Gallery Weekend Berlin

Gallery Weekend: Bisschen dirty, bisschen artsy, bisschen rough – und sehr Berlin!

Berlin ist anders als die Kunst-Hauptstädte Basel, Hongkong und New York – und vielleicht deswegen so wichtig. Unterwegs mit einem Schweizer Kunsthändler auf dem Gallery Weekend.

In der Galerie Eigen + Art zeigt der Senior Director Christian Ehrentraut ausgewählte Werke beim Gallery Weekend Berlin.
In der Galerie Eigen + Art zeigt der Senior Director Christian Ehrentraut ausgewählte Werke beim Gallery Weekend Berlin.Marcus Glahn für die Berliner Zeitung am Wochenende

Ganz kurz weht der Geist vergangener Zeiten durch die Mitte von Berlin. Im Innenhof zwischen dem ehemaligen Tacheles, wo Investoren gerade teuersten Wohnraum schaffen, und der ehemaligen King Size Bar, wo Frank Künster, einer der legendärsten Berliner Türsteher, jahrelang ziemlich legendäre Partys gab, ist an diesem Freitagabend noch mal alles wie in den späten Neunzigern, als Berlin noch so richtig hip war. Und Underground noch ein Statement.

Graffiti-beschmierte Wände, riesige, unverputzte Räume, an deren Decken der alte Stuck abbröckelt. Dazwischen flashige Kunst, harte Beats und fantastisch gekleidete Leute.

Es ist der Auftakt des Gallery Weekend. Die Antwort der weltweit bekannten Berliner Galerien darauf, keine eigene Kunstmesse zu haben. Schon zum 19. Mal findet diese sehr eigene Schau statt, die quasi ein Museum ist, das sich über die ganze Stadt erstreckt: Von der Potsdamer Straße in Schöneberg über die Auguststraße in Mitte bis hin zur Karl-Marx-Straße in Neukölln. Eine Gruppe von fünf Galerien, seit 2008 als private Initiative organisiert, bestimmt die Teilnehmer, in diesem Jahr sind es 55. Das Besondere: Es gibt keine Tickets, keine Gästelisten. Jeder darf rein, solange der Platz reicht.

In den Räumen hinter der King Size Bar werden die Grenzen zwischen Party, Ausstellung, Konzert und Performance verwischt.
In den Räumen hinter der King Size Bar werden die Grenzen zwischen Party, Ausstellung, Konzert und Performance verwischt.Marcus Glahn für die Berliner Zeitung am Wochenende (2)

Sammler und Kunstexperten aus der ganzen Welt kommen für dieses Wochenende nach Berlin, um zu sehen, was die Galerien zu zeigen haben. Und die zeigen die Künstlerinnen und Künstler, von denen sie sich gute Einnahmen erhoffen, mit denen sie aber auch ihr Programm schärfen können – also im besten Fall neue, kontroverse, politische Werke. Drumherum erleuchtet die Stadt im Neonlicht der Off-Partys.

Kunstwerke für mehrere Millionen

In die Räume hinterm King Size in der Friedrichstraße 112b hat das weibliche Kollektiv „1_06“ geladen. Es  bespielt leer stehende Räume, die kurz davor sind, saniert zu werden, mit Kunst, Performances, Musik und einem maßgeschneiderten Konzept.

Orangene Neonröhren geleiten an diesem Abend die Gäste (gekleidet in Prada, Gucci und Jacquemus) in den großen Hof, umrahmt von zerfallenen Hausfassaden. Rechts der kleine Hintereingang zur King Size Bar, links die schmale Tür zur temporären Galerie. Der Künstler Joachim Bosse präsentiert seine konsumkritische Ausstellung „For Sale“. In dem Text zur Ausstellung heißt es: „Seien wir einmal ehrlich: Kunst, da geht es um Preise und ums Verkaufen. Um Besucherzahlen und ums Schlange stehen. Ums Sehen- und Haben-Wollen. Um Hype und Rekorde. Zur Bestätigung genügt ein Blick in die Zeitung. Ein Auktionsrekord hier, ein Auktionsrekord da. $45 Millionen. $40 Millionen. £37 Millionen.“ Die Besucher haben die Kamera-Apps ihrer Smartphones geöffnet. Posieren vor der Kunst. Selfies. Instagram glüht.

Der Künstler Joachim Bosse vor Kunstwerken seiner Ausstellung „For Sale“
Der Künstler Joachim Bosse vor Kunstwerken seiner Ausstellung „For Sale“Marcus Glahn für die Berliner Zeitung am Wochenende

Am Ende der langen Halle ist die Bar, da ist alles mit Teppichen ausgelegt. Kerzen im alten Gemäuer, eine Lichtinstallation hängt von der Decke. Gleich werden ein Streicher und eine Pianistin Bach und Schumann spielen, danach eine leicht bekleidete Frau eine ekstatische Tanzperformance inmitten von Hunderten Gästen geben und später alle zu House-Beats tanzen. Es ist ein bisschen dirty, ein bisschen artsy, ein bisschen rough. Und sehr Berlin.

Der Kunstmarkt ist sensibel

Spät am Abend kommt auch Felipe Schwager in den Innenhof. Schwager, 35, geboren in Ecuador, aufgewachsen in Basel, ist Kunsthändler und hat den ganzen Tag mit Schweizer Kunstsammlern verbracht. Sie haben sich verschiedene Galerien angesehen, haben spät zu Abend gegessen. Vor allem hat Schwager dem Sammler-Paar ein Kunstwerk eines brasilianischen Künstlers gezeigt. Eine Art roten, verspiegelten Sarg, der in den Boden eingelassen ist. Die Sammler möchten das Werk in ihrem Garten haben.

Der Kunsthändler Felipe Schwager
Der Kunsthändler Felipe SchwagerMarcus Glahn für die Berliner Zeitung am Wochenende

„Kunstsammler wollen oft nicht erkannt werden“, erzählt Schwager. Nicht in der Öffentlichkeit stehen, nicht mit ihrem Namen auftreten. „Der Kunstmarkt ist sensibel“, sagt er. Zu viel Wissen darüber, wer was kauft, könne die Preise ruinieren. Und außerdem wolle man sich schützen, vor einer endlosen Flut an Sätzen wie: „Hast du mal ganz kurz Zeit?“, „Dieses Art-Work musst du unbedingt sehen.“ oder: „Kennst du eigentlich schon diese junge Künstlerin?“.

Um trotzdem immer möglichst früh auf neue Kunst aufmerksam zu werden, nehmen Sammler die Hilfe von Menschen wie Felipe Schwager in Anspruch. Menschen, die ein großes Netzwerk haben, die Künstlerinnen und Künstler auf der ganzen Welt kennen, Galeristen und eben Sammlerinnen. Und die diese Leute zueinander bringen. Das Gallery Weekend bietet hierfür eine gute Gelegenheit. Und kann die Karrieren von Künstlern mit einem Mal in neue Sphären katapultieren. Was das bedeutet, möchte Schwager am nächsten Tag zeigen.

Auf dem Gallery Weekend werden Geschäfte ganz nebenbei gemacht.
Auf dem Gallery Weekend werden Geschäfte ganz nebenbei gemacht.Marcus Glahn für die Berliner Zeitung am Wochenende (2)

Im „Lab“ der Galerie Eigen + Art in einem Hinterhof in der Torstraße ist am Samstagmittag ruhige, konzentrierte Stimmung. Die Besucher unterhalten sich mit gedämpften Stimmen und gehen ganz nah ran an die Malereien an den Wänden, um zu sehen, wie der Künstler diesen oder jenen Strich gepinselt hat.

Das Gallery Weekend kann Karrieren in neue Sphären befördern

Im Lab probiert Eigen + Art junge Künstler aus und schaut, wie der Markt auf sie reagiert. Felipe Schwager steht mit eine*r dieser jungen Künstler*innen zusammen, Maler*in Emil Urbanek. Urbaneks verschwommene, pastellfarbige Gemälde hängen hier an den Wänden. Alle diese Bilder sind bereits verkauft. „Außergewöhnlich“, sagt Schwager. Dabei studiere Urbanek noch an der Kunstuniversität.

Es ist genau ein Jahr her, da hat Schwager die Werke von Urbanek zum ersten Mal gesehen. Bei einer Ausstellung in einem verlassenen Kaufhaus im Rahmen des Gallery Weekend. Schon damals war er begeistert von den Malereien der da noch weitestgehend unbekannten Künstler*in. Schwager erzählte Kunstkreisen vom technischen Talent Urbaneks. Ein Jahr später gibt es von Urbanek nichts mehr zu kaufen.

Bilder des Leipziger Künstlers Olaf Nicolai in der Galerie Eigen + Art
Bilder des Leipziger Künstlers Olaf Nicolai in der Galerie Eigen + ArtMarcus Glahn für die Berliner Zeitung am Wochenende

Felipe Schwager hat selbst Kunst studiert. Es hilft ihm, auf Augenhöhe mit den Künstlerinnen und Künstlern zu sprechen. Auch mit den Galeristen. In der Hauptgalerie von Eigen + Art trifft er etwas später auf Christian Ehrentraut, den Senior Director der Galerie. Schwager hat den brasilianischen Künstler Paulo Wirtz mitgebracht, dessen verspiegelten Sarg er gestern den Sammlern gezeigt hatte. Der Senior Director Ehrentraut führt die beiden durch die hohen weißen Räume, erklärt das ausgestellte Werk des Leipziger Künstlers Olaf Nicolai und öffnet dann im oberen Stockwerk die Türen zum Büro. „Die heiligen Hallen“, flüstert Schwager.

Sehen und gesehen werden auf dem Gallery Weekend

Hier oben, neben und über den Schreibtischen, hängt ein Querschnitt all der Künstlerinnen und Künstler, die die Galerie vertritt. Entlang einer langen Wand etwa Kupferstiche des berühmten Malers Neo Rauch. Ehrentraut erzählt, dass hier im Büro oft mehr Geld ausgegeben werde als im unteren Bereich der Galerie. „Vielleicht, weil sich Kunden privilegiert fühlen, hier nach oben gebeten zu werden.“ Ganz nebenbei macht Schwager den brasilianischen Künstler und den Eigen+Art-Kunsthändler miteinander bekannt.

Kupferstiche von Neo Rauch in der Galerie Eigen + Art
Kupferstiche von Neo Rauch in der Galerie Eigen + ArtMarcus Glahn für die Berliner Zeitung am Wochenende

Dann geht es weiter. Immer wieder werden Hände geschüttelt, Küsschen hier, Küsschen da, man kennt sich. In einem Café in der Auguststraße sitzen Schwager und der Künstler später zusammen mit einem italienischen Kunstexperten aus Zürich.

Die drei unterhalten sich über den Kunstmarkt. Der Italiener erzählt von Werken, die nicht für jeden kaufbar seien, selbst wenn man das Geld dafür habe, weil es für diese Werke eine Reputation als Sammler brauche. Er erzählt von langen Wartelisten auf bestimmte Künstler. Von kleinen, DIN-A5-großen Zeichnungen, die für 80.000 Euro verkauft würden. „Der Kunstmarkt ist so abstrakt“, sagt er.

Christian Ehrentraut von der Galerie Eigen + Art erklärt das Werk von Olaf Nicolai.
Christian Ehrentraut von der Galerie Eigen + Art erklärt das Werk von Olaf Nicolai.Marcus Glahn für die Berliner Zeitung am Wochenende (2)

Zu dritt ziehen die Männer dann weiter in Richtung Schöneberg, wo sich ein weiteres Zentrum der Berliner Galerie-Szene befindet. Auch hier spielt sich vieles in den Hinterhöfen ab. Vor dem Bekleidungsladen Andreas Murkudis tummelt sich das junge, szenige Berlin. Eine lange Schlange wartet vor dem Aufzug, der in die Galerie Esther Schipper führt, wo gerade eine Videoinstallation der deutschen Künstlerin Hito Steyerl im Wert von 180.000 Euro gezeigt wird.

„Die wahren Kunstexperten auf dem Gallery Weekend“, sagt Felipe Schwager, „erkennt man an ihren Schuhen.“ Je bequemer, desto wahrscheinlicher, dass es sich um Leute handele, die an diesem Wochenende beruflich unterwegs seien. Auch hier in Schöneberg werden wieder viele Hände geschüttelt, es wird gesmalltalked, gelacht, gescherzt. Alles ist wahnsinnig locker und entspannt. Und ganz nebenbei, ohne dass es richtig auffällt, werden die Fäden des Netzwerks weitergesponnen, werden Namen fallen gelassen und Geschäfte eingetütet.

Auf dem Gallery Weekend, diesem Exportschlager, der in Paris, Warschau und Peking kopiert wird, scheinen die Krisen dieser Zeit (Pandemie, Krieg, Energiekrise) weit entfernt. Die Themen, die hier eine Rolle spielen, bewegen sich vor allem im identitätspolitischen Bereich (Rassismus, Transgender, Wokeness). Der Gallerienschau scheint es nicht zu schaden. Noch nie, so hört man von den Machern, habe es so viele Anmeldungen von Sammlern und Vertretern der großen Museen gegeben wie bei diesem 19. Mal.

Besucher in der Galerie Isabella Bortolozzi in Schöneberg beim Gallery Weekend
Besucher in der Galerie Isabella Bortolozzi in Schöneberg beim Gallery WeekendMarcus Glahn für die Berliner Zeitung am Wochenende