seligem, der Zukunft zugewandtem Blick einer FDJlerin. Sie wird von ihrem Großvater, einem Stasigeneral (Jürgen Heinrich), aufgezogen und als Eliteagentin ausgebildet. Als Kundschafterin für den Frieden führt sie ein leicht betuliches Privatleben, guckt „Pittiplatsch“ im Röhrenfernseher, führt ironisch (und unkorrekt in der Handhaltung, wie hier angemerkt werden muss) den Pioniergruß aus und träumt vom Familienglück mit ihrem Führungsoffizier Andi (Vladimir Burlakov), der sie entgegen allen Vorschriften geschwängert hat.

Es ist bestechend, wie sie diesen Blick durchhält: damit zum Dienst geht, durch einen Tunnel in den Westen, wo sie aufgebrezelt und mit einem Rasiermesser im Strumpfband im Big Eden aufkreuzt, einen feindlichen Agenten antanzt, auf die Toilette beordert, ihm Gift verabreicht und ruhigen Auges bei seinem durchaus qualvollen Todeskampf zusieht, der ihm das Blut durch Nase, Ohren und Tränendrüsen treibt. Lächelt sie gar? Oder gibt sie ihm ein letztes Quantum Trost mit auf die Reise?

Tief und für die vorbildliche Kämpferin unbegreiflich ist dann ihr Absturz: Sie wird von den eigenen Leuten der Spionage bezichtigt, bekommt das Unrechtssystem am eigenen Leib zu spüren, wandert, nun ihrerseits verleugnet und verraten, in den Knast und verliert dort ihr Baby.

Auch wenn sie im Laufe der Handlung den Einbruch ihrer Ideale sowie tiefe persönliche Enttäuschungen hinzunehmen hat, auch wenn sie recht fiese körperliche Schmerzen zu ertragen und hanebüchene Kämpfe auf Leben und Tod auszufechten hat, ändert sich wenig an ihrem puppenhaften Blick, den sie unter verschieden gut sitzenden Perücken hervor und durch ausgesuchte Brillengestelle hindurchschickt. Sie stößt Racheschreie, Wimmertöne, Klagelaute und manchmal auch Lustgrummeln aus, singt in ihrer seelischen Bedrängnis das Lied vom Kleinen Trompeter, aber immer wieder leuchtet sie mit ihren Augenlampen und ihrer hellen Unbeirrbarkeit in die Welt: nimmt die Geschehnisse und Folgen ins Visier und leitet in brutaler Konsequenz ihre Handlungen ab. Mit bis zu den Brauen aufgeklappten Augen setzt sie Schritt für Schritt auf ihrem Feldzug der Rache und wendet mit der Innovationsfreude und Sorgfalt von braven Jungpionieren aus dem Zirkel junger Ingenieure die verschiedensten Methoden an, um ihre sie unterschätzenden Widersacher aus dem Leben zu befördern: mit Schusswaffen und Giften aller erdenklichen und verfügbaren Art, automatischem Flammenwerfer, beeindruckend wirkmächtigem Sprengstoff oder vergleichsweise unraffiniert mit einem Garderobenhaken. Und wenn sie doch mal weint, dann gnade uns Gott.

Sven (Dimitrij Schaad) jagt Kleo, kommt als Retter hier zu spät.
Sven (Dimitrij Schaad) jagt Kleo, kommt als Retter hier zu spät.Netflix / Julia Terjung

Das Autorentrio „HaRiBo“ (Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob Konrad), bekannt von dem Serienhit „4 Blocks“, hat sich ausgetobt und scheucht die Handlung auf eine die Zuschauer geradezu beleidigende Weise mit versehentlich liegen gelassenen Passbildern und Visitenkarten, jahrelang ignorierten Telefonnummern oder, huch!, aus Akten rutschenden Blättern voran. Diese vom Zufall plump in den Weg gestreuten Botschaften halten Kleos Widersacher, den so gutgläubigen wie eitlen Westpolizisten Sven Petzoldt (Dimitrij Schaad), auf ihrer Spur wie bei einer Schnitzeljagd. Hübsch, wie er einmal sogar in die Kamera zwinkert, als er bei einer Hausdurchsuchung mit dem ersten Griff ins Regal fündig wird: „Das war ja einfach.“ Auch dass sich immer alle aus Versehen und aus Gründen der erzählerischen Effektivität über den Weg laufen, ist eigentlich ganz lustig. Warum sollte man sich einen mit glaubwürdigen Begründungen und historischen Genauigkeiten abbrechen, wenn man die Dinge einfach behaupten und ohne Erklärungsaufwand gleich zu den leckeren Szenen schneiden kann? Wir sind hier nicht im Stasiarchiv, sondern bei Netflix.

Leider merkt man dem ganzen Unterfangen die Mühe des Frechseins und die Tapferkeit beim mutwilligen Unterlaufen aller Anforderungen an Dramaturgie und Glaubwürdigkeit an. Auch den Schauspielern, die sich in der Regie von Viviane Andereggen und Jano Ben Chaabane unbedingt was trauen sollen. Die Blicke, Gesten und Sprüche wirken oft abgeguckt und draufgeschafft, das Timing sitzt nicht immer, und der Immer-noch-eins-druff-Humor traut den eigenen Pointen dann doch nicht so recht über den Weg. Abgeholt fühlt man sich von den langen Kamerablicken in die fragenden und auch ein bisschen peinlich berührten Gesichter der Figuren, die, was ihnen widerfährt, selbst nicht glauben können. Darüber tröstet auch die optische Raffinesse mit seltsamen Perspektiven und überkandidelter Ausstattung nicht immer hinweg.

Die Agentin auf dem Weg ins Einsatzgebiet
Die Agentin auf dem Weg ins EinsatzgebietJulia Terjung

Gut funktionieren die Nebenrollen, die mit jeweils einer ordentlich ausgespielten Charakterdimension hinreichend bestückt sind: Robert Gallinowski als ignoranter Oberwachtmeister wilhelminischer Prägung, Taner Sahintürk als lispelnder Kantinenkumpel, Kathrin Angerer als sächselnde Wendehälsin und vor allem Vincent Redetzki als Stasioffizier Uwe Wittig, dessen unspezifische und offenbar sexuell befeuerte Wut gegen den Klassenfeind sich nur knapp mit codeinhaltigem Hustensaft unter Kontrolle halten lässt.

„Kleo“ haut hinten und vorn nicht hin, darf das aber auch. Und mit dem Gedanken an Quentin Tarantino oder „The Americans“ könnte es hier und da auch ein bisschen peinlich werden. Aber Schwamm drüber, denn hier wird versucht, was man sich von deutschen Film- und Fernsehschaffenden wünscht: ein unerschrockener ästhetischer Durchgriff, ungebremste Erzähllust und kein vorauseilender Gehorsam vor den Geschmacksgrenzen, Bildungsansprüchen und dem Humormangel des hiesigen Publikums.

„Kleo“, Serie, acht Folgen, online ab 19. August, 9 Uhr, auf Netflix. Mit: Jella Haase, Dimitrij Schaad, Vladimir Burlakov, Thandi Sebe, Marta Sroka, Julius Feldmeier, Jürgen Heinrich, Yun Huang, Vincent Redetzki u. a. Buch: „HaRiBo“ (Hanno Hackfort, Richard Kropf, Bob Konrad) und Autorin Elena Senft, Regie: Viviane Andereggen und Jano Ben Chaabane