Küchen- und Kochshows gibt es wie Sand am Meer, die meisten sind die reinste Quälerei. Noch immer glauben Programmverantwortliche, dass es reicht, Menschen an den Herd zu stellen, sie ein bisschen Gemüse schnibbeln und Fleisch anbraten zu lassen und anschließend das Urteil eines halbwegs bekannten Küchenprofis einzuholen. Zack, schon wieder eine Stunde Vormittagsfernsehen gefüllt.
Es bleiben einige wenige interessante Formate wie „Zu Tisch“ auf Arte, das von seinen bodenständigen Protagonisten und dem interessanten Einblick in europäische Länderküchen lebt, oder „Chef’s Table“ bei Netflix, mit dem Fokus auf charismatische Spitzenköche.
Die meisten Kochsendungen allerdings zeigen wenig bis gar nichts aus dem Alltag in einer Profiküche, der bisweilen wenig glanzvoll, dafür umso kräftezehrender ist. Und so entbehrt es nicht einer gewissen Komik, dass nun ausgerechnet eine fiktionale Serie es schafft, einen derart realistischen Einblick in dieses Metier zu geben, dass dem Zuschauer bisweilen der Atem stockt.
Ein Mammutprogramm, eine irrsinnige Schufterei
„The Bear“, abrufbar auf Disney+, erzählt die Geschichte von Carmen „Carmy“ Berzatto (Jeremy Allen White), einem jungen, preisgekrönten Koch, der nach dem Selbstmord seines Bruders aus der New Yorker Spitzengastronomie nach Chicago zurückkehrt, um den reichlich heruntergewirtschafteten Sandwichladen der Familie irgendwie weiterzuführen. „The Original Beef of Chicagoland“ hat Ärger mit dem Gesundheitsamt, mit der Elektrik, mit den Lieferanten, mit der Nachbarschaft.

Carmy, der in New York von seinen Chefs angeschrien und gedemütigt wurde, ist nun selbst Chef und muss den Spagat schaffen zwischen den erdrückenden Realitäten eines Kleinunternehmens, seinen eigenen Ansprüchen an gutes Essen und dem Umgang mit seinen willensstarken, aufmüpfigen Küchenmitarbeitern. Obendrein wollen die schwierigen familiären Beziehungen aufgearbeitet werden.
Ein Mammutprogramm, eine irrsinnige Schufterei, irgendwo zwischen Pflichtgefühl, fettigem Küchenboden und der Schönheit eines guten Essens. Die Kamera folgt den Protagonisten bei ihrem Parforceritt in der kleinen Küche auf Schritt und Tritt, von den frühen Vorbereitungen über den Moment, wenn die ersten hungrigen Kunden den Laden entern, bis zum Mittagsansturm, wenn Dutzende Bestellungen gleichzeitig eintrudeln und einfach nur noch Durchackern angesagt ist. Carmy verkämpft sich regelrecht zwischen seinen Ansprüchen, die er aus der Gourmetküche kennt, und den Anforderungen, die das eigene Restaurant mit sich bringt. Der Zuschauer muss da durch, ob er will oder nicht.
Schnelle Schnitte, ein mitreißender Soundtrack, spezielle und dabei trotzdem irgendwie sympathische Protagonisten entfalten eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann. Das Zuschauen ist kein Vergnügen, es ist stressig, es zehrt an den Nerven. Carmys Sidekick, den Quasi-Restaurantmanager Richard „Richie“ Jerimovich (grandios aufgedreht: Ebon Moss-Bachrach), der sich allen Neuerungen verweigert und nebenbei hinterm Laden Drogen vertickt, möchte man permanent schütteln, damit er endlich aufhört, alles nur noch schlimmer zu machen. Man versteht und verflucht sie zugleich, jene hochtrabenden Ambitionen der anderen Küchenmitarbeiter, die ihr Handwerk als Kunst verstehen, es auch wirklich beherrschen, aber so den Gesamtbetrieb durch fortwährendes Chaos gefährden. Der Kunde wartet doch auf sein Sandwich!
Der ganze Furor gipfelt in einem Moment, in dem das neue elektronische Bestellsystem zu früh ausgelöst wurde und die Maschine plötzlich Hunderte Vorbestellzettel ausspuckt. Nichts ist dafür vorbereitet, wie kann man da noch improvisieren?! Es macht einen wahnsinnig und doch kann man nicht abschalten, weil man möchte, dass Carmy es schafft, weil es immer wieder auch witzige und rührende Momente gibt und am Ende des Tages das ganze Team am Tisch zusammenkommt und Spaghetti isst. Es ist Familie, es hilft alles nichts. Man muss sich ihr stellen.
Wertung: 4 von 5




