Weil das am Freitag im Deutschen Theater, beim vorletzten Abend der Ulrich-Khuon-Intendanz, kurz infrage stand – wir dürfen mitteilen: Der scheidende Intendant hat Ohren. Die Dramatikerin Dea Loher war sich dessen nicht mehr so sicher. „Vier Reden für Uli“ war der Abend betitelt, und Loher, die eine dreißigjährige Zusammenarbeit und eine dabei entstandene Freundschaft mit Ulrich Khuon verbindet, versuchte als erste der vier, den Moment des Abschieds in Worte zu fassen. Und dies, indem sie das Metier wechselte und von ihren Versuchen berichtete, Khuon bildlich zu porträtieren.
Es sollte eine Überraschung sein, weswegen sie ihn nicht zum Modellsitzen heranziehen konnte. Man kennt das: Man versucht, sich das Gesicht eines vertrauten Menschen vor Augen zu rufen, und je hektischer und intensiver man in seinem fotografischen Gedächtnis kramt, desto mehr versinkt das Antlitz des geistigen Gegenübers im Nebel.
Wird das bei dem scheidenden Khuon vielleicht noch ein bisschen mehr und schneller der Fall sein? Schließlich hat er, der sich jetzt aus dem Gedächtnis der Theatergeschichte, zumindest aus dem der DT-Geschichte und Berlins, zu schleichen beginnt, in seiner Liebe für die Vielfalt und die Teamarbeit weniger Konturen gezeigt als andere Intendanten, die sich der Flüchtigkeit dieser Kunst mit durchgestalteten und expressiven Egos zu widersetzen versuchten. Wie hießen sie doch gleich?
Zum Glück trat Khuon, der im ersten Rang neben dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier den Abend verfolgte, doch noch selbst auf, sodass hier in Wort und Schrift für die Nachwelt festgehalten werden kann: Ohren hat er, zwei sogar, wohlgeformte und am rechten Platz, also eines auch am linken. Und an diesem Abend wurde nicht nur einmal darauf hingewiesen, dass er ein Künstler darin ist, ausgiebig Gebrauch von ihnen zu machen. Indem er zuhört.

Gut, dass zwei der vier Reden auch aus der Abschiedserfahrung mit Khuon schöpfen konnten. Seine Chefdramaturgin Sonja Anders ging nach zehn gemeinsamen Jahren am Deutschen Theater nach Hannover, um dort das Theater zu übernehmen. Sie versuchte einen anekdotischen Rückblick, weil doch schon so viel Ehrendes und Einordnendes gesagt wurde – nicht nur an diesem Abend, sondern in vielen Texten über Khuon und Interviews mit ihm.
Alle Neune
Jetzt nehmen wir Bilder mit, die wir gar nicht präsent hatten: Khuon als Sektausschenker und Schnittchenreicher, wenig ambitionierter Minigolfer und großer Tour-de-France-Fan, der auf seinem Hometrainer mit den gedopten Pelotonisten auf dem Bildschirm vor ihm radelte und den einen oder anderen Ausreißversuch antäuschte. Oder auch Khuon in der Sauna oder im kenternden Ruderboot. Vor allem kriegen wir nun dieses Bild nicht mehr aus dem Kopf: Khuon in den Kegelkellern von Berliner Kneipen, wo er als „Kanonen-Uli“ Angst und Schrecken auslöste, weil seine heftigen Würfe nicht nur spielend alle Neune niederwalzten, sondern auch die Hinterwände der Kegelbahnen und die Fundamente der Gasthäuser flachzulegen drohten. Jetzt geht er, die Überraschung war groß, für ein Interimsjahr nach Zürich, um dort das Theater zu retten. Gnade den dortigen Schankeinrichtungen.
Wie Sonja Anders kann uns auch der einstige Bühnenvereinsgeschäftsführer Marc Grandmontagne, der während Khuons 2020 beendeten Präsidentschaft mit ihm gearbeitet hat, ein wenig beruhigen, was die Flüchtigkeit der Verbindung angeht, die wir nach 14 Berliner Jahren jeder auf seine Weise mit Khuon geknüpft haben. Er bleibt einem treu, auch wenn er weg ist. Sitzt da auf der Schulter, besonders wohl in komplizierteren Situationen, in denen viel zu bedenken ist, bevor man entscheidet, und hält sich bereit für ein geistiges Gespräch. „Das hilft wirklich“, sagt Grandmontagne. Nötig könnte es werden.
Der vierte Redner war schon da, als Khuon kam und wird nun auch bleiben, wenn Iris Laufenberg das Haus übernimmt. Er wurde von dem als Conférencier agierenden Bernd Moss als „der andere Uli“ und „der wahre Intendant des Hauses“ hereingerufen. Kurz zuckte der hier schreibende Kritiker, als er seinen Namen hörte, weil er doch gar nichts vorbereitet hatte und weil er sich in seiner Funktion an diesem Abend einiges hatte anhören müssen, als an Khuons verstolperten Berliner Antritt 2009 in einer reichlich verfahrenen Situation erinnert wurde und Khuon und sein Team laut Sonja Anders gegen „eine Wand aus Eis und Gehässigkeit“ gelaufen seien. Es wäre die Gelegenheit gewesen, einiges klarzustellen und von den Qualen zu vermitteln, die man auf seinem Posten so mit der Wahrheitsfindung hat. Aber Schwamm drüber.

Denn der gemeinte „andere Uli“ war natürlich Ulrich Matthes, der dann die richtigen Worte für die untrennbare Doppelbegabung Khuons fand: für seine Professionalität als Intendant und seine Begabung zu Nähe und Freundschaft. Matthes stritt ab, ein „Abschiedskünstler“ zu sein, was laut Lukas Bärfuss ein anderes Wort für „Theatermensch“ sei, legte dann aber einen Aufritt als solcher hin: Im rechten Moment ließ er die Tränen aufsteigen, zeigte sich im Kampf mit ihnen und ärgerte sich ganz angemessen und bescheiden darüber. Ein Saal schluckt mit. Und ward dann väterlich getröstet von Khuons Dankesworten, in denen er einmal mehr das Vertrauen und die Angewiesenheit aufeinander feierte, all das Lob des Abends an sich abperlen ließ und an seine über 300 Mitarbeiterschaft weiterleitete.




