Kolumne

DDR-Ferienlager, in denen die Utopie der Liebe Wirklichkeit wurde

Ach, Mandy, Cindy, Swantje, Silke, Gabi, Sonja. Wie mir einmal im Jahr beim Abschied das Herz in der Brust zersprang. Eine Kindheitserinnerung.

Warme Herzen, kalte Füße. Erinnerungen jenseits des offiziellen Ferienlagerprogramms.
Warme Herzen, kalte Füße. Erinnerungen jenseits des offiziellen Ferienlagerprogramms.Roshanak Amini für Berliner Zeitung am Wochenende. Bilder: imago

Der dunkelste Moment meiner ansonsten lichten Kindheitsferien kehrte leider alljährlich wieder: der Abschied vom Ferienlager. Drei Wochen dauerte ein Durchgang, wir waren 40 Kinder zwischen acht und 13 Jahren, Jungs und Mädchen, wir schliefen in zwei größeren Räumen in einem Bauernhaus, aßen zusammen, wanderten wider Willen, badeten umso lieber, hörten, was der Förster und die Märchentante sprachen, die wir jedes Jahr besuchten, feierten Kostüm- und Neptunfest, saßen am Lagerfeuer, trugen Tischtennisturniere aus, tanzten bei der Disko. So viel zu den offiziellen Höhepunkten, nun zum Geheimprotokoll.

Nachts blieben wir so lange wie möglich wach, länger jedenfalls als die mitreisenden Erwachsenen, schlichen dann durchs Haus, das in der Dunkelheit seltsamerweise doppelt so groß war und anders roch. Ziel war das Mädchenzimmer, wo ein jeder seine Liebe des Lebens oder dieses Sommers besuchen wollte, vielleicht mit ihr im Bett liegen durfte, um ein paar Küsschen zu tauschen und zu gucken, was man sich so traute. Kalte Füße, heiße Herzen. Süße auf den Lippen, Säure im Magen.    

Das Kichern wurde immer stiller, die Endorphine kämpften mit dem Schlafbedürfnis. Bevor Letzteres sich durchsetzte, traten wir den Rückweg an, traditionell durch die Fenster, über die stille Kopfsteinpflasterstraße, einmal ums Haus und im Hof wieder rein ins Jungszimmer. Den Schlaf würden wir in der nächsten Nacht nachholen, wenn die Mädchen nicht ans Fenster klopften. 

Und dann war die letzte Nacht vorbei. Tasche packen, Zimmer fegen, auf dem Bordstein auf den Bus warten, paarweise. Tränen. Ach, Mandy, Cindy, Swantje, Silke, Gabi, Sonja. Die Busfahrt blieb uns noch, den letzten Kuss gaben wir uns in Mecklenburg. Wir tauschten pro forma die Adressen, hielten uns im Arm, blickten auf die Felder, dann auf die Stadt, dann auf die winkenden Eltern, lösten uns voneinander und gingen unserer Lebenswege. Und mit einem leisen Knistern riss das Herz neben der Narbe vom letzten Jahr wieder auf.