Countrymusik

Oliver Anthony: Mit Klassenkampf-Zeilen an die Spitze der Charts

Der aus den Bergen im Osten der USA stammende Oliver Anthony war eben noch völlig unbekannt. Mit einem kämpferischen Song ist er erfolgreicher als Taylor Swift. 

Oliver Anthony bei einem Auftritt in den USA im August.
Oliver Anthony bei einem Auftritt in den USA im August.Kandall Warner/The Virginian-Pilot

Richmond ist die Hauptstadt des amerikanischen Bundesstaates Virginia. Die Stadt hat rund 230.000 Einwohner, Tendenz leicht steigend. Die Arbeitslosenquote betrug in der Metropolregion zuletzt drei Prozent und lag damit unter dem Landesdurchschnitt von 3,8 Prozent. Das Einkommensniveau ist in der Banken- und Finanzmetropole überdurchschnittlich hoch, aber natürlich lassen sich auch in Richmond Szenen des sozialen Abstiegs beobachten, wie sie der Autor J.D. Vance in seinem Buch „Hillbilly Elegie“ für den amerikanischen Rust Belt beschrieben hat, den inzwischen weitgehend deindustrialisierten Nordosten der USA. Nach der Wahl von 2016 wurde die Vernachlässigung der Malaise der amerikanischen Arbeiterschaft als eine der Hauptursachen für den Sieg Donald Trumps angesehen.

In seinem Anfang August herausgekommenen Song „Rich Men North Of Richmond“ knüpft der Countrysänger Oliver Anthony an dieses Erklärungsmuster an. In dem Lied werden die Lebensverhältnisse von Menschen beklagt, die sich abstrampeln müssen und dabei doch auf keinen grünen Zweig kommen. Überstunden, schlechte Bezahlung, sein Leben lang, so drückt es das lyrische Ich in dem Lied aus, habe es seine Seele verkauft. „Livin’ in the new world / with an old soul.“

Oliver Anthony skizziert in kämpferischer, ein wenig an Bruce Springsteen erinnernder Diktion das Psychogramm eines Abgehängten, der nicht ankommt gegen die Reichen nördlich von Richmond. Dort an der Ostküste ist nicht nur der mächtige und gierige Finanzkapitalismus zu Hause. Aus Sicht Oliver Anthonys, so darf man mutmaßen, befindet sich dort auch die politische Elite, die totale Kontrolle ausübt und hohe Steuern kassiert. Verschwörerische Stereotype klingen an, es ist von Kinderhandel und Wohlfahrtsmissbrauch die Rede. Seit ein paar Tagen steht der Song an der Spitze der Billboard Hot 100 Singlecharts. Binnen weniger Tage wurde er mehr als 17 Millionen Mal gestreamt und 147.000 Mal heruntergeladen.

Oliver Anthony, der eigentlich Christopher Anthony Lunsford heißt, stammt aus den Apalachen, einer bewaldeten Gebirgskette im Nordosten der USA. Er habe den Namen seines Großvaters Oliver Anthony als Künstlernamen gewählt, als Hommage an die beschwerlichen Jahre der großen Depression. Zurzeit lebt Oliver Anthony in einem Wohnmobil. Einen lukrativen Plattenvertrag soll er abgelehnt haben. Er strebe nicht an, in großen Stadien zu spielen. Als politischen Rechten sieht sich der 30-Jährige nicht, eher verortet er sich in der Mitte. Dass die politische Rechte nun seinem Song zujubelt, stört ihn allerdings nicht.