Eines vorweg: Konzerte der Ostberliner Neue-Deutsche-Härte-Band Rammstein sind freilich keine Konzerte. Sondern gigantomanische Live-Action-Spektakel. Hätte es sie im antiken Rom schon gegeben, hätte man glatt das Kolosseum auf die dreifache Größe aufblasen müssen. Denn dort passen „nur“ 50.000 Leute rein. 145.000 Menschen hingegen hätten eigentlich das Münchener Silvesterkonzert von Rammstein erleben sollen. Hätte, hätte, Neujahrswette. Denn nun kommt alles doch anders. „O’zapft is“, sagt sonst der Oberbürgermeister von München, wenn er auf der Theresienwiese das Oktoberfest eröffnet. Genau dort sollten Rammstein an Silvester spielen. Aber: Abg’sagt is. Wegen Sicherheitsbedenken.
Aber nicht etwa vom Oberbürgermeister aus. Ja, nicht mal überhaupt von der Politik aus. Sondern der Konzertveranstalter (die österreichische Firma Leutgeb Entertainment) hat freiwillig einen Rückzieher gemacht. Zwar gab es vorher durchaus schon Bedenken, ob das zu bewältigen sei: 145.000 ekstatische (und darunter vielleicht auch einige auf Krawall gebürstete) Rammstein-Fans, zudem womöglich angetrunken an Silvester. Darf man die so aufeinander loslassen? Oder ist das ein Risiko für ihre eigene und am Ende gar für die öffentliche Sicherheit?
Wer das Konzert sehr gerne wollte: neben den Fans, natürlich, auch die Tourismusbranche – in deren Sinne wohl auch Münchens Tourismusreferent sprach, als er sagte, was für eine „wunderbare Gelegenheit“ das für die bayerische Hauptstadt sei. Sicher wären ja viele Leute von den 145.000 eigens angereist. Garantiert auch aus Berlin. Und viele davon hätten ein Hotel gebraucht und ein paar Weißwürste und auch viel Bier. Zumindest wenn man nicht direkt nach dem Konzert mit dem Flixbus wieder heimfährt. Konsequent, dass auch der Münchener Wirtschaftsreferent in die Debatte involviert war.
Gezähmte Cashcow?
Eigentlich witzig, dass eine Band, die bei jeder Gelegenheit ihr Draufgängertum raushängen lässt und quasi ein Abo in Sachen Provokation besitzt, von Teilen der Politik und der Wirtschaft nicht mehr in erster Linie als rebellische Revolution, sondern als staats- oder zumindest stadttragende Institution wahrgenommen wird. Eine Institution, die Geld in die Stadtkasse spült. Im Grunde wie Techno in Berlin.
Doch während Teile der Berliner Technoszene insbesondere während der Corona-Lockdowns und vor dem Hintergrund drohender Clubschließungen – verständlicherweise – mit ihrer wirtschaftsrelevanten Rolle hausieren gingen, ist es Rammstein vermutlich gar nicht so recht, als systemrelevant gezähmte Cashcow für die Stadt angesehen zu werden; übrigens gleichsam als Jahrmarktsattraktion genau neben dem auch bis Silvester andauernden Weihnachtsmarkt auf der Theresienwiese.
Die Umstände der Absage sind trotzdem schräg. Zwar könnte man sagen, dass man, speziell nach der katastrophalen Loveparade in Duisburg 2010, nicht vorsichtig genug sein kann bei Megaevents. Damals kamen bei einer eskalierten Massenpanik 21 Menschen ums Leben; 652 wurden verletzt. Etwas Vergleichbares will natürlich niemand wieder sehen; geschweige denn: verantworten. Hinter den Kulissen heißt es, Rammsteins Konzertveranstalter habe deshalb die Reißleine gezogen, da die Sicherheitsbehörden es als wenig aussichtsreich eingestuft hätten, zusammen noch ein ausreichendes Sicherheitskonzept bis Silvester auf die Beine zu stellen.
Bankrotterklärung des Sicherheitsapparats
Im Ernst? Sicherheitsprofis (die doch durchaus auch kurzfristig auf Bedrohungslagen reagieren müssen) der drittgrößten Stadt des Landes bekommen es nicht hin, in vier Monaten ein Sicherheitskonzept zu entwerfen für 145.000 Leute? Wo doch normalerweise beim Oktoberfest auch locker 100.000 (großteils alkoholaffine) Menschen zeitgleich auf dem Gelände sind? Das klingt schon auch nach einer peinlichen Bankrotterklärung des Sicherheitsapparats.


