Berlin

Der Elektro-Esoteriker

Techno-Produzent Pantha du Prince ist von Berlin nach Brandenburg gezogen. Sein neues Album huldigt dem „Garden Gaia“. Gemeint ist nicht weniger als die Welt.

Pantha du Prince
Pantha du PrinceFrédéric Boudin

Die Umrisse von Hendrik Weber zerfasern. Als wir mit ihm im Videochat von Zoom verabredet sind, flimmert sein langes Haar halbtransparent. Manchmal verschwimmen auch die Umrisse seines Gesichts. Ein bisschen gruselig wirkt das. Der befremdliche Effekt hat einen Grund: Der See hinter Hendrik Weber, er befindet sich nicht wirklich hinter ihm – sondern ist ein künstlich generiertes Hintergrundbild. Ein Gletschersee im Berner Oberland. Tatsächlich verbringt Hendrik Weber, der sich als Techno-Produzent seit 20 Jahren Pantha du Prince nennt, gerade ein paar Tage in der Schweiz. Sonst hätten wir ihn natürlich am liebsten bei ihm zu Hause im Brandenburgischen besucht, in einem Dorf nordöstlich von Berlin. Doch dieser Störeffekt im Videochat von Zoom, dieses Verschwimmen der Grenzen zwischen Weber und der Umwelt (den Bergen, dem See) – das passt ganz hervorragend zu Webers neuem Album „Garden Gaia“.

Hendrik Weber alias Pantha du Prince, Jahrgang 1975, ist wohl der renommierteste Techno-Produzent, der in Brandenburg lebt und arbeitet. Seine Alben werden bejubelt vom amerikanischen Online-Musikleitmedium Pitchfork bis hin zur New York Times. Sein Signatursound: eine unverwechselbare Mixtur aus Glockenspiel, Xylophon, warmer Kickdrum (die auch mal schlummern darf) sowie atonalem Noise- und Elektro-Klangdickicht. Und: Feldaufnahmen, also Klänge, die direkt aus der Natur geborgt sind.

Für sein vorheriges Album „Conference Of Trees“ hat Pantha du Prince allerdings auch selbst gebastelte Holzperkussionsinstrumente eingesetzt. Thematisch ging es damals um die Frage, wie Bäume miteinander sprechen. Oha. Weber beruft sich dabei auf Erkenntnisse der Zellbiologie (etwa das Buch „Alles fühlt“ von Andreas Weber), wonach Bäume übers Wurzelwerk und auch mittels Pilzen Signale miteinander austauschen – und somit auch einander warnen können. Wie Bienen in einem Schwarm. „Andreas Weber ist Biologe!“, sagt Pantha du Prince beharrlich. „Das hab ich nicht einfach so zurechtgesponnen. Ich wünsche mir, dass diese Erkenntnisse in die Welt kommen.“

Diesmal, auf „Garden Gaia“, will Weber noch einen Schritt weitergehen: Nicht nur Bäume seien direkt miteinander verbunden – sondern auch wir Menschen und die Welt um uns herum: „Unser Körper, unser ganzes Wesen“, sagt er im Videochat mit einem sanften Lächeln auf den Lippen, „ist synchronisiert mit der Umwelt.“ Das gehe aber in der Selbstbetrachtung der meisten Menschen flöten: „Man kreist so in sich selbst – und ignoriert, dass man angeschlossen, verbunden ist. Je nachdem, wo man ist: an Berge oder ans Meer zum Beispiel. Das beeinflusst unser Denken, unser Fühlen. Unsere Körper sind Resonanz-Viecher.“ Und um diese Resonanz geht es auch auf den Pantha-Alben.

Die Kirsche erwischt den perfekten Moment

Die Geschichte von Hendrik Weber ist auch die eines Techno-Produzenten, der die Stadt Berlin verließ, um nach Brandenburg zu ziehen. Das Berliner DJ-Leben hat Pantha du Prince hinter sich gelassen. 2015 musste er aus seiner Schöneberger Wohnung raus. Von 2009 an hatte der gebürtige Nordhesse (nach Stationen in Hamburg und Paris) hier in Berlin gelebt. Nach einem Nomadenjahr auf den Couches von Freunden quer durch Europa kaufte er 2016 eine alte DDR-Datscha bei Müncheberg, auf halbem Weg zwischen Berlin und der deutsch-polnischen Grenze an der Oder, am Rande der Märkischen Schweiz. Inzwischen hat er sich ein Haus in einem Dorf nordöstlich von Berlin gekauft, das so klein ist, dass er seinen Namen lieber gar nicht nennen mag. In Webers Garten wachsen Tomaten, Kartoffeln, Mangold, Auberginen und Zucchini. Es sprießen Äpfel, Birnen, Pfirsiche und Mirabellen. Pflaumen, Johannisbeeren, Himbeeren und Edelkastanien. Kein Wunder, dass Weber davon inspiriert ist. „Ich liebe es, loszuspielen“, sagt er. „Kontrolle ist nicht förderlich, wenn wir dem vollen Potenzial in uns gerecht werden wollen. Musik, das ist die pure Magie! Die Kirsche, wenn sie reif wird, erwischt eben auch genau diesen Moment.“

Also ist dieser prächtige Brandenburger Pantha-Garten der „Garden Gaia“, nach dem das neue Album benannt ist? Weber winkt ab: „Der Albumtitel ist als Bild für unseren Planeten gemeint, aus dem wir entstehen. Kennt ihr irgendeinen anderen Planeten, der so viel hervorbringt?“ Vielleicht sind wir mit den Raumschiffen noch nicht weit genug rausgeflogen? „Aber im Moment ist es so, wie es ist, oder?“, kontert Weber. „Wir wissen von keinem besseren Planeten.“ Und mit diesem Planeten, so meint er, seien wir direkt verbunden: „Eine Trennung zwischen uns und der Umwelt gibt es nicht – außer wir erschaffen Begriffe, die zum Spalten da sind“, sagt er. „Das ist Teil des Problems, das uns unsere Zivilisation eingebrockt hat.“ Wenn Leute seine Naturverbundenheit esoterisch bis durchgeknallt finden, hat Weber sogar Verständnis dafür. „Aber ich kann ja auch nicht meine eigene Erfahrung verleugnen. Der Esoterik-Begriff wird meist verwendet als ‚Unglaubwürdig‘-Stempel. Damit verbaut man sich doch Wege.“ Man könnte nun leicht sagen: Ist ja klar, dass so einer der Großstadt entfloh. Doch auch das will Weber nicht gelten lassen: Er liebe Berlin. Die Trennung zwischen Stadt und Land sei eben auch nur eine begriffliche, künstliche. „Die Verbindung, von der ich spreche, gibt es überall.“

Die Party im Hinterkopf

Eines lässt sich aber wohl doch festmachen: Die neueren Tracks sind nicht so offensichtliche Tanzbodenknaller, wie es sie früher öfter bei Pantha gab. Er legt auch nicht mehr professionell auf Partys auf. „Mir gibt das nichts mehr, 30 Hits zu spielen“, sagt er, „bei denen sowieso alle an die Decke gehen. Dadurch wurde mir klar, dass ich kein DJ bin.“ Auf Privatpartys legt er dann manchmal aber doch Theo Parrish, Aphex Twin, Four Tet, New Order oder ein paar Remixes von sich selbst auf. Live spielt Pantha du Prince inzwischen „nur“ noch sein eigenes Material. „Ich spiele die Musik, die mir was bringt. Und trotzdem habe ich dabei auch eine gute Party im Hinterkopf, ganz klar.“

Apropos Hinterkopf: Die Haare von Pantha du Prince verschmelzen im Zoom-Monitor schon wieder mit dem Bergsee „hinter“ ihm. Sein Gesicht und der Gletscher werden eins. Der Zoom-Chat kündigt an, in 20 Sekunden abzuschmieren. Eine letzte Frage: Ist Musik ein guter Weg zur Selbsterkenntnis? „Für manche wohl schon“, sagt der Gletscher. „Für andere vielleicht eher Schreiben. Oder einfach: Leben.“

Pantha du Prince „Garden Gaia“ (BMG/Warner Music)