Der Augenblick der Wahrheit hängt über unseren Suppenschüsseln. Meine Freundin, ihr Freund und ich sitzen gemeinsam beim Vietnamesen. Aus der Brühe steigt der Dampf heiß in unsere Gesichter, dann will meine Freundin wissen, wie das denn nun sei mit dem- wie heißt er denn nun gleich? Irgendwas mit F? Ferdinand. Stimmt. Und, was ist da jetzt?
Wenn ich das nur wüsste.
Ab wie vielen Malen hat man eine Beziehung und bis wann sollte man das lieber offen lassen, um nur ja nicht zu viel Erwartungsdruck in eine sich eben erst entwickelnde Knospe zu pumpen? Wie schon oft angekündigt, würde ich liebend gern meine Suppe nicht mehr allein auslöffeln und meine Hassliebe zu Netflix mit jemandem teilen, mit dem ich in inniger Umarmung um die Fernbedienung ringe. Nur ist die Idee davon einfacher als eine konkrete Umsetzung. Inzwischen weiß ich nicht mehr, woran es liegt. An mir? Am Anderen? Am Karma? Dabei war ich doch all die Jahre ein Partnerschaftsprofi, habe ich mir immer auf die Fahne geklebt, seit ich siebzehn bin, nonstop.
Ferdinand hat mich beobachtet
Ferdinand habe ich immerhin nicht im Netz kennengelernt, wobei das so nicht ganz richtig ist. Er hat mich beobachtet. So könnte man das wohl nennen, wenn jemand einem ziemlich oft ein Like für verschiedene Postings gibt, selbst dann treu, wenn es mit seinen eigentlichen Interessen nichts zu tun hat.
Was macht Ferdinand eigentlich, wollte meine Freundin wissen. Ihre Suppe war da schon weggeputzt, meine nicht. Sagen wir mal so: Er ist ein Kollege. In welcher Hinsicht, insistierte sie, schließlich treibst du dich ja auf verschiedenen Baustellen rum. Ich wollte mir da gerade ein weiteres Bier zum Essen bestellen. Fühlte ich mich ausgefragt? Schon. Er ist Schauspieler. Oh nein! So was wolltest du doch nicht mehr anfangen. Ich weiß. Ich weiß jedoch auch nicht, was und ob wir da anfangen. Wir treffen uns hin und wieder. Wie also könnte man das nennen? Ein „Hinundwieder“?
Der Freund meiner Freundin prustete in seine Schüssel. Das sei nicht sehr charmant. Stimmt. Aber Lover klingt auch abgeschmackt. Für eine „Affäre“ fehlt der Widerstand, den man überwinden muss, wie zum Beispiel einen Ehepartner. Dass es jetzt mehr als ein Date war, zeichnete sich auch ab. Immerhin liefen unsere ersten drei Treffen ohne weitere Berührung ab, obwohl seine Hand schon des Öfteren meinen Oberarm gesucht hatte, als er mir im Biergarten stundenlang von seinen letzten Jahren, den Exfrauen und Kindern und den vielen Reisen erzählte. Da wusste ich auch nicht, was ich davon halten sollte, war allerdings beruhigt, als er sich am nächsten Morgen für seinen Redeschwall entschuldigte. Es sei die ungewohnte Aufregung gewesen.
Ich liebe es, verliebt zu sein
Bist du denn verknallt? Meine Freundin war mittlerweile beim Kaffee angelangt, der Löffel stand aufrecht in der zuckrigen Kondensmilch, ihr Blick auf mir. Wie gern würde ich das sagen! Ich liebe es, verliebt zu sein, manchmal so arg, dass es mir schon nicht mehr so bedeutend erschien, in wen. Das kribbelige Gefühl allein war es wert, sein Herz aufs Spiel zu setzen.
Er tut mir gut, wich ich aus. War das nicht viel wichtiger, als sich unter Strom setzen zu lassen, um dann mit einem Knall auf die Erde geworfen zu werden? Ich will nicht so dramatisch daher reden, aber ja: In den letzten vier Jahren hatte ich mich öfter verguckt, als es dann zu einem reziproken „Ich schau dir in die Augen, Kleines“ gekommen war. Mit Ferdi fühlte sich zumindest der Raum dazwischen schön und warm und aufmerksam an. Ferdi? So nennst du ihn? Das ist doch ein guter Anfang! Er hat mir gleich beim ersten Aufeinandertreffen auf einer Vernissage seinen Spitznamen verraten und ich ihm meinen. So haben wir uns dann auch immer wieder angeschrieben, find ich süß.
Mir war durchaus bewusst, dass meine Freundin die Augen nicht nur verdrehte, um nach der Rechnung zu fragen. Sie hatte Recht. Kosenamen sind oft der Teufel.
Hasi, Schpatzl, mein Schatz
„Mein Schatz!“ Ist das nicht der Augenblick, in dem sich der Gollum im „Herr der Ringe“ mit seiner errungenen Preziose großäugig gen Kamera wendet und einem den Schauer über den Rücken jagt? Endlich hat er ihn, den Ring, das Objekt seiner Begierde, das Symbol der Macht und schlussendlich auch der Ohnmacht.
Kosenamen! Eigentlich liebe ich sie. Sie verschaffen einem die Möglichkeit zur empathischen Beurkundung in Beziehungen. Eine meine besten Freundinnen nenne ich zum Beispiel „Hasi“, wenn ich sicher gehen will, dass sie mit mir bald mal wieder ins Kino oder zum Essen gehen sollte. Oder ich schreibe: Schpatzl (aus den uralten „Münchner Geschichten“, ein Evergreen), wann sehen wir uns mal wieder? Darin besteht allerdings auch eine gewisse Ambivalenz.
Bei der Bezeichnung „Süße“ will man natürlich auch meist, dass diejenige süß ist. Oder „meine Liebe“ meint nicht immer nur, dass man einen lieb hat, sondern eben auch, dass man lieb sein sollte. Nicht zuletzt benutzt man es auch gern einfach nur, um „mein“ zu sagen, als hätte man damit auch die Verbindlichkeit im Kasten.
Der beste, hingebungsvollste und wortreichste Sex
Mein Kose-und auch Spitzname als Kind war übrigens sehr lange Zeit „Maus“, was man über die Pubertät zu retten versuchte, ich jedoch mit einer familiären Rebellion niederignorierte. Als Maus konnte man nicht ernst genommen werden!
Als ich um die fünfzig war, stand unbedingt ein Wechsel an. Nur noch mein Bruder darf mich „Susi“ nennen, selbst mein Exmann hat nach 20 Jahren anlässlich der Trennung auf ein offizielles „Susanne“ umgeschwenkt. Wobei das in diversen Emails oft härter und offizieller klingt, als mir lieb ist.
Deshalb fand ich es schmeichelhaft, von Ferdi jetzt wieder als Susi tituliert zu werden. Draußen vorm Vietnamesen standen meine Freundin, ihr Freund und ich noch eine Weile rum. Habt ihr denn Kosenamen füreinander? Beide sahen sich bedeutungsschwanger an, ja, aber keine für die Zeitung. So einfach war es also, in ihrem Blick lag alles, die Zuneigung ebenso wie ein Vorgeschmack darauf, was nach unserem Abschied passieren würde. Der beste, hingebungsvollste und wortreichste Sex!
Ich glaube, er sagte etwas von Exfreundin
Daraufhin polterten die Namen in mein Gehör wie meine Schnitte, Bärchen, Schnuckel, Feger, Hammerbraut, Lustmolch, Klammeraffe, Prinzgemahl, Mausezahn, Beißer, Kullerauge ... man musste es nur ausprobieren. Ich sehnte mich schon jetzt nach unserem nächsten Treffen und beschloss, meine Geburtstagsparty so zu planen, dass ich alle einladen konnte, denen ich Ferdi unbedingt vorstellen wollte. Nur als was denn? Meinen Neuen? Schon fühlte es sich verboten an. Eine Woche zuvor rief ich mit Bier und Zigarette wie nebenbei bei ihm an, ob er denn auch Zeit finden würde. Von wegen Kinderbetreuung. Er meinte, dass er es unbedingt versuchen wolle, zu erscheinen. Wie ich da stand mit Getränk und Fluppe, fühlte sich das in der Kälte der Nacht plötzlich nach etwas Wichtigem an. Als würde mit so einer Kosenamenserfindung unerwartet ein Kribbeln auftauchen.
Wehe mir, als er die Party ziemlich betrunken und ohne groß Tschüss zu sagen wieder verließ. Ich glaube, er sagte etwas von Exfreundin, und dass das noch nicht ganz ausgestanden sei. Wenn ich mich recht erinnere, nannte er mich Susanne. Wenn ich das nächste Mal so etwas wispern höre, passe ich vielleicht doch besser auf.





