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Abhängige im Darknet-Cyberspace: Adrian Ghenies „Zeitreisende“ im Zuckerbäckerturm

Die rumänische Galerie Plan B verließ die Potsdamer Straße und bezog ihr neues Domizil am Strausberger Platz. Was macht diese Kunst des Ostens so stark?

Das verwahrloste Leben eines Netz-Junkies. Der Maler Adrian Ghenie nennt sein Ölgemälde von 2023 schon mal prophetisch: „Summer Indoor“.
Das verwahrloste Leben eines Netz-Junkies. Der Maler Adrian Ghenie nennt sein Ölgemälde von 2023 schon mal prophetisch: „Summer Indoor“.A. Ghenie/Galeria Plan B/ Cluj/Berlin/Jörg von Bruchhausen

Im Osten was Neues! Ausgerechnet an der gentrifizierten Karl-Marx-Allee dreht sich die kapitalistische Gesetzmäßigkeit einmal um. Ins Turmhaus Strausberger Platz Nr. 1, wo einst eine Bank residierte, zog soeben die Kunstgalerie Plan B ein.

Wer rastet, der rostet. Dem alten Spruch gemäß bestätigt auch der angesehene Ausstellungsort junger rumänischer Kunst die Maxime des rastlosen Berliner Kunstbetriebs. Das liegt auch am sich verändernden Programm. Die Bilder haben nicht mehr ausnahmslos gigantomanische Hallengröße. Sie passen wieder an die Wände, fassbar mit menschlichem Maß.

Nach zehn Jahren in einer vormaligen Druckereihalle an der Potsdamer Straße wechselte das Galeristen-Duo Mihaela Lutea und Mihai Pop mit seinen Künstlern aus dem Beton-Ambiente in das neoklassizistische Zuckerbäckerstil-Domizil der 1950er-Jahre. Gegenüber auf dem Rondell sprudelt die Brunnenfontäne des Ost-Berliner Bildhauers Fritz Kühn. Das Hochhaus hat eine Panorama-Bar mit spektakulärem Ausblick über den ganzen Osten der Stadt, insbesondere bei Nacht. Und der Einzug der jungen Kunst freut nicht nur den Vermieter, sondern auch die Nachbarn, denn nun logiert wohl auch endlich wieder ein Restaurant nebenan in den traurig leeren Räumen vom Haus Berlin: ein Grieche, wie es heißt – und das Plan-B-Team freut sich schon auf griechische Cevapcici, die in Rumänien Mititei heißen.

„Untitled“, 2023, Öl auf Leinwand
„Untitled“, 2023, Öl auf LeinwandA.Ghenie/Galeria Plan B/ Cluj/Berlin/Jörg von Bruchhausen

An den Galeriewänden hängt Adrian Ghenies jüngster Figuren-Zyklus, Ölfarben und spröde Kohlezeichnungen. Darauf „Zeitreisende“, die sich aber eher in ihre eigenen Behausungen eingesperrt haben, mit Laptops, iPhones, Tablets und dem unerschütterlichen Vertrauen auf zuverlässiges Wlan. Da kommt so manche deprimierende Erinnerung an die zwangsisolierte Corona-Lockdown-Zeit auf. Und man denkt an Leute, die sich im Dschungel der Internetabhängigkeit, der Sucht nach digitalen Welten, gar in den Abgründen des Darknets verheddert haben. Das Ölbild „Summer Indoor“ ist eine beklemmende Prophezeiung. Draußen 35 Grad Celsius und drinnen die totale Verwahrlosung. Der Typ auf der Couch ist ein Homunkulus, der sich aufzulösen scheint, derweil seine Umgebung samt Badelatschen gleichgültig im Chaos versinkt.

Auch die Figuren auf anderen Bildern, ob in Öl auf Leinwand gesetzt oder mit düsteren Kohlestrichen fast ins Papier hineingedrückt, bestehen aus hefeteigartig quellenden, sich surreal verschlingenden Körperformen und aufgebrochenen Brustkörben, mal herumtorkelnd und Joint rauchend, dann in eine Ecke verkrochen. Gliedmaßen verdrehen sich, Augäpfel sind Scharniere, rotieren in abstrakter Optik. Wie Marionetten in einer katastrophalen Krise.

Da hocken drei solche Teigklumpen-Typen in einem musealen Raum mit Stuckdecke. An der Wand eine impressionistische Landschaft mit Sonnenaufgang, darunter diese seltsamen, in Raum und Zeit herumfuchtelnden Wesen in ihren Quell-Skaphandern, wie aus einem anderen Universum. Es ist, als ob diese Gestalten sich ausdehnen und im gleichen Moment zusammenziehen. Die Zeichnung, verrät der Maler, basiere auf den Nachrichten-Fotos von Klimaaktivistinnen, die vor Monaten in einem römischen Museum Van Goghs „Säerin“ mit Erbsensuppe bewarfen.

Ghenie, geboren 1977 im rumänischen Baia Mare, studierte an der Kunstakademie Cluj, dem siebenbürgischen Klausenburg. Es war die Cluj Connection, die er 2005 mit begründete. Die Künstler wollten den transsilvanischen Raum verlassen; der Plan A wies Richtung Westen. Nur war das nicht so einfach mit dem Erfolg. 2008 beschloss die Gruppe, unter dem Namen Plan B in Berlin eine Galerie zu betreiben, um junge rumänische Kunst bekannt zu machen. Das gelang rasch mit Ausstellungen von Ciprian Mureşan, Serban Savu, Victor Man.

Längst ist Plan B auf wichtigen europäischen und  amerikanischen Kunstmessen ein selbstverständlicher Gast; und freut sich am neuen Ort aufs Berliner Gallery Weekend,  wenn dann im Strausberger-Platz-Rondell die ersten Maiblumen blühen.

Gentrifizierung mal umgekehrt: Früher residierte hinter dem imposanten Eingang eine Bank – und jetzt Kunst: Blick aufs neue Domizil der rumänischen Galerie Plan B am Strausberger Platz 1, direkt an der Karl-Marx-Allee. 
Gentrifizierung mal umgekehrt: Früher residierte hinter dem imposanten Eingang eine Bank – und jetzt Kunst: Blick aufs neue Domizil der rumänischen Galerie Plan B am Strausberger Platz 1, direkt an der Karl-Marx-Allee. Trevor Good, Courtesy Galeria Plan B Cluj/Berlin

Galerie Plan B, Strausberger Platz 1, Ausstellung des Malers Adrian Ghenie bis 13. Mai, Di–Sa 11–18 Uhr