Kolumne

Ferienerinnerung: Die rote Wolke – als die Ostsee von einer Käferplage heimgesucht wurde

Anhaltende Trockenheit gab es schon in den 70er-Jahren. Eine Erinnerung an den Sommer des erwachenden Umweltbewusstseins.

Possierlich und zart – so stellt man sich den idealtypischen Marienkäfer in der Natur vor. Aber wehe, er kommt in Massen.
Possierlich und zart – so stellt man sich den idealtypischen Marienkäfer in der Natur vor. Aber wehe, er kommt in Massen.Roshanak Amini für Berliner Zeitung am Wochenende. Bilder: imago

Es war der letzte Sommer vor dem Abitur, und mein Freund Matthias hatte uns – Jochem, Ursula und mich – überredet, gemeinsam mit seiner Mutter zum Zelten an die Ostsee zu fahren. Keine Familiensache, die Mutter würde ihre eigenen Kreise ziehen. Wir wähnten uns frei für juvenile Erkundungen aller Art.

Der Campingplatz war nicht weit entfernt von der Ferienanlage Damp 2000, die damals, 1976, noch eine futuristische Anmutung hatte. Die Nähe von Luxus und Massentourismus schien noch nicht derart paradox wie heute. Weil mir mein erster Berlinbesuch zu diesem Zeitpunkt jedoch noch bevorstand, kamen mir sich überlagernde Assoziationen von Märkisches Viertel und Jachthafen nicht in den Sinn.

Es war, wie eine kurze Recherche bestätigte, ein extrem heißer Sommer. Mein Soundgedächtnis verriet mir etwas anderes. Dort hatte sich die Melodie von Steve Goodmans Country-Song „City Of New Orleans“ eingenistet. Das Lied stammt aus dem Jahr 1971, wenig später hatte der Showmaster Rudi Carrell dazu eine deutsche Version mit dem Titel „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ aufgenommen. Das passte zu dem Erlebnis, das wir damals weder als Naturkatastrophe noch als biblische Plage aufzufassen gewillt waren. Unsere Ausflüge an Strandpromenade und Meer waren, ich schwöre, begleitet von Hunderttausenden Marienkäfer-Flugstaffeln. Ehe man vom Schwimmen zurück aufs Handtuch in den Sand wollte, musste man dieses kräftig ausschütteln, um es von angriffslustigem Getier zu befreien.

Blitzkrieg der Käfer

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hatte beim Blick in die Presse andere Eindrücke gewonnen: „,Invasion‘, meldete die Welt am Sonntag, ,Jetzt greifen sie an‘, notierte die Hamburger Morgenpost: (…) Und der Londoner Daily Mirror ließ den possierlichen Feind in einer Karikatur gar mit Stahlhelm und Hakenkreuz auftreten. Schlagzeile: ,Blitzkrieg der Käfer‘ (,Blitz of Bugs‘)“.

Ich erinnere mich an unsere problemorientierte Betrachtung des Phänomens. Entgegen landläufiger Mutmaßungen letzter Generationen waren umweltpolitische Fragestellungen bereits damals ein Dauerthema der politischen Kommunikation. Kein Grund zur Abreise, hatte unterdessen Matthias’ Mutter befunden – also blieben wir.

Die Käfer allerdings nicht. Eines Morgens schwammen sie alle auf der flachen See. Wir hatten Hotelbetreiber und Gastronomen in Verdacht, schließlich war ihr Sommergeschäft gefährdet. Die rote Wolke war verweht, das Wort Pestizide prägte sich uns erst sehr viel später ein.