Punk + Poesie

Patti Smith im Interview: „Ich liebe es, über Berliner Friedhöfe zu spazieren“

Wir haben mit der Punk-Legende Patti Smith und dem Klangkünstler Stephan Crasneanscki über Poesie und Sounds, Klimakleber, Brecht und Berlin gesprochen.

„Ich bin keine Musikerin“, sagt Smith, Sounds dienten ihr nur, um ihre Lyrik bühnentauglich zu machen.
„Ich bin keine Musikerin“, sagt Smith, Sounds dienten ihr nur, um ihre Lyrik bühnentauglich zu machen.Marcus Mainz

Patti Smith bedankt sich erst einmal bei dem Clubhotel, in dem sie übernachtet. Überall sonst wolle man ihr die neueste Technik andrehen, Firlefanz-Mikrofone für Tausende von Euros. „Dabei will ich doch einfach nur ein shitty SM58“, sagt sie auf der kleinen Bühne. An diesem Abend hat sie einen solchen Mikro-Klassiker bekommen, „danke Soho House“, ruft die Lyrikerin aus.

Die Gedichtlesung am Donnerstag im Hotel sollte die erste von einer Reihe von Performances in Berlin sein, die Smith an diesem Wochenende noch in die Volksbühne und die Neue Nationalgalerie führen wird. Vorgeführt werden dann unter anderem Stücke, die Smith zusammen mit dem Musiker Stephan Crasneanscki erarbeitet hat: Ihr Projekt „Correspondences“, eine Mischung aus abstrakten Klangaufnahmen und Gedichten, soll das Publikum auf eine immersiv-audiovisuelle Reise mitnehmen.

Der Elektro-Esoteriker

Von Stefan Hochgesand

27.08.2022

Wir haben Smith und Crasneanscki vor ihrem ersten Auftritt im Soho House getroffen, in dem die Punk-Legende ein Publikum erwartet, so sagt sie uns, das mit ihrer Arbeit vielleicht noch nicht vertraut ist. Am Ende sollte sie nicht recht behalten: Am Donnerstag singen rund 100 Gäste zumindest ihren größten Hit „Because the night“ mit. Nicht auf eine peinliche Popkonzert-Art allerdings, sondern auf eine spürbar bewegte Weise.

Frau Smith, das letzte Mal, dass wir uns begegnet sind, 2014, erzählten Sie mir, dass Sie oft, wenn Sie in Berlin sind, auch dem Grab von Bertolt Brecht einen Besuch abstatten. Machen Sie das auch heute noch?

PATTI SMITH: Manchmal schon. Ich besuche sein Grab und bedanke mich für seine Arbeit. Heute war ich allerdings auf einem anderen Friedhof, gleich hier gegenüber vom Soho House, in dem ich übernachte. Ich liebe es, über Berliner Friedhöfe zu spazieren und mich in ihnen zu verlieren.

Was ist es, das Sie so an Brechts Werk fasziniert?

SMITH: Ich habe seine Theaterstücke schon immer geliebt: „Baal“, „Die Dreigroschenoper“, „Mutter Courage“. Als junge Frau arbeitete ich auch selbst im Theater, also habe ich viel von ihm gelesen. Mir gefällt, wie er die Welt gesehen hat. Fast wie in einem kubistischen Gemälde: alles auf einmal. Seine Stücke waren zwar nicht moralisch, aber geprägt von zentralen, menschlichen Abgründen, von Neid, Krankheit, Sünde. Themen, die er mal auf eine einfühlsame, andere Male auf eine ironische Weise verarbeitet hat.

Veranstaltungen
Correspondences
Smith und Crasneanscki mit seinem Soundwalk Collective arbeiten seit über zehn Jahren im Projekt „Correspondances“ zusammen, bei dem die Poesie von Patti Smith zusammentrifft mit den Sounds von Crasneanscki. Dafür sind die beiden öfter auch in Berlin gemeinsam im Studio. Am Samstagabend führt Smith Stücke des Projekts in der Volksbühne vor; am Sonntag liest sie außerdem Gedichte in der Neuen Nationalgalerie.

Verbunden fühlen Sie sich auch mit dem französischen Dichter Arthur Rimbaud. 2017 haben Sie sogar sein Haus in Roche gekauft. Spukt dort noch immer Rimbauds Geist umher und inspiriert Sie?

SMITH: Rimbaud hat in diesem Haus „Eine Zeit in der Hölle“ geschrieben. Ich betrachte mich als Hirtin dieses Grundstücks. Ich sitze dort gerne im Garten auf dem Boden oder ich schlafe im Gras und stelle mir vor, dass Rimbaud bei mir ist. Als Teenage-Mädchen habe ich oft von ihm geträumt. Genau wie von Bob Dylan.

Noch einmal zurück mit Bob Dylan

Von Harry Nutt

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Mit Dylan sind Sie schon lange befreundet. Wie hat er Sie eigentlich darum gebeten, 2016 in seinem Namen den Literatur-Nobelpreis entgegenzunehmen, der ihm verliehen worden war?

SMITH: Das hat er nicht, das ist ein Missverständnis, das in der Presse die Runde gemacht hat. Das Nobelpreis-Komitee hatte mich gefragt, ob ich während der Verleihung ein Lied singen würde für denjenigen, der den Nobelpreis gewinnt. Es gab Gerüchte, dass es Murakami sein würde. Aber dann gewann Bob. Es kann aber niemand anderes als der Gewinner seinen Preis abholen, das ist eine Regel. Bob hat das im Nachhinein ganz in Ruhe getan. So ein großes Event mit Paparazzi und Fans, das mag er nicht.

Und Sie selbst kommen mit so viel Aufmerksamkeit besser klar?

SMITH: Besser als er, ja. Manchmal brauche auch ich etwas Ruhe, aber ich drohe bei großen Veranstaltungen nicht in eine Paranoia zu verfallen. Sie müssen ja auch bedenken, dass Bob viel größer ist als ich. Schon um mich hatte es bei der Nobelpreis-Verleihung viel Trubel gegeben, bei Bob wäre das noch viel mehr gewesen. Das wäre kein gutes Umfeld für ihn gewesen. Aber den Preis verdient er natürlich, er hat einen so großen Einfluss nicht nur auf die amerikanische Literatur, sondern auf die globale Kultur.

„Berlin hat eine gute Energie“, sagt Smith, die im Soho House ein beseeltes Publikum zurücklässt. 
„Berlin hat eine gute Energie“, sagt Smith, die im Soho House ein beseeltes Publikum zurücklässt. Marcus Mainz

Es ist die Literatur, in der auch Sie sich zu Hause fühlen. Sie sagten einmal, dass Sie mit der Musik bloß angefangen haben, um Ihre Gedichte aufführen zu können.

SMITH: Das stimmt. Und ich habe damit am Geburtstag von Brecht angefangen. Es war am 10. Februar 1971, als ich das erste Mal zusammen mit Lenny Kaye aufgetreten bin, der meine Worte musikalisch begleitete. Seitdem, also seit mehr als 50 Jahren, rufen Lenny und ich uns jedes Jahr am 10. Februar an und wünschen uns gegenseitig einen schönen Brecht-Geburtstag.

Patti Smith im Interview: „Ich bin keine Musikerin“

Um eine Verbindung aus Klang und Ton geht es auch im Projekt „Correspondences“, dass Sie, Frau Smith und Herr Crasneanscki, vor etwa fünf Jahren zusammen angefangen haben, und das Sie nun am Samstag in Berlin abermals auf die Bühne bringen.

STEPHAN CRASNEANSCKI: Das ist richtig. Uns gefällt die Doppeldeutigkeit dieses Begriffs „Korrespondenz“, der ja nicht nur eine Übereinstimmung meint, sondern im ursprünglichen Sinne auch einen Briefwechsel beschreibt. Das trifft genau das, was auch wir in „Correspondences“ machen: Ich sammle auf Reisen Klänge, die ich aufnehme und als Audiodatei an Patti schicke. Sie lässt sich davon inspirieren und schreibt Gedichte zu diesen Klängen. Das ist sozusagen unsere ganz eigene Korrespondenz.

SMITH: Stephan kommuniziert mit mir sozusagen in Sounds. Das kann der Klang des Windes in Äthiopien sein oder der Krach, den ein Baum macht, der im Walt umstürzt. Stephan schreibt mir gewissermaßen auditive Briefe.

Warum haben Menschen stärkere Verbindungen zu Klängen als zu Worten? Manche Musiker füllen Stadien, das würde kaum ein Dichter schaffen.

SMITH: Musik ist die ursprünglichste, großzügigste, universellste Sprache. Wer hören oder auch nur Bässe spüren kann im Körper, hat das Potenzial, von Musik bewegt zu werden. Dichtungen, Worte, Sprache sind in dem Sinne exklusiver. Ich bin keine Musikerin, mir sind die Worte und Texte am wichtigsten. Das macht die Arbeit mit Stephan umso spannender. Der Klang des Windes, des Regens, das Summen von Bienen oder Heulen von Wölfen, das versteht jeder. Ich bringe dann obskure oder humanistische Texte damit zusammen.

Gibt es einen Ort und seinen Klang, der Ihnen nach fünf Jahren des Projekts noch immer besonders im Gedächtnis geblieben ist, Herr Crasneanscki?

CRASNEANSKI: Die erste Aufnahme, die ich Patti je geschickt habe. Das waren Klänge, die ich in Tschernobyl aufgenommen hatte, Klänge eines Klaviers. Ich habe mehrere im Katastrophengebiet zurückgelassene Klaviere gesehen und auf einem gespielt. Einem ganz zerstörten, verfaulten Klavier. Letztlich sind es immer ganz kurze Aufnahmen, die ich Patti schicke, wirklich nur ein paar Töne. Sie sind aber mit signifikanten Erinnerungen verbunden, die Patti dann durch ihre Worte und Dichtungen manifestiert. Sie erweckt diese Erinnerungen zum Leben.

ZuR Person
Patti Smith
Die amerikanische Lyrikerin Singer-Songwriterin und Bildende Künstlerin wurde 1946 in Chicago geboren. Sie gilt als „Godmother of Punk“ und wurde 1978 einem großen Publikum bekannt durch den Song „Because the Night“, den sie gemeinsam mit Bruce Springsteen geschrieben hatte.

Sind auch Aufnahmen, die Sie in Berlin gemacht haben, Teil des Projekts?

SMITH: Ja, meine Stimme. Wir haben meine Stimme hier aufgenommen und Stücke fertiggemischt, gerade gestern noch eines.

CRASNEANSKI: Wir arbeiten hier meistens in der Analogue Foundation Berlin, einem wundervollen Tonstudio direkt neben dem KitKat-Club. Wir hören uns die Aufnahmen an, die ich auf den Reisen gemacht habe, Patti schreibt ihre Texte. Wenn wir dann beides im Studio zusammenführen, also Pattis Stimme über die Klänge legen, suchen wir nach Harmonie oder Stellen, die gut zusammenpassen. Wir bauen die einzelnen Stücke Schicht für Schicht auf. Das kann manchmal ganz schön lange dauern, teilweise arbeiten wir an einem einzelnen Stück jahrelang.

Patti Smith im Interview: „Berlin hat eine gute Energie“

Sie beide leben und arbeiten in unterschiedlichen Städten, sind mit New York, Paris und eben Berlin verbunden. Was hat Ihnen unsere Stadt zu geben, das Sie in den anderen Metropolen nicht finden?

SMITH: Berlin hat eine gute Energie. Ich komme seit den Siebzigern immer wieder hierher. Für Performances und um Leute zu treffen, mit ihnen zu arbeiten. In Berlin spüre ich eine ideologische und intellektuelle Energie, die mir imponiert. Morgens setze ich mich in mein Hotelzimmer und schreibe, dann gehe ich wie gesagt gern auf die Friedhöfe, sage den Engeln hallo. Und bevor es dann nachmittags ins Studio geht, esse ich am liebsten im Pasternak zu Mittag.

Dem russisch-jüdischen Restaurant in Prenzlauer Berg?

SMITH: Genau, das ist eines meiner Lieblingsrestaurants. Ich sitze am liebsten unter dem Porträt von Bulgakow. Ich mag übrigens auch den alten Zoo, dicht beim Bahnhof, mit diesem wunderschönen großen Eingang mit den Elefantenfiguren. Außerdem gibt es in Berlin ganz wundervolle Ort, um aufzutreten. Die Menschen sind hier sehr empfänglich für meine Performances, sie geben mir viel zurück und sie vergessen mich nicht.

Ihre erste Gedichtlesung in einer Reihe von Performances, die Sie an diesem Wochenende in Berlin aufführen, haben Sie im Soho House veranstaltet. Was macht ausgerechnet das Clubhotel zu einem guten Ort für Ihre Kunst?

SMITH: Das war auch eine praktische Erwägung. Ich übernachte im Soho House und dann kann ich auch gleich dort auftreten. Am Samstag trete ich direkt gegenüber in der Volksbühne auf, am Sonntag in der Neuen Nationalgalerie. Das Spannende am Auftritt im Soho House ist das Publikum. Es sind nicht unbedingt dieselben Leute, die ich auf meinen anderen Performances treffe. Nicht alle kennen meine Gedichte und meine Musik. Das ist eine schöne Herausforderung, weil ich dieses Publikum ganz neu von mir überzeugen muss. Zum ersten Mal habe ich im Berliner Soho House übrigens übernachtet, weil Wim Wenders mich hier einquartiert hatte. Und da ich ein Gewohnheitstier bin und mir die Aussicht gefällt, die ich von meinem Schreibtisch im Hotelzimmer aus habe, komme ich immer wieder hierher.

Patti Smith im Interview: „Ich verurteile die Klima-Aktivisten nicht“

Was erwartet das Publikum am Samstagabend in der Volksbühne? Dort werden Sie ja Stücke Ihres gemeinsamen Projekts „Correspondences“ vorstellen.

SMITH: Wir werden sechs verschiedene Stücke aufführen, die verschiedene Empfindsamkeiten anregen. Zusammen mit den wunderschönen Visualisierungen, die zu diesen Stücken erarbeitet wurden, den aufgenommenen Klängen und einigen Sachen, die wir live untermischen, entsteht ein betörendes Erlebnis. Das Publikum ist bei diesen Stücken das fünfte Element. Es trägt auch etwas dazu bei. Das kann eine Stille sein oder eine Elektrizität, die in der Luft liegt. Auf jeden Fall hält dieser Abend eine Möglichkeit für Menschen bereit, emotional, intellektuell, politisch, vielleicht sogar spirituell bewegt zu werden. Ich selbst werde während des Auftritts wohl mal sehr wütend sein, mal traurig und dann wieder voll von Glück.

Wut dürfte sich einstellen, weil Ihre Stücke teilweise auch die Verschmutzung der Ozeane thematisieren.

CRASNEANSKI: Jedes unserer Stücke hat ein Thema. Und ja, in einem geht es tatsächlich darum, wie Menschen Unterwasserraketen auf den Meeresgrund schicken, um nach Öl zu suchen. Diese Raketen verursachen einen unheimlichen Lärm im Ozean. Wale, Delfine und andere Tiere verlieren dadurch die Orientierung und werden in ihrem Lebensraum massiv gestört.

„Das ist eine Herausforderung, weil ich dieses Publikum ganz neu von mir überzeugen muss“, meint die Lyrikerin, doch am Ende singen alle Gäste mit.
„Das ist eine Herausforderung, weil ich dieses Publikum ganz neu von mir überzeugen muss“, meint die Lyrikerin, doch am Ende singen alle Gäste mit.Marcus Mainz

Der Protest gegen die Umweltzerstörung hat zuletzt neue Dimensionen angenommen. Es gibt junge Aktivistinnen und Aktivisten, die sich auf die Straße kleben oder Gemälde in Museen beschmieren. Finden Sie, das ist eine legitime Form des Protests?

SMITH: Ich verurteile diese Aktivisten nicht, wenngleich ich selbst nicht auf diese Weise protestieren würde. Ich sehe es nicht gerne, wenn Kunst zerstört wird. Aber es ist doch so: Greta Thunberg zum Beispiel setzt sich seit Jahren vehement ein. Sie hat protestiert, geweint, geschrien. Und so viele ignorieren sie noch immer. Ich denke, die Protestformen, die wir nun sehen, gehen aus einer Frustration hervor. Diese jungen Menschen benutzen jetzt die letzten Werkzeuge, die ihnen noch bleiben. Leider tun sie sich damit nicht immer selbst einen Gefallen, fürchte ich. Aber ich applaudiere ihnen trotzdem für ihren vollen Einsatz, der ja aus einer großen Sorge für unseren Planeten heraus resultiert. Man sollte ihnen zuhören.

Aber ihre Methoden sind die falschen?

SMITH: Nun, es sind die Methoden, die ihnen zur Verfügung stehen. Wie David, der Goliath mit einer Steinschleuder und einem Stein bekämpfen musste. Was müssen diese jungen Leute von uns nur denken? Dass wir uns einen Dreck um sie scheren.