Pop-Historie

Paul McCartney hat aufgeräumt und seine alten Fotos gefunden: „1964. Augen des Sturms“

Der Band „1964. Augen des Sturms“ ist auch ein Stück Beatles-Archäologie. Ihn durchzublättern, macht unbändigen Spaß. 

George Harrison, 1964 in Miami Beach
George Harrison, 1964 in Miami BeachPaul McCartney

Unter dem Stichwort der British Invasion wird meist der Siegeszug der Beatles in der amerikanischen Kultur verstanden, eine Art freundliche Übernahme der Inselformation durch Rhythmus, Harmonie und Mode. Für die amerikanische Historikerin Jill Lepore war es eher umgekehrt. In einem Essay über die 60er-Jahre schreibt sie: „Als die Beatlemania ausbrach, sank der Stern des britischen Empire bereits, und das Zeitalter der Globalisierung hatte begonnen. Und noch etwas anderes flammte auf: eine Erschütterung, eine Verwerfung, ein revolutionärer Umbruch.“ Es wäre also ein großes Missverständnis, das Beatles-Phänomen auf ein britisches Exportprodukt zu reduzieren. Der „Wahnsinn“, von dem die New York Times zu jener Zeit sprach, war eine popkulturelle Gleichschaltung dessen, was als westliche Welt galt.

Am Anfang waren die Beatles, vier adrett gekleidete Musiker aus Liverpool, mehr dabei als mittendrin. In den eher zufällig wieder aufgetauchten Aufnahmen, die Paul McCartney als fotografierender Passant während der Entstehung des eigenen Ruhms machte, scheint eine ordentlich sortierte Schwarz-Weiß-Welt noch greifbar, die bald darauf nur noch als wild-grelle Inszenierung zu haben ist.

Paul McCartney, Selbstporträt im Jahr 1963
Paul McCartney, Selbstporträt im Jahr 1963Paul McCartney

Eine Frische des ersten Mals

Der fotografische Blick des Bassisten der Band steht dem Geschehen, in das er immer tiefer hineingezogen wird, zunächst naiv-staunend gegenüber, und er drückte intuitiv ab, als gehe es darum, alles zu dokumentarischen Zwecken vor einer drohenden Vergänglichkeit zu bewahren. Paul McCartney, der zu einem der am meisten fotografierten Menschen des Jahrhunderts wurde, hat die Fotos bald darauf vergessen. In dem nun vorliegenden Band „1964. Augen des Sturms“ erscheinen sie als späte Zeugnisse von einem, der zurückgeschossen hat, als sich alle Reporteraugen auf ihn zu richten begannen. In seinen Fotos ist eine Frische des ersten Mals konserviert, eine Authentizität, aus der man das Schwingen der Basssaiten herauszuhören meint, das den Beatles den Ton vorgab.

In dem Jahr, in dem McCartney the Making of Pop-History aufnahm und betrieb, entstand auch Richard Lesters Film „A Hard Days Night“ (1964), der als sogenannter Mockumentary gilt, in dem der Anspruch auf dokumentarischen Realismus parodiert wird. Der Film suggeriert die Möglichkeit, der eigenen Legendenbildung mit ironischer Distanz beiwohnen zu können. In Paul McCartneys Fotos meint man die Schwelle zur unbedingten Professionalisierung erkennen zu können, nach deren Überschreiten es kein Zurück mehr gibt.

John Lennon in Paris im Jahr 1964
John Lennon in Paris im Jahr 1964Paul McCartney

„Kommt schon, Beatles, lasst uns Geld verdienen!“

Ach was. Es macht einfach unbändigen Spaß, den Band durchzublättern, in dem in den Gesichtern der Fab Four und deren Anhang eine unverbrauchte Neugier abzulesen ist, aus der kurz darauf ein unvollendetes Jahrhundertprojekt anspruchsvoller Unterhaltungskultur hervorgehen wird. Der Band strotzt vor Witz und Anekdotenreichtum. Eine der schönsten Geschichten handelt von Begegnung der Beatles mit dem „Größten“, Muhammad Ali. Das Bandmanagement hatte ursprünglich die Idee, eine Fotosession mit dem Boxer Sonny Liston zu machen, der in dem Weltmeisterschaftskampf von 1964 als großer Favorit galt gegen Cassius Clay, wie Ali damals noch genannt wurde. Als Liston die Beatles sah, sagte er nur: „Mit den Schwächlingen posier ich nicht.“ Also wurde ein Termin mit Muhammad Ali arrangiert, was wiederum Lennon und Co. blöd fanden. Damit die Fotosession überhaupt stattfinden konnte, wurde die Band vorübergehend in eine Umkleidekabine eingeschlossen, gegen deren Tür die vier wutschnaubend hämmerten. Als sie endlich aufging, stand die wohl schönste menschliche Kreatur vor ihnen, die sie jemals gesehen hatten, und Muhammad Ali sagte: „Kommt schon, Beatles, lasst uns Geld verdienen!“ Woraufhin die vier hinter ihm hertrotteten wie Kindergartenkinder.

Ringo Starr in London, 1963
Ringo Starr in London, 1963Paul McCartney

Der Band enthält wahre Perlen, Schnappschüsse auf Cilla Black, einem frühen Star der Liverpooler Merseybeat-Szene, sowie Aufnahmen aus der Garderobe von Johnny Halliday. Mal Evans, der Roadie und Assistent der Beatles, trägt Hornbrille und Krawatte und entspricht so gar nicht dem Bild eines unverzichtbaren Begleiters aus dem Begleittross einer Band. In Zigarettennebel eingehüllt werden Beatles-Fans Tony Barrow erkennen, der den Begriff der Fab Four geprägt hat. Beeindruckender als augenzwinkernde Verweise auf Kennerschaft jedoch sind Einblicke in ein Banduniversum, in denen man die Zweifel darüber deutlich zu spüren meint, wie es auf der „long and winding road“ wohl weitergehen mag.

Paul McCartney: 1964: Augen des Sturms. C.H. Beck, 335 Seiten, durchgehend bebildert, 49 Euro