Um eines gleich vorwegzunehmen: An die erste kommt die zweite Staffel „The White Lotus“ nicht heran. Wie könnte sie auch, gehörte die zu Beginn als Miniserie konzipierte HBO-Show doch zu den besten TV-Produktionen des vergangenen Jahres. Jede Menge Preise später – darunter fünf Emmys sowie eine Golden-Globe-Nominierung für Schauspielerin Jennifer Coolidge – ist aus dem Mini-Format eine Reihe geworden; ab Sonntag läuft die erste Folge der zweiten Staffel im US-Fernsehen, ab Montag ist sie dann auch in Deutschland bei den Streamingdiensten Wow und Sky zu sehen.
Schauplatz der bitterbösen Gesellschaftssatire ist wieder ein „White Lotus“ – „eines“, wohl gemerkt, nicht „das“: Spielte die erste Staffel noch in einem luxuriösen Resort auf Hawaii, werden die Zuschauerinnen und Zuschauer nun in eine Dependance der fiktiven Hotelkette nach Sizilien eingeladen. Ansonsten bleibt sich die Serie von Mike White in Ausstattung und Stimmung, Atmosphäre und Stil treu; wieder tun sich vor fein bemalten Textiltapeten und malerischen Meeresausblicken die urmenschlichsten Abgründe auf.
Machtgebaren und Unterwerfung, Freundschaft, Feindschaft, Verbitterung und Ekstase, Misstrauen, Missgunst, Neid – im „White Lotus“ liegen die Emotions-Extreme griffbereit nebeneinander. Da ist die fahrige Multimultimillionärin Tanya McQuoid – der einzige Charakter, der es von der ersten in die zweite Staffel geschafft hat, einmal mehr hinreißend gespielt von Jennifer Coolidge –, die ihre persönliche Assistentin in den teuren ehelichen Liebesurlaub mitbringt. McQuoids Gatten gefällt das ganz und gar nicht, also soll sich die Angestellte für die restlichen sonnigen Reisetage selbst in ihrem Hotelzimmer wegschließen.

Da sind die beiden kindsfraulichen Prostituierten Lucia und Mia, die sich in jugendlichem Leichtsinn das halbe Hotel hochschlafen, nur um festzustellen, dass sie dem gefährlichen Spiel um Macht und Sex längst noch nicht gewachsen sind. Und da sind zwei frisch verheiratete Paare im gemeinschaftlichen Couple-Urlaub, an dessen Ende die vier einander bloß noch hassen dürften.
Witzreiche Dialoge, durchsetzt von galligen Zwischentönen
Es sind die witz- und geistreichen Dialoge, von galligen Zwischentönen durchsetzt, die diese Serie zu einem vorzüglichen Vergnügen machen. Genau wie das großartige Schauspiel eines sorgsam ausgewählten Ensembles; genial etwa Sabrina Impacciatore als kapriziöse, heimlich lesbische Hotelmanagerin, oder Adam DiMarco als herzerweichend treudoofer Reise-Gast Albie DiGrasso.

Geradezu sensationell – das haben beide Staffeln gemeinsam – ist die Ausstattung. Interior-Designerin Marissa Zajack, hier fürs Bühnenbild verantwortlich, und Kostümbildnerin Alex Bovaird erschaffen zeitgemäße, neiderweckende Traumwelten, was für die satirisch angelegte Tragikomödie nicht unwichtig ist: Erst im Kontrast zu den fantastischen Kulissen entfalten die zwischenmenschlichen Zerwürfnisse ihre ganze irritierende Grausamkeit.
Spielerische Filmkompositionen, so eingängig wie entrückt
Und dann wäre da noch die Musik: Sie zeigt sich in der nun erscheinenden zweiten Staffel als ein Remix der Musikstücke Cristobal Tabia de Veers, die schon die erste „White Lotus“-Staffel maßgeblich prägten. Spielerische Kompositionen, so eingehend wie entrückt, die den eigenwilligen Erzählstil der Serie aufs Beste begleiten: Immer ist die Stimmung zum Zerreißen gespannt, ohne dass wirklich wahnsinnig viel passieren würde; manche sich auftürmende Tragödie verläuft im Nichts, doch schon droht sich das nächste Trauerspiel anzubahnen.

Am Ende aber wird’s auch diesmal Leichen geben. Das zeigt sich gleich zu Beginn der ersten Folge. Wer im „White Lotus“ dran glauben muss, wer zur Mörderin, zum Mörder wird, deckt die finale Folge auf. Dazwischen liegt eine wirklich eigensinnige, überaus moderne Serie, eine großartige zweite Staffel, die in jeder Bewertungsskale die volle Punktzahl verdient hätte – wenn da nicht die erste Staffel gewesen wäre, die eben doch ein kleines bisschen besser war.
Wertung: 4 von 5 Punkten


