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Komplexe Rhythmen für den Berliner Dancefloor: Das XJazz-Festival verlinkt Jazz mit der Clubkultur

Jazz ist eines der aufregendsten Genres zurzeit und verbindet Menschen allen Alters. Was sind die Highlights dieses Jahr beim XJazz-Festival? Wir haben Tipps auf Lager.

Tritt auch beim Berliner XJazz-Festival 2023 in Kreuzberg auf: Angel Bat Dawid aus Chicago
Tritt auch beim Berliner XJazz-Festival 2023 in Kreuzberg auf: Angel Bat Dawid aus ChicagoRoland Owsnitzki/imago

Mit dem simplen Slogan „Joining the musical dots“ ist seit Jahren die wöchentliche Radio-Show des französisch-britischen DJs und Label-Betreibers Gilles Peterson überschrieben. Eine Radiosendung auf BBC6, die exemplarisch für den Weg steht, auf dem der Jazz in den letzten Jahren seine verstaubte Anmutung gegen ein hippes, cooles und junges Image eingetauscht hat. Was mit dem Motto gemeint ist: Es geht darum, die musikalischen Punkte zu verbinden, statt den Jazz als ein in sich geschlossenes System aus den immer gleichen Referenzen und möglichst komplexer Harmonik zu denken.

Das XJazz-Festival in Kreuzberg beweist seit 2014, dass man sich nicht hinter dJazz-Erfolgsstory verstecken muss. Auch Berlin hat viel zu bieten, was den Jazz angeht. In diesem Jahr vom 8. bis zum 14. Mai hebt das XJazz-Team um den Berliner DJ Daniel W. Best das Ganze aber noch mal auf ein neues Level, bei dem wohl selbst Menschen aus London ein bisschen neidisch werden dürften. Denn das Festival nutzt die steigende Jazz-Aufmerksamkeit dafür, sich noch einmal breiter aufzustellen und die vielen Genre-Spielarten, die hier ausgelebt werden, aus unterschiedlichen Richtungen zu beleuchten.

So wird etwa die Kooperation mit den Clubs AEDEN und AEVE an der Party-Halbinsel am Schleusenufer intensiviert. Nicht nur Live-Acts finden hier zunehmend im Dämmerlicht der Berliner Clubkultur statt, sondern auch vermehrt DJ-Nächte, die sich musikalisch am Tagesprogramm orientieren. „Joining the dots“ eben! Am Donnerstag, dem 11. Mai, im AEDEN steht das erste große Club-Highlight des Festivals an: eine Nacht präsentiert vom Label Energy Exchange Records, das sowohl in Berlin als auch London beheimatet ist.

Hier kann man sich unter anderem auf Ziggy Zeitgeist (Zeitgeist Freedom Energy Exchange) freuen. Der in Berlin lebende Drummer ist essenzieller Motor der hiesigen Szene, verbindet die repetitiv-treibende Beat-Energie wie bei einem DJ-Set mit der Spontaneität seiner Mitmusiker. Bis vier Uhr morgens ist die Nacht geplant, es ist also zu empfehlen, sich am nächsten Vormittag nicht allzu viel vorzunehmen.

Ein zweites Event, das die fruchtbare Schnittstelle zwischen Jazz-Virtuosität und Elektro-Beats in den Vordergrund stellt, ist die Broken-Beat Night am Samstag, dem 13. Mai, kuratiert vom gut vernetzten Berliner Überflieger Moses Yoofee, der nach seinem vielversprechenden Live-Trio-Set auch seine Künste als DJ und Producer zum Besten gibt. Ein absolutes Muss hier auch: das DJ-Set von Broken-Beat- und Nu-Jazz-Pionier Kaidi Tatham. Mit dem Kollektiv Bugz in the Attic zaubert Tatham schon seit der Jahrtausendwende komplexere Rhythmen auf die Tanzflächen. Und das mit dem musikalischen Gespür eines Multi-Instrumentalisten.

XJazz-Festival: Größe Dichte an Acts aller Gewichtsklassen

Club-Programme wie die mit Zeitgeist oder Tatham zeigen, welches Potenzial in der Symbiose aus Berliner Clubkultur und neuer Jazz-Affinität steckt. Das XJazz bildet die Leidenschaft für ein Nachtleben jenseits von klassischen Four-To-The-Floor-Beats ab. Doch auch wer nachts nicht durchmachen will, kommt beim XJazz auf seine Kosten. Das wirklich beeindruckende Line-up bildet gekonnt die aktuellen Strömungen der jungen Jazz-Welt ab, ohne die kulturellen und musikalischen Wurzeln der Sounds aus dem Auge zu verlieren.

So wartet mit der Vibrafon-Legende Roy Ayers gleich am Montag, dem 8. Mai, ein Opening-Spezial auf. Ob sein Hit „Everybody Loves The Sunshine“, der oft aus  Bluetooth-Boxen in Berliner Parks schallt, oder seine Hunderten Auftritte als Instrumentalist, Songwriter und in Samples – Ayers ist ein wichtiger Referenzpunkt in so ziemlich allen Genres mit Anleihen aus Jazz, Soul, Funk und HipHop.

Wer sich abseits solch hochkarätiger Acts aus sehr zeitgemäßer Perspektive auf die Wurzeln des Jazz blicken möchte, ist am Freitag, dem 12, Mai, in der Emmauskirche gut aufgehoben. Hier kommt es zur musikalischen Begegnung der Berliner Sängerin und Bassistin Natalie Greffel mit Angel Bat Dawid aus Chicago. Bat Dawid (Komponistin, Klarinettistin und Aktivistin) hat erst vor kurzem ihr Album „Requiem For Jazz“ veröffentlicht, auf dem sie mittels afrofuturistischen Sun-Ra-Chorälen den Blick auf den emanzipatorischen, sozialpolitischen Gehalt der afroamerikanischen Musiktradition richtet. Hierzu ist auch Greffels XJazz-Workshop „What's Jazz got to do with it“ am Sonntagnachmittag, dem 14., Mai, zu empfehlen. Hier soll der Zusammenhang von afrodiasporischer Black Culture weltweit und Jazz als sozialer Praxis beleuchtet werden. Die musikalischen und kulturellen Referenzpunkte des Genres werden also geografisch wie historisch miteinander verbunden.

Neben diesen Erweiterungen des Festivals um intensivere Club-Nächte sowie Workshops und Vorträge wartet das Line-up mit einer großen Dichte an Jazz-Acts aller Gewichtsklassen auf. Das straffe Programm, das sich in diesem Jahr neben den altbekannten, intimen Kreuzberger Venues auch auf einer eigenen Open-Air-Bühne vor dem Festsaal Kreuzberg abspielen wird, stellt die Gäste hier vor die Herausforderung, sich im Vorfeld zwischen mehreren Must-haves zu entscheiden. Auch wenn die Wege zwischen den Locations für ein innerstädtisches Festival ziemlich besucherfreundlich sind: Alle fett umrandeten Highlight-Punkte des Line-ups werden wohl auch Organisationstalente nicht abhaken können. Etwa wenn die Konzerte der Londoner Saxofonistin Chelsea Carmichael und der Berliner Beatboxerin Kid Be Kid zeitgleich stattfinden.

Beim Venue-Hopping wird dann auch abzuwarten sein, wie das neue Ticketing-Konzept aufgeht. Anders als bisher lassen sich nur noch für wenige Events Einzeltickets kaufen; stattdessen kann man zwischen Tages- und Festivaltickets wählen. Ob sich die Besucherströme dann wirklich so verteilen, dass man nicht doch auch als Ticketinhaber mal vor einem voll ausgelasteten Saal kehrtmachen muss, wird sich zeigen. Andererseits bietet das Programm für einen solchen Notfall eigentlich immer eine Alternative. Wer das Festival besucht, hat allerlei Möglichkeiten, die einzelnen Punkte ganz individuell miteinander zu verbinden. Der Jazz ist sehr im Jetzt bei XJazz.

XJazz. Diverse Orte, 8.–14. Mai, Details auf www.xjazz.net