Buchpreisträger

Bevor der Vulkan ausbricht: Eugen Ruge findet die Gegenwart in „Pompeji“

Die Katastrophe im Jahr 79 ist in dem Roman Anlass, über Wissenschaft und Populismus zu erzählen.

Eugen Ruge auf der Leipziger Buchmesse Ende April
Eugen Ruge auf der Leipziger Buchmesse Ende AprilImago

Eugen Ruge war 57 Jahre alt, als er seinen ersten Roman veröffentlichte, „In Zeiten des abnehmenden Lichts“. Weil er dafür den Deutschen Buchpreis erhielt und sich das Buch auch international herausragend verkaufte, steht Ruge seither in der Erwartung, als Schriftsteller erfolgreich sein zu müssen. Die Danksagung am Ende des neuesten Romans „Pompeji“ deutet auf diesen Druck hin: Ein Freund habe ihm mit seinem Rat aus der Krise geholfen.

Vielleicht hat der Freund ihm den Tipp gegeben, sich diesmal nicht dem politisch wilden 20. Jahrhundert zu widmen (wie auch im zuletzt erschienenen überzeugenden Roman „Metropol“), sondern sich auf seinen ersten Beruf zu besinnen. Bevor Ruge 1986 begann, Dokumentarfilme, Theaterstücke und Hörspiele zu schreiben, forschte er über Erdbeben am Zentralinstitut für Physik der Erde der Akademie der Wissenschaften der DDR. In „Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna“ begibt er sich als Erzähler in die antike römische Stadt, bevor diese durch den Vesuv im Jahr 79 n. Chr. verschüttet wurde.

Die Christen, diese „absonderliche Sekte“

Doch ist es nicht so, dass Ruge mit dem Buch Geschichte im Sinne eines historischen Romans nachgestalten würde. Ruge kennt den Ort und bezieht reale Personen ein, doch sein erzählerisches Interesse gilt der Wahrheit und wie sie verformt werden kann, richtet sich auf die Dynamik von Gruppen. Nie ist von der Gegenwart die Rede, und doch hat man oft das Gefühl, er schreibt von heute.

Eugen Ruge spielt mit Redewendungen, mit historisch falschen Annahmen (die Christen, „diese absonderliche Sekte“, müssten „längst ausgestorben sein“), mit seiner Erfahrung: „Wie leicht es ist, denkt Epiphanes, etwas im Volk populär zu machen. Man muss nur versuchen, es zu verbieten!“ Auch viel Situationskomik gibt es, etwa wenn sich der Ratgeber Livia Numistrias während ihres Ankleidens verbirgt und es zu den Wortwechseln heißt: „meldet der Vorhang“ oder „schlägt der Vorhang vor“. Der Mann, den Livia erwartet, ist Jowna aus dem Untertitel des Buches. Er hat aus der Untersuchung von Naturphänomenen geschlossen, dass der Stadt nicht lange nach einem großen Erdbeben ein Vulkanausbruch droht. Er warnt, wo er nur kann. Und er wird doch im Laufe des Romans etwas anderes sagen, rhetorisch bestens geschult.

Bei dem Spaß am Schreiben, den der Autor sicher mit den humorigen Details, ironischen Wendungen und einer launigen direkten Leseransprache hatte, ist ihm gelegentlich der stilistische Feinschliff aus den Augen geraten. Das fällt beim langsamen Lesen auf. Ruge allerdings hat es so eingerichtet, dass man gerne schnell durch die Seiten streift. Obwohl wir alle wissen, dass es schlecht für Pompeji ausgehen wird.

Eugen Ruge: Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna. Roman. dtv, München 2023. 364 Seiten, 25 Euro

Berliner Buchpremiere: 16.5., 20 Uhr, Pfefferberg-Theater