Es gibt immerhin einen ehrlichen Moment in „Hannah Zabrisky tritt nicht auf“, das am Sonnabend in der Schaubühne zur Uraufführung kam. Also einen Moment, der gut und nicht nur billig gelogen ist: Da stellt die Titelfigur – eine erfolgreiche Schauspielerin, verkörpert von der erfolgreichen Schauspielerin Jule Böwe – fest, dass das gerade gar keine Probe ist, was ihr da mitten in der Nacht in dem Provinzhotel widerfährt, sondern ihr Leben. Na ja, es schwant ihr zumindest, sie ist, wie jeden Abend, ziemlich vollgepumpt mit Alkohol.
Sie würde die Auseinandersetzung mit ihrem Ex-Mann und Kollegen, der ihr in der neuen Produktion über eine älter werdende Schauspielerin als angeekelter Ex-Mann an die Seite gestellt wurde, noch einmal anders angehen wollen. Sie ruft nach Regisseur und Autorin, die aber nicht antworten. Der Ex-Mann, den Kay Bartholomäus Schulze spielt, hat gerade Feierabend und macht ihr klar: „Hier ist nichts mehr rauszuholen. Geh jetzt. Geh schlafen.“
Seit 30 Jahren auf der Bühne
Sie glaubt ihm nicht. 30 Jahre habe man zusammen auf der Bühne gestanden. Und jetzt behauptet er, dass das hier – ein langer, verlorener, unendlich müder Jule-Böwe-Blick in die abwaschbare und dennoch irgendwie vermilbte Provinzhotelarchitektur (Bühne: Nina Wetzel) – unser Leben ist? Hm. Kay und Jule haben sich tatsächlich in den Neunzigern an der von Thomas Ostermeier eingerichteten DT-Baracke kennengelernt und gingen 1999 mit seinem Amtsantritt an die Schaubühne. Ja, das ist euer Leben. Der Zuschauer erschrickt gleich ein bisschen mit. Was macht er denn da schon so lange im Parkett?
Leider ist dieser Moment der durchrutschenden Realität nur ein Gag in der neuen Inszenierung von Falk Richter, der zuletzt vor allem mit autobiografisch beglaubigten und zugleich gesellschaftspolitisch aufgeladenen Stücken Erfolg hatte. Jetzt wollte er laut eigener Auskunft mal wieder ein fiktives Stück schreiben, bevor er sich für ein Jahr vom Theater verabschiedet und das Sabbatical in der römischen Villa Massimo beginnt, um seinen Debütroman zu verfassen. Zugleich geht es auf der Bühne um die Sinnkrise von Theaterkünstlern in einer schlechten Welt. Ist es nicht vielleicht doch wieder eine Auseinandersetzung mit der eigenen Situation als Theaterkünstler, eine frustrierte Zeitdiagnose mit authentischem Schmelz?
Nein, es ist eine Meta-Satire geworden, in der die Theaterleute nur als erschreckend talentlose, unprofessionelle und zynische Karikaturen auftreten. Klischees von halb gescheiterten, eitlen Kulturbetriebsprostituierten an der Schwelle zum Erfolg oder zur Abhalfterung, gefangen nicht nur in dem Irrtum ihres beruflichen Daseins, sondern auch in offenen Kreuz-und-quer-Beziehungen, die die künstlerischen Krisen abfedern sollen und lediglich als Ausdrucksmittel narzisstischer Syndrome herhalten. So eine Art Applaus-Ersatz. Dabei reden sie unentwegt aufeinander ein, als hätte man sie an einen KI-Generator angeschlossen, der mit Selbstoptimierungsratgebern und Feuilletondebatten-Textbausteinen gefüttert wurde. Merken die überhaupt, was für einen zusammengerührten Filterblasenquark die da auswerfen?
Zur Dekoration und weiteren moralischen Abwertung ihres Tuns ist immer mal von massakrierten Kindern in den Kriegen „da draußen“ die Rede, die den Ring der Realität um das, was wir da machen, eng ziehen sollen, auf dass wir keine Luft mehr kriegen. Aber Moment mal, wir können ja gar nicht gemeint sein. Schließlich sitzen wir in der Schaubühne und in keinem Provinztheater. Und wir haben die Elite der subventionierten Theaterkunst vor uns, die es doch viel besser weiß als die kleinen bornierten Hanseln, von denen sie erzählen. Nach zwei Stunden ist der Sketch vorbei, und die Arroganz hat keinen Kratzer abbekommen.


