Sex & Liebe

Meine Eifersucht und meine Männer: Wie ich auszog, die Polyamorösität zu lernen

Unsere Autorin kommt aus einer Kleinstadt und hat keine Lust auf das herkömmliche Leben als Paar oder Single. Leider sind offene Beziehungen nicht einfacher.

„Plötzlich ist der Arbeitskollege, mit dem eine Freundin etwas hat, zufällig meine Langzeitaffäre.“
„Plötzlich ist der Arbeitskollege, mit dem eine Freundin etwas hat, zufällig meine Langzeitaffäre.“Roshanak Amini für Berliner Zeitung

Erschöpft vom Gewusel der Nacht fallen wir auf den Rücksitz des Ubers. Das Gespräch plätschert so vor sich hin, wir reden auch über ein befreundetes Pärchen, darüber, dass die beiden ihre Beziehung weiter öffnen wollen. „Polyamorie, das ist ja jetzt modern“, mischt sich der Fahrer ein, der keinen Gemüsedöner in seinem Fahrzeug duldet. Wir schweigen eine Weile. „Ach ja?“, sagt mein Partner schließlich, mit dem ich noch nie monogam zusammen war. Beziehung haben wir es auch nicht genannt. Und er steht zurzeit Ängste aus, weil ich mich in einen anderen verliebt habe. „Ja, das machen jetzt auch immer mehr Frauen“, erwidert der Uberfahrer. Ich frage mich, ob er meint, dass Beziehungen bisher nur einseitig polyamor waren, oder ob er Polyamorie einfach mit Fremdgehen verwechselt.

„Niemand liebt dich, aber alle lassen dich in Ruhe“, schreibt Schriftsteller Behzad Karim Kahni über Berlin. Eine Bekannte von ihm hat die Stadt so beschrieben. Als ich einem Freund von mir bei einem Spaziergang durch den herbstlich warmen Plänterwald davon erzähle, runzelt er die Stirn. „Nein“, sagt er. „In Berlin sind die Menschen nur ehrlicher mit ihren Gefühlen. Auf dem Land, da kann es passieren, dass du heiratest, ganz ohne Liebe.“

Gespräch zwischen Baumwurzeln

Ehrlich sein, das will ich auch. Ich will Menschen nicht besitzen und nicht als Besitz gesehen werden. Ich will den Druck lockern, perfekt für den anderen zu sein. All seine Bedürfnisse erfüllen zu müssen, all seine Seiten anzusprechen. Weil es unmöglich ist. Ich will es meinen Liebsten gönnen, wenn sie eine gute Zeit hatten, und Verbundenheit spüren, auch wenn es gerade nicht mit mir ist. Das wünsche ich mir auch von meinen Partnern. Deshalb will ich es mit der Polyamorie versuchen.

Als ich mir darüber immer klarer wurde, traf ich diesen Menschen. Es war nur ein Moment, ein Gespräch zwischen Baumwurzeln im Morgengrauen. Ich fragte mich, was diese Festivalbegegnung bedeutet. Und rechnete fest mit einem Wiedersehen, ohne technische Hilfe. Er winkte kurz, bevor er in den Zug stieg und zurückfuhr in die Stadt. Sie verschluckte uns, und ich kam nicht klar. Ich grenzte die Kriterien auf Dating-Apps ein und tippte seinen Vornamen in die Suchleiste von Social Media Plattformen, bis ich ihn gefunden hatte. In diesen zwei Wochen der Suche erschien Berlin riesig.

Zurzeit schrumpft die Hauptstadt für mich dagegen auf ein Dorf zusammen. Vielleicht sind es Interessen und gemeinsame Schnittpunkte. So bringt uns das Uber von einer übergroßen Hausprojektparty weg, bei der ich auf dem Keller-Floor zufällig der Frau begegnet bin, mit der mein Partner morgen schläft. Und wo ich im Hof die beste Freundin der Frau kennengelernt habe, mit der er übermorgen schläft. Wie in Sodom und Gomorra ficken wir, mit wem wir wollen. Bei Menschen, die sich mögen, kann es da schnell zu Überschneidungen kommen.

Zeit mit den Partnerpersonen

Plötzlich ist der Arbeitskollege, mit dem eine Freundin etwas hat, zufällig meine Langzeitaffäre. Mein Partner, den ich eigentlich nicht so nenne, trifft sich mit einer Frau, die kürzlich mit seinem guten Freund und dessen Freundin geschlafen hat. Sie kannten sich unabhängig voneinander. Eine Fernbeziehung des von mir Gesuchten folgt seinem neuen Crush schon länger auf Instagram. Es ist so viel wahrscheinlicher, sich mit Menschen zu verstehen, die die gleichen Menschen lieben und begehren. Frei nach Bob Marleys „One Love“, auch wenn er das bestimmt nicht so meinte.

In einer festen Beziehung teilt man irgendwann alles und übernimmt Verantwortung füreinander. Wenn ich uns nicht als Paar sehe, bin ich sehr viel toleranter. Trotzdem neige ich dazu, mich schnell wie in einer Beziehung zu verhalten: gemeinsame Rituale, körperliche Zuneigung in der Öffentlichkeit und viel gemeinsame Zeit. All das gibt den Partnerpersonen das Gefühl, dass wir doch in einer Beziehung sind, und sie verlieben sich. Was ich in meinen „Nicht-Beziehungen“, wie ich sie nenne, bisher nicht erwidern konnte. Natürlich liebe ich diese Menschen. Aber es ist nicht diese romantische Liebe. Die passiert bei mir sofort oder gar nicht. Jede Beziehung ist anders, einzigartig. Und trotzdem kategorisieren wir. Aber ein Label, das bedeutet Erwartungen, und oft stimmen sie nicht hundert Prozent mit dem überein, was du gerade diesem Menschen zu geben hast.

„Gerade reicht es mir zu sagen, wir sind in einem Team. Aber bitte, ich will keine Nicht-Beziehung mit dir haben“, sagt der Mann, den ich neu kennengelernt habe. Dicht aneinandergekuschelt liegen wir im Bett, und ich sage erstmal nicht so viel. Für mich war beim ersten Treffen klar, entweder wir werden eine Beziehung führen, oder das wird nichts. Das sagt mir mein Körper: Mein Herz klopft, setzt aus, und mein Bauch wird ganz warm. Aber der einzige Gedanke bei seinen Worten ist der an den anderen Mann. An seine Schmerzen, wenn er irgendwann hört, dass wir in einer Beziehung sind.

Verloren zwischen Kompromissen

Ich wusste lange Zeit selbst nicht, dass ich polyamor bin oder jemals sein könnte. In meiner ersten langen Beziehung genoss ich die Zweisamkeit und die Exklusivität – und fand es abwegig, dass Bekannte von uns in einer offenen Beziehung lebten. Bis ich mich verliebte. Die Liebe für meinen Partner war keineswegs verschwunden, aber wir konnten nicht damit umgehen. Und trennten uns, um ein paar Monate später wieder zueinanderzufinden. Damals ahnte ich etwas, aber in meiner schwäbischen Umgebung bei Stuttgart hatte ich noch nie jemanden getroffen, der oder die darüber nachgedacht hätte, polyamor zu leben. Und ich wusste nicht, wie das funktionieren sollte.

Als meine Langzeitbeziehung Jahre später beendet war, hielt mich nichts mehr in der Kleinstadt. Wir hatten uns wahrscheinlich zu sehr aufeinander fokussiert, Kontakte eingeschränkt, uns zwischen all den Kompromissen irgendwann selbst verloren. In Berlin hinterfragen Paare häufiger, wie sie ihre Beziehung gestalten, statt einfach vom monogamen, heteronormativen Modell auszugehen. Eine Lösung für viele ist die offene Beziehung. Ich blieb lieber Single, zumindest offiziell, aber dieses Denken beeinflusste mich.

Treu ist, wer ehrlich ist

In den ersten Jahren in Berlin war Polyamorie für mich nur ein unerreichbarer Traum, der an der Realität scheitern muss. Denn ich bin eifersüchtig. Inzwischen weiß ich aber, dass das okay ist. Solche Gefühle nehme ich gern in Kauf, für mehr Ehrlichkeit und Bedingungslosigkeit in der Liebe. Bedingungslos, weil ich nicht erwarte, dass wir alles gemeinsam machen und uns anpassen. Und bedingungslos, weil das Konzept der Treue wegfällt. Treu ist, wer ehrlich ist.

Das Potenzial für Polyamorie ist da, in der Großstadt. Damit umzugehen ist trotzdem nicht einfach. Natürlich sind wir eifersüchtig. Aber wir können reden. Mit uns selbst und den anderen. Fehlt mir etwas? Gemeinsame Zeit oder Aufmerksamkeit? Wünsche ich mir, dass mein Partner das Gleiche mit mir unternimmt oder sich gegenüber mir so verhält? Wenn die Antwort nein ist, hat sich die Eifersucht in meinem Inneren oft schon deshalb beruhigt. Wenn die Antwort ja ist, teile ich mich mit und hoffe auf Unterstützung. Bisher funktioniert es. Und ich wünsche mir, dass dieses Idealbild von Beziehung tatsächlich ideal sein kann für mich.