Marina Owjsennikowa, die während der „Wremja“-Nachrichten am Montagabend ein Protestplakat gegen den Krieg in die Kamera gehalten hat, ist auf freiem Fuß. Man hatte Schlimmstes für die 44-jährige ehemalige Mitarbeiterin des Staatssenders Erster Kanal und Mutter zweier Kinder befürchtet. Nach dem neuen, Anfang März von Putin unterschriebenen russischen „Fake-News-Gesetz“ stehen bis zu 15 Jahre Haft für die „Verzerrung des Zwecks, der Rolle und der Aufgaben der russischen Streitkräfte während militärischer und anderer Sonderoperationen“, wobei schon das Wort Krieg im Zusammenhang mit der Ukraine als eine solche Verzerrung gilt.
Schon am Dienstagabend verurteilte ein Moskauer Gericht Owsjannikowa: Sie muss ein Bußgeld von 30.000 Rubel (ca. 240 Euro) zahlen. Bei einem kurzen Auftritt vor der Presse sagte sie, dass sie fast zwei Tage nicht geschlafen habe und 14 Stunden verhört worden sei. „Ich durfte nicht mit meinen Angehörigen sprechen und hatte keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand, weshalb ich mich in einer sehr schwierigen Lage befand.“ Schon vor dem Urteil hatte der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny per Twitter über seine Organisation FBK die Absicht bekundet, Strafzahlungen, die gegen Owsjannikowa verhängt werden könnten, zu übernehmen. Dass der Kreml versucht, das Ganze wie eine Petitesse aussehen zu lassen, ist natürlich Kalkül. „Was dieses Mädchen angeht, das ist Rowdytum“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag der Agentur Interfax zufolge. Der Fernsehsender müsse die Angelegenheit regeln, es sei nicht Aufgabe des Kreml.
Ist also alles glimpflich abgelaufen? Und im Ganzen gar nicht so schlimm, wie in Russland gegen Protestierende vorgegangen wird? Gehässige Kommentare gibt es in den sozialen Medien zuhauf, manche sehen nach dem vermeintlich milden Urteil das negative Bild Russlands geradegerückt, andere diffamieren die mutige Frau schon als eine Schachfigur Putins, mit der er sein Image aufpolieren wolle. Sofort greifen die Mechanismen der Propaganda, dabei sprechen die Bilder von den Festnahmen Demonstrierender, die an weniger prominenter Stelle ihren Protest verbalisieren, eine andere, nicht misszuverstehende Sprache.

