Bücherfrage der Woche

Bücherfrage der Woche: Rahel Varnhagen auf dem Schiff

Judith Kessler erzählt auf der „MS Goldberg“ aus dem Leben der Berliner Salonnière und liest Texte von ihr.

Judith Kessler als Erzählerin
Judith Kessler als ErzählerinKulturschiff MS Goldberg

Flüsse, Kanäle und Seen prägen die Stadt Berlin. Auf den Gewässern ist seit Mai 2022 ein jüdisches Kulturschiff unterwegs, die „MS Goldberg“. Am Freitag gilt am Anlegeplatz in Spandau ein Abend der Schriftstellerin Rahel Varnhagen von Ense (1771–1833). Wir fragen die Erzählerin des Abends, Judith Kessler: Wie kommt die Berliner Salonnière aufs Wasser?

Sie gehört einfach dazu, wenn man wie wir jüdische Persönlichkeiten in Lesungen und Konzerten, mit Theaterstücken und Filmen würdigen will. Ich habe einige Texte von Rahel Varnhagen ausgewählt und lese aus ihren Briefen an Zeitgenossen von Heine bis Humboldt. Der Pianist Max Doehlemann spielt dazu Klavierstücke aus der Zeit, etwa von Fanny Hensel, Franz Liszt, Franz Schubert – also Stücke, die auch Frau Varnhagen gehört haben dürfte. Außerdem erzähle ich über ihr Leben und darüber, wie sie in die Gesellschaft wirkte: mit Klugheit und mit Charme.

Ich gestalte noch andere Abende, meistens über Frauen, die prägend in Berlin waren, die ermordet wurden oder emigrieren mussten wie Mascha Kaléko zum Beispiel. Das ist überhaupt das Ziel unseres Vereins Discover Jewish Europe: jüdische Kultur bekannt zu machen. Wir haben kein festes Haus, wir sind beweglich. Peter Sauerbaum und seine verstorbene Frau haben diesen Kahn gefunden, der früher Kies und Sand transportierte. Mithilfe der Lottostiftung konnte er zum Kulturschiff umgebaut werden, mit Bühne und Zuschauerraum und Künstlergarderoben. Und mit einem Dach! Dort, wo früher der Kies lag, sitzt jetzt das Publikum. Dort, wo heute der Eingang ist, wurde früher die Fracht hineingeschüttet.

Spandau ist unser Heimathafen, im Frühjahr waren wir beim Weill-Fest in Dessau, im Juli am Wannsee, im September sind wir am Schiffbauerdamm. Im Herbst werden wir noch auf eine Brandenburg-Tour gehen. Angefangen haben wir mit einem täglichen Programm, aber das war nicht durchzuhalten. Wir arbeiten ja alle ehrenamtlich, bekommen keine Förderung und können keine Leute anstellen, die Karten abreißen oder die Technik betreuen. Also spielen wir nun meistens nur an den Wochenenden. Auf dem Schiff sind wir dem Publikum sehr nah, wir kommen in der Pause, vor und nach dem Programm ins Gespräch. Und wir merken es immer wieder: Viele Leute hatten noch nie Kontakt zu Juden. Die denken, uns gibt's nur im Museum.

Rahel Varnhagen: „Ich bin eine Falschgeborene“. Freitag, 18.8., 19.30 Uhr, Anlegestelle Havelufer, Dischinger Brücke, Spandau