Gaming

Netflix baut sein Gaming-Angebot aus, doch die Nutzer spielen nicht mit

Seit einigen Monaten bietet Netflix auch Spiele an, die allerdings kaum gefunden und genutzt werden. Dabei sind durchaus gute Titel im Angebot.

Auf dem Boot in Richtung Jenseits geht es im innovativen Adventure-Spiel „Before Your Eyes“.
Auf dem Boot in Richtung Jenseits geht es im innovativen Adventure-Spiel „Before Your Eyes“.GoodbyeWorld Games

Über zehn Jahre lang kannte der Erfolgstrend von Netflix nur eine Richtung: aufwärts. Seit diesem Jahr aber ruckelt es bei dem Streaming-Pionier: Die Abo-Zahlen sind gesunken, damit verbunden auch der Aktienkurs, im Mai wurden weltweit 150 Mitarbeiter entlassen. Maßnahmen, um dem entgegenzusteuern sind in Planung, darunter auch die Einbindung von Werbung.

Die Ankündigung einer anderen Innovation sorgte schon im vergangenen Juli für Schlagzeilen: Netflix gab bekannt, in Zukunft auch Spiele anbieten zu wollen. Ab November war es dann so weit und die Tatsache, dass diese Information nun viele Leser und Abonnenten überraschen wird, dürfte dazu beigetragen haben, dass die jüngst von dem amerikanischen Nachrichtensender CNBC veröffentlichten Nutzerzahlen auf Basis von Daten der Analytics-Firma Apptopia, eher ernüchternd ausfallen: Die Netflix-Games verzeichnen seit November 23,3 Millionen Downloads, täglich spielen durchschnittlich 1,7 Millionen Nutzer, also weniger als ein Prozent der aktuell 221 Millionen Abonnenten weltweit.

Enttäuschendes Angebot zum Start

Der Hauptgrund für die relativ geringe Nutzung wird sein, dass ein Großteil der Abonnenten schlicht nichts von dem Angebot weiß. Die meisten Menschen nutzen Netflix, was die Kreativen freuen wird, nicht auf dem Smartphone. Genau dort will die Firma ihre Kunden aber, zusätzlich zu den großen Bildschirmen, hinlotsen. „Wir konkurrieren mehr mit ‚Fortnite‘ als mit HBO – und verlieren“, schrieb der Netflix-Gründer Reed Hastings schon 2019 an die Aktionäre, er bezog sich dabei auf die Bildschirmzeit. Wohl unter anderem deshalb beschränkt die Firma ihr Spieleangebot bisher auf Mobile Games und diese werden nur angezeigt, wenn man die Netflix-App auf mobilen Geräten nutzt.

Ein Game zur Erfolgsserie: „Stranger Things 3: Das Spiel“
Ein Game zur Erfolgsserie: „Stranger Things 3: Das Spiel“Netflix

Die wenigen Abonnenten, die sich schon im November mit dem neuen Angebot auseinandergesetzt haben, dürften zudem enttäuscht gewesen sein. Denn zum Start gab es lediglich fünf Titel im Katalog: Zwei Retro-Spieleableger der plattformeigenen Erfolgsserie „Stranger Things“, die schon mehrere Jahre alt waren, sowie drei lizensierte, ebenfalls nicht neue Casual Games, also leicht zugängliche Spiele für zwischendurch, bei denen Dinge eingelocht und Karten gelegt werden mussten. Begeisterung für ein neues Medium ließ sich damit eher nicht wecken, ihrem guten Ruf für originäre Inhalte kam Netflix nicht nach. „Wir gehen die Sache absichtlich ruhig an“, erklärte Leanne Loombe aus dem Gaming-Team von Netflix beim Tribeca Film Festival im Juni, „weil wir immer noch experimentieren und dabei sind, herauszufinden, was unsere Mitglieder anspricht.“

Eine Reise ins Jenseits und die Suche nach Trinkwasser

Ganz so ruhig ist es allerdings gar nicht mehr in der mobilen Game-Leiste. Die Zahl der angebotenen Titel ist auf 24 angewachsen und einige davon können durchaus überzeugen. Allen voran das Adventure „Before Your Eyes“, das Netflix für die exklusive mobile Nutzung lizensiert hat, nachdem es im Frühjahr 2021 schon für den PC erschienen war. Das Spielprinzip eignet sich dafür hervorragend: Spieler steuern mit einem Zeigefinger und durch Augenblinzeln. Erzählt wird die Geschichte eines Jungen, der auf dem Weg ins Jenseits noch mal eine schnelle Zeitreise durch sein Leben absolvieren muss – vom richtigen Ausgang hängt nicht weniger als sein Seelenheil ab. Bei einigen Spielern wird das zu wässrigen Augen führen, was durchaus praktisch ist, wenn das Spiel gerade wenige Blinzler fordert, um all seine Geheimnisse preiszugeben.

Gleich fünf Spiele haben die Entwickler des Studios „Frosty Pop“ beigesteuert, vier davon („Teeter Up“, „Krispee Street“, „Bowling Ballers“ und „Shooting Hoops“) Casual Games in cleanem Design mit simplen, smart umgesetzten Konzepten. Das fünfte Spiel, „This is a True Story“ entstand in Zusammenarbeit mit der Non-Profit-Organisation Charity:Water und soll darauf aufmerksam machen, dass knapp 800 Millionen Menschen auf der Erde keinen direkten Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. In dem kurzen Adventure spielt man den beschwerlichen Weg einer Frau nach, die von dem Missstand betroffen ist, ihre Kommentare aus dem Off basieren auf realen Interviews. Die kurze Spielerfahrung ist durchaus einprägsam, man will sie anschließend nicht missen.

Screenshot aus dem Spiel „This is a True Story“, das auf Wasserknappheit aufmerksam machen will.
Screenshot aus dem Spiel „This is a True Story“, das auf Wasserknappheit aufmerksam machen will.Frosty Pop/Netflix

Ebenfalls zu empfehlen ist das Strategiespiel „Into the Breach“, bei dem auf einer Art Schachbrett Menschen, die Maschinen steuern, ihre Zivilisation gegen Außerirdische verteidigen müssen. Das Spiel birgt gehöriges Frustrationspotenzial, was natürlich den Erfolg am Ende umso befriedigender macht. „Into the Breach“ gibt es seit 2018, die Lizensierung dürfte einige Fans auf das Gaming-Angebot von Netflix aufmerksam gemacht haben.

Das langfristige Ziel: Games mit Bezug zu den Serienwelten

Laut Netflix-CFO Greg Peters wolle man im Gaming-Bereich noch einiges ausprobieren, das langfristige Ziel sei es aber, Titel zu kreieren, die Bezug zu den firmeneigenen Welten, Charakteren und Geschichten haben. Aktuell in Entwicklung sind unter anderem ein Adventure-Spiel zur spanischen Serie „Haus des Geldes“, in dem Spieler ihre kriminellen Fähigkeiten unter Beweis stellen müssen, sowie eine Schachsimulation mit Verbindung zur Miniserie „Das Damengambit“, die 2021 elf Emmy Awards gewonnen hat. Andersherum gibt es auf der Plattform den Austausch zwischen Spiel und Serie schon zuhauf, die Videospiel-Verfilmung von „The Witcher“ gehört zu den erfolgreichsten Titeln der Firmengeschichte. Adaptionen von „Assassin’s Creed“ und „Cyberpunk 2077“ sind aktuell in Arbeit.

Für Netflix sind die mittelprächtigen Nutzerzahlen bisher offensichtlich kein Grund, von seinen Gaming-Ambitionen Abstand zu nehmen. In diesem Frühjahr kaufte die Firma für 72 Millionen Dollar das finnische Entwicklerstudio NextGame, im vergangenen September wurde bereits der renommierte Indie-Entwickler Night School Studio akquiriert. Bis zum Jahresende will Netflix seinen Spielekatalog auf 50 Titel verdoppeln.