Seit er im Dezember 2016 sein Amt angetreten hat, managt der Senator für Kultur und Europa Klaus Lederer (Linke) Theaterkrisen. Viele haben mit einem viel beschworenen Klima der Angst zu tun, mit feudalistischen Strukturen und Abhängigkeitsverhältnissen, die Machtmissbrauch Vorschub leisten und kaum zu kontrollieren sind. Immer öfter sehen sich Theaterbeschäftigte sexistisch, rassistisch oder ageistisch diskriminiert oder unterdrückt, wissen sich nicht zu helfen und gehen an die Öffentlichkeit. Für die einen handelt Lederer zu zögerlich, lässt er Intendanten zu lange gewähren und nimmt Beschwerden nicht ernst genug – andere sehen die Unschuldsvermutung missachtet, Übersensibilität und Denunziation am Werk. Dass er von allen Seiten Kritik einstecken muss, könnte ein Hinweis darauf sein, dass es sich um ein widersprüchliches Thema handelt, bei dem sich Kunstfreiheit und Mitarbeiterschutz in die Quere kommen und es keine einfache Antworten gibt.
Herr Lederer, es gab mehrere Beschwerdeverfahren im institutionellen Theater der Stadt während Ihrer ersten Amtszeit, die sehr verschieden verliefen. Der Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe verlor seinen Posten in Hohenschönhausen, die Intendanten Kay Wuschek und Klaus Dörr traten von ihren Ämtern an der Parkaue und der Volksbühne zurück, der Intendanzvertrag von Shermin Langhoff am Gorki-Theater aber wurde verlängert. Wo ist der Unterschied, der Sie im Fall von Shermin Langhoff anders handeln lässt?
Die Prozesse und die Vorgänge sind nie dieselben, deshalb ist es wenig hilfreich, wenn darauf mit Polemik reagiert wird wie in der Berliner Zeitung vom vergangenen Mittwoch. Ganz sicher ist das Thema nicht dafür geeignet, alles in einen Topf zu rühren, um dann mit Furor die grassierende Cancel Culture zu beklagen. Die Vorwürfe am Gorki-Theater sind an uns über die Vertrauensstelle Themis herangetragen worden. Wir haben ein AGG-Verfahren, also ein Verfahren nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, umgangssprachlich Antidiskriminierungsgesetz, unter Beteiligung der betroffenen Parteien durchgeführt, dazu gehörte ein professionelles Mediationsverfahren. Die Intendantin ist auch selbst aktiv geworden, um Maßnahmen im Haus zu veranlassen. Im November 2020 wurde das Verfahren von der Kulturverwaltung im Einvernehmen mit Themis abgeschlossen. Insofern stand einer Vertragsverlängerung nichts im Weg.
Alle Probleme waren erledigt?
Damit war nicht Schluss am Theater. Wir haben gemeinsam mit der Leitung weiterhin eine Vielzahl von Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Transparenz und Schulung veranlasst. Und selbstverständlich evaluieren wir solche Prozesse auch.
An der Volksbühne ging es schneller. Dörr ist wenige Tage nach der Veröffentlichung eines Artikels über die Vorwürfe gegen ihn gegangen.
Auch bei der Volksbühne sind die Vorwürfe über Themis bei uns gelandet, nicht über irgendwelche Internetseiten oder Presseveröffentlichungen. Und auch dort stand erst einmal Sachverhaltsaufklärung und rechtliche Prüfung am Anfang, dann gab es Gespräche und Anhörungen. Vertraulichkeit ist in solchen Verfahren extrem wichtig, die Fürsorgepflicht der Kulturverwaltung als Arbeitgeber gilt gegenüber allen – denjenigen, die solche Vorwürfe erheben, wie denjenigen, gegen die die Vorwürfe erhoben werden. Eine Veröffentlichung in der Presse, noch dazu mit einseitigem Tenor, macht es nicht einfacher. Im konkreten Fall hat sich Themis danach aus dem Verfahren zurückgezogen, und Klaus Dörr bat um die Entbindung von seinen Pflichten. Da war das Verfahren noch nicht beendet. Ich will noch einmal deutlich sagen, dass ich die Arbeit, die Klaus Dörr geleistet hat, extrem wertschätze und nach wie vor dankbar bin, dass er sich in der schwierigen Nach-Dercon-Zeit bereitgefunden hat, die Intendanz der Volksbühne zu übernehmen.
Haben Sie am Gorki mit der Verlängerungsentscheidung gewartet, solange das Beschwerdeverfahren lief?
Ja, wir haben diese Reihenfolge eingehalten: Erst das Verfahren abschließen, dann den Verlängerungsvertrag unterschreiben. Dass die Verlängerung, anders als es routinemäßig abläuft, dann nicht öffentlich mitgeteilt wurde, war ein Versehen. Das war schlicht ein Fehler im Pressebereich, der uns damals nach Ihrer Nachfrage aufgefallen ist. So etwas kommt einfach vor. Das ist in dem Fall besonders bedauerlich, weil es Anlass für Mutmaßungen gibt. Aber da besteht keinerlei Zusammenhang.
Hat sich das Verfahren auch deshalb erübrigt, weil von den zehn Leuten, die sich über das Verhalten von Shermin Langhoff beschwert haben, nur noch eine Person am Haus arbeitet?
Die Zahl stimmt. Aber auch da ist der unmittelbare Zusammenhang zwischen dem einen und dem anderen erst einmal eine Mutmaßung.
Eine naheliegende, wenn auf einmal künstlerische Gründe zur Nichtverlängerung von Verträgen beansprucht werden. In einem Fall kam es zu einer Klage, die im Vergleich endete.
Die NV-Bühne-Verträge mit der Möglichkeit der Nichtverlängerung geben immer wieder Anlass zu Debatten. Insbesondere wenn es Spannungen und Vorwürfe gegeben hat. Das ist ein Problem, das wir im Rahmen unseres Fairstage-Projektes diskutieren: Wie kann durch die Tarifparteien eine andere Form von Sicherheit geschaffen werden, die die Aufrechterhaltung der künstlerischen Qualität ermöglicht, aber ein Hire and Fire an den Theatern verhindert. Das dürfen und wollen wir in der Kulturverwaltung allein gar nicht klären.
Verwaltung ohne adäquate Erfahrung
Stimmt es, dass die Beschwerde an der Volksbühne auf die Absetzung von Dörr zielte, während es den Leuten vom Gorki-Theater um die Lösung der Probleme gemeinsam mit Shermin Langhoff ging?
Das ist tatsächlich richtig, war und ist aber nicht der einzige Punkt. Die Verfahren, mit denen wir auf die Beschwerden reagieren, sind darauf ausgerichtet, diskriminierungsfreies Arbeiten am Haus zu ermöglichen. Es geht ja nicht zuallererst darum, dass Köpfe rollen. Wenn man eine Veränderung des Arbeitsalltags hin zu einem angst- und diskriminierungsfreien Umgang erzielt, ohne dass jemand gehen muss, ist das doch vorzugswürdig. Dann ist doch das Ziel erreicht.
Ein wünschenswertes, aber ziemlich idealistisches Ziel. Die Probleme scheint es zu geben, wohin man auch blickt.
Als wir das erste Mal mit solchen Beschwerden konfrontiert worden sind, gab es in der Verwaltung weder adäquate Erfahrungen noch ausreichende Ressourcen für die entsprechende Verfahrenssicherheit in dieser Frage. Da waren und sind wir bis heute Lernende. Vor fünf Jahren, als ich Kultursenator wurde, waren Mobbing, rassistische Diskriminierung, Sexismus an Kultureinrichtungen so gut wie kein Thema, weil nicht nach außen hin sichtbar. Wir können Initiativen wie MeToo, Actout oder Black Lives Matter dankbar sein, dass sie den Blick darauf lenken und endlich eine Auseinandersetzung damit stattfindet. Es ist aber Quatsch zu suggerieren, wir würden nach Gutsherrenart aufgrund von anonymen Beschuldigungen oder reißerischen Presseartikeln Köpfe rollen lassen – oder in anderen Fällen wegsehen.
Hat sich der Beschwerdeprozess gegen Shermin Langhoff in ihrem Anschlussvertrag in Form von Bedingungen oder Klauseln niedergeschlagen?
Generell ist es so, dass es seit 2019 grundsätzlich in allen Verträgen, die die Kulturverwaltung mit Leitungspersonal abschließt, eine Antidiskriminierungsklausel gibt, die es uns ermöglicht, bei erheblichen Verstößen gegen die Standards diskriminierungsfreien Arbeitens vorzugehen. Das ist die Grundlage unserer Zusammenarbeit. Das hat nichts mit den konkreten Vorgängen am Gorki zu tun.
Was nützen diese Beschwerde- und Aufklärungsverfahren, wenn die Hierarchie an den Theatern so bleibt, wie sie ist. Die Führungskrisen in den genannten Theatern wären Gelegenheiten gewesen, andere Leitungsformen auszuprobieren. Warum haben Sie sie nicht ergriffen.
Wir sind ganz bewusst offen für andere Leitungsformen. Am Theater an der Parkaue gibt es seit 2021/22 eine Doppelspitze, an der Komischen Oper seit dieser Spielzeit auch. Das ist kein Selbstläufer, das muss ausprobiert und geübt werden. Wir nehmen allerdings auch zur Kenntnis, dass zwei- oder mehrköpfige Leitungen nicht die Lösung jedes Problems sind. Versuche an der Schaubühne, am Berliner Ensemble oder zuletzt am Staatsballett sind gescheitert. Was bleibt, ist eine Hierarchie, und die gibt es in jedem Arbeitsprozess. Wir müssen es schaffen, durch eine Summe von Maßnahmen dort, wo es nötig ist, die Situation an den Häusern zu verändern.
Das Gelingen eines freudvollen, produktiven Miteinanders bleibt also in vielen Fällen bei der Person des Intendanten hängen.
Wir müssen bei der Auswahl des Leitungspersonals mehr darauf achten, dass nicht allein die künstlerische Qualifikation, sondern auch die Fähigkeit zur Leitung größerer Betriebe vorhanden ist. Aber das wird flankiert von weiteren Maßnahmen: Wir werden im Frühjahr im Rahmen von Diversity Arts Culture eine Beratungsstelle für Betroffene von Diskriminierung im Kulturbereich etablieren. Es entsteht ein Leitfaden für alle Häuser zu Antidiskriminierungsstandards. Wir haben im vergangenen Jahr mit allen Beteiligten, auch mit der Freien Szene, das Fairstage-Projekt aufgesetzt und einen Maßnahmenkatalog erstellt, der im Sommer konkretisiert wird. Es gibt keine One-size-fits-all-Lösung, es ist nicht das Leitungsmodell allein. Wir wollen die unterschiedlichen Aspekte auf den Zettel nehmen.
Neben den zentralistischen Führungsmodellen ist die Abhängigkeit der künstlerischen Beschäftigten günstig für Machtmissbrauch. Alle Beschwerdeformate lösen sich sofort in Luft auf, wenn man dann erwischt wird und aus künstlerischen Gründen gehen muss. Was können Sie da machen?
Die Nichtverlängerungsoption hat ja einen sachlichen Grund. Sie soll künstlerische Gestaltungsspielräume ermöglichen. Die Kritik daran kann ich jedoch nachvollziehen. Weder der Bühnenverein noch die Bühnengewerkschaften können ein Interesse daran haben, dass ein Instrument, das solche Freiräume ermöglichen soll, unter dem Verdacht steht, letztlich auch zur Disziplinierung und Machtausübung angewendet zu werden. Die Eingriffsmöglichkeiten der Politik sind da eingeschränkt, weil es sich um eine Verhandlungssache der Tarifparteien handelt. Ich glaube, dass beide Seiten sich darüber im Klaren sind, dass man sich den NV Bühne noch einmal angucken muss. Ich habe keine Lösung in der Schublade.
Das René-Pollesch-Modell
René Pollesch versucht an der Volksbühne ein kooperatives Leitungsmodell in den alten Intendanz-Strukturen und ist dabei wie seine Kollegen am DT, BE oder Schaubühne allein verantwortlich. Wie schätzen Sie seine Arbeit nach den ersten Monaten ein?
Ich habe es in dieser halben Spielzeit zu meinem großen Gram nicht geschafft, viel ins Theater zu gehen. Wir haben die Corona-Pandemie, wir hatten Wahlen und Regierungsneubildungsprozesse, in die ich als früherer Spitzenkandidat meiner Partei zeitlich sehr eingebunden war. Ich nehme die Kritik schon wahr, dass das Haus wenige Spieltage hat, an denen Theater auf der Bühne stattfindet. Aber wir müssen auch die besondere Situation sehen. Chris Dercon hatte die Volksbühne auf einen Gastspielbetrieb umgestellt, Klaus Dörr hat es trefflich geschafft, wieder einen guten Betrieb zu gewährleisten. Aber Repertoire- und Ensembleaufbau, auf die Pollesch hätte zurückgreifen können, waren da nicht leistbar. Pollesch hat bei null angefangen und kann nicht wie die anderen Häuser auf in Jahren eingespielte Abläufe und Netzwerke zurückgreifen. Aber es passiert etwas an der Volksbühne, es wird etwas ausprobiert. Ich traue René Pollesch zu, dass er diese Herausforderung bewältigt, und ich glaube, dass diese Findungsphase auch wieder in eine andere kraftvollere Präsentation des Hauses in die Stadt mündet.
Luxusprobleme und Parteipolitik
Geht es Ihnen auch so, dass angesichts der Ereignisse in der Ukraine unsere Diskussion um angstfreies Arbeiten als weltfremde Luxusprobleme einer Wohlstandsgesellschaft erscheinen?
Im Angesicht eines Krieges erscheinen wohl viele Dinge als Luxusprobleme. Letztlich ist eine freie Kunst Ausdruck lebendiger demokratischer Verhältnisse, für die wir ja dennoch täglich einstehen.
Sie zeigen als Mitglied der Linke eine klare Haltung und verurteilen die Aggressionen Putins gegen die Ukraine. Dazu können sich viele Parteifreunde nicht durchringen. Wird Ihre Partei diesen Krieg überleben?





